Re: Minimoog wird neu aufgelegt / BFAM
Paul Dither schrieb:
Mir geht's um diese ganzen Bestandteile, die zu dem "König der Analogsynths-Blabla" geführt haben und dem darauf gegründeten Käuferbegehren, das ja nunmal nicht einfach so da ist, sondern genauso produziert wird wie das Produkt selbst.
Wenn ich kurz einer meiner Lieblingsbeschäftigungen, dem Ausscheiden von Korinthen, nachgehen darf: Die Vorstellung, dass "Käuferbegehren produziert" werden können, halte ich für ein ebenso falsches Bild wie z.B. die Vorstellung, dass ein "Bedürfnis geweckt" werden kann. Meiner Ansicht nach kann man Bedürfnisse nicht wecken und Begehren nicht produzieren, sondern man kann versuchen, mit einem Kommunikationsangebot (aka Werbung) an bereits latent vorhandene Bedürfnisse und Begehren "anzudocken" und für diese eine Befriedigung gegen Geld in Aussicht stellen.
Aber eine Bedürfnisproduktion in dem Sinne, dass man in einem Menschen,
• der weder Musik machen möchte,
• noch an den potentiellen sozialen Folgen des Musikmachens interessiert ist (z.B. dem Erleben der eigenen Kreativität, der Bestätigung durch Mitmenschen…bis hin zu nicht in enden wollendem Ruhm in allen bisher bekannten Galaxien),
• und dem auch die potentielle Steigerung seines sozialen Status durch Besitz am Arsch vorbei geht (vgl. "Obelix GmbH & Co.KG"),
das "Begehren produzieren kann", ein Instrument erwerben zu wollen, ist eine meiner Ansicht nach überholte Vorstellung und eine Argumentationsfigur, die ich eher in dem Verkaufspitch einer in die Jahre gekommenen Werbeagentur erwarten würde.
Das ist all das, was ich als Fetisch bezeichne, …
Darauf können wir uns problemlos einigen:
Dass der Minimoog eine Ikone ist,
die fetischartige Verehrung genießt,
gespeist von einem beeindruckend großen klanglichen "sweet spot",
gepaart mit einer guten Ergonomie und einem unverwechselbaren & robusten Design,
assoziiert mit musikalischen Triumphen und berühmten Künstlern,
aufgeladen mit einer interessanten Geschichte und dem Wissen um seinen Herstellungsprozess.
All das, in unterschiedlichen Gewichtungen, möchten diejenigen haben, die sich für einen Minimoog interessieren, und nun können sie es kaufen. Wie eine solche fetischartige Anbetung zu bewerten ist, steht auf einem anderen Blatt.
Und ja, auch ich habe einen Minimoog Model D, und auch für mich haben die oben erwähnten Punkte in unterschiedlichen Gewichtungen eine Rolle gespielt.
…obwohl ich nie abstreiten würde, dass der Minimoog durchaus seinen eigenen unverwechselbaren Klang hat.
Diesen "unverwechselbaren Klang" verstehe ich so: Wenn ich nicht weiss, welche Instrumente in einer Musikproduktion gespielt wurden, kann ich trotzdem einen auf dem Minimoog gespielten Klang in dieser Produktionen mit vergleichsweise hoher Treffsicherheit als Minimoog-Klang identifizieren, und zwar in weiten Grenzen unabhängig von dessen Parametereinstellung. Oder kürzer: Man kann einen Minimoog gut 'raushören.
Die klangliche Unverwechselbarkeit des Minimoog kann man kaufen.
Um unverwechselbaren Klang scheint es allerdings nicht zu gehen, denn warum wollte sonst plötzlich jeder einen Minimoog haben, der ja schon zu Lebzeiten bzw. vor seiner Reanimierung keine Rarität im popmusikalischen Universum darstellte?
Unter diesem "unverwechselbaren Klang" verstehe ich etwas gänzlich anderes: Die für einen bestimmten Künstler typischen Klangwelten, die einen beim Hören eines unbekannten Stückes zuerst an eben diesen Künstler denken lassen. Da der Minimoog-Klang aber schon seit so langer Zeit bekannt ist, und er von so vielen benutzt wurde, ist man sicherlich falsch beraten, wenn man sich als Künstler, der sich seine eigene, unverwechselbare klangliche Signatur schaffen möchte, ausgerechnet einen Minimoog kauft – im besten Fall schafft man eine klangliche Referenz zu anderen, älteren und auch berühmteren Künstlern.
Eine eigene klangliche Signatur kann man nicht kaufen, weder mit einem Minimoog noch mit einem anderen Gegenstand.
Aber was kauft man denn dann? Am Grunde des werblichen Kommunikation des Minimoog liegt das Versprechen, einen Teil einer Legende erwerben zu können, vielleicht sogar Teil dieser Legende werden zu können – einer Legende, die der Minimoog als Ikone mit Fetischcharakter nun einmal wie kaum ein anderes Instrument verkörpert.
Nur, und das ist der springende Punkt, von dem ich den Eindruck habe, dass ich ihn bisher nicht deutlich genug habe formulieren können, diese Fahrkarte für eine Gruppenreise mit einer Zeitmaschine kann der neue Minimoog exakt nur dann sein, wenn er so nah wie nur irgend möglich an dem historischen Original gebaut ist und gefertigt wird. Eine Abweichung von den aufwändigen Herstellungsmethoden unter Anwendung erprobter Rationalisierungsverfahren, das Verändern von Platinenlayouts und Leiterbahnen, das Hinzufügen von Ausstattungsmerkmalen, eine Überabeitung des Designs – wie gut die Intentionen dahinter auch sein mögen, und wie weit diese Maßnahmen den Preis auch in erschwinglichere Regionen bringen würde, all das würde den Minimoog der Merkmale berauben, die er braucht, um seiner Rolle als fetischartige Ikone gerecht werden zu können.
Paul Dither schrieb:
Also den Gebrauchtpreis als Richtwert herzunehmen finde ich schon absurd. Da geht es um ein fetischisiertes und limitiertes Produkt, dessen Pseudo-Aura auf einer Romantisierung der 1970er Jahre gründet.
Warum ist es absurd? Im Gegenteil! Moog Music weiss durch die Gebrauchtmarktpreise, wieviel die potentielle Kundschaft für ein solches Instrument zu bezahlen bereits ist, und es ist der Firma Moog Music hoch anzurechnen, dass sie den Preis für einen neuen Minimoog am unteren Rand des Gebrauchtmarktpreisspektrums ansiedelt.
Daraus entsteht eine Preispolitik jenseits von Gut und Böse bzw. eine solche, die sich jeglicher Ratio entzieht…
Was mich ehrlich wundert, aber auch hier klinge ich wohl wieder wie ein Schallplatte mit Sprung, ist dieser Brustton der Überzeugung, mit dem Du und andere hier im Thread behaupten, die Preispolitik beim neuen Minimoog sei jenseits von Gut und Böse und irrational.
Sind Euch die Kalkulationen von Moog Music bekannt?
Seid Ihr hinsichtlich des Herstellungsprozesses des Minimoogs erfahren?
Oder warum scheint es für Euch tatsächlich so vollkommen unvorstellbar, dass die Herstellung dieser ollen Kiste vielleicht doch, wenn man es denn genau nach alter Väter Sitte machen will, schlicht so aufwändig sein könnte, dass der Preis des Minimoog eben doch rational zu rechtfertigen ist?
Kurz: Könnte es nicht sein, dass Du Dich in Deinem Urteil irrst?
…wie im Übrigen immer wenn ein Gegenstand zur Ware wird, nur in diesem Fall eben ins Extreme gesteigert (man kennt das Phänomen überdies vom aufgeblähten Kunstmarkt).
Natürlich können wir gerne noch eine weitere Baustelle eröffnen und damit beginnen, uns
Walter Bejamins "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" um die Ohren zu hauen. Aber vielleicht verschieben wir das auf später, für jetzt mag der Hinweis genügen, dass der Herstellungsprozess des Minimoog damals genau so aufwändig war wie heute.
Will sagen: Als pragmatisch veranlagter Musiker lassen sich die Ebay-Preise doch sowieso nicht verdauen.
Um Alfred E. Neumann zu zitieren: Na und?
Es gibt Ebay nun mal, und die Preise dort werden zur Preisfindung herangezogen. Davon abgesehen gibt es ja auch ein paar Antiquitätenhändler für Synthesizer, das liegt preislich alles in der gleichen Liga.
Klar, verglichen mit dem Gebrauchtpreis eines Minimoogs erscheint die Wiedergänger-Edition natürlich preiswert.
"Wiedergänger-Edition": herrlich!
Verglichen mit einem Voyager oder Voyager OS allerdings nicht, da letztere nun mal Features bieten, die ich doch in diesen Zeiten als selbstverständlich einstufe.
Selbstverständlich. Aber die sind eben kein Minimoog. Das ist doch mein Punkt: Wer mehr Features und ein anderes Design zu einem anderen Preis will, kann einen Minimoog Voyager erwerben; wer einen Minimoog Model D mit allem Drum & Dran inklusive des Herstellungsprozesses haben möchte, kann den jetzt auch neu erwerben. Ist doch prima!
Darüber hinaus ist es nicht mein Problem, das Moog meint, plötzlich wieder Instrumente wie vor 40 Jahren herstellen zu müssen.
Wie gesagt: Es ist noch nicht mal ein Problem, sondern schön.
Und ja, wenn wir im Jahr 2016 mal die alltagswirkliche Komponente berücksichtigen, stellt sich schnell heraus, dass die meisten Hardware-Synthesizer nunmal einen stolzen Preis tragen, weil sie ja nicht in einem Vakuum existieren. Das wiederum ist nicht als Kritikpunkt gemeint, aber in einer Zeit, in der Du zig Instrumente in Form von Plug-ins oder Apps bekommen kannst, stellt Hardware nun einmal immer die teuerste Variante dar.
Was ich abgefahren finde, ist, dass Software so günstig ist. Im Bereich der Musik inkl. der Musikinstrumentenproduktion scheinen wir eher bereit zu sein, körperliche Arbeit zu entlohnen als geistig-schöpferische. Jaja, "Information wants to be free" und dergleichen mehr. Und dann wundern sich alle, warum man mit dem Verkauf von "guter" Musik Schwierigkeiten hat, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten…aber Himmel, das ist nun wirklich ein ganz anderes Thema.
serge schrieb:
Paul Dither schrieb:
…die kleine Raupe Nimmersatt, wir kennen & sind sie alle.
Nun ja, ich bin zwar klein, aber keine Raupe.
Bitte entschuldige, das sollte keine Anspielung auf Deine mir unbekannte Körpergröße sein, sondern auf das hier im Forum wohlbekannte & immer wieder zu beobachtende Verhalten, auf die Neuvorstellung eines Instruments reflexartig mit Featurewünschen zu reagieren.
Die kleine Raupe nimmersatt frisst und frisst und wird dennoch nicht satt… Ich hätte auch auf den kleinen Häwelmann oder das
Märchen vom Fischer und seiner Frau verweisen können.
Hinsichtlich der von Dir angefügten Features muss ich aber sagen, dass dies meinem Verständnis von einem $3.500 Synth durchaus näher käme, denn wer will schon immer dieselben ollen Moog-Sounds hören? - Ich weiß, leider zu viele.
Die, die seiner Klänge müde sind, müssen ihn ja nicht kaufen. Und über die Wertung musikalischer Vorlieben sollten wir vielleicht in einem anderen Thread diskutieren.
Ist ja nicht so, dass die Kiste ohne Mods irgendwie schön aussähe. Ist halt ganz funktional gebaut und sieht entsprechend aus wie ein aufgeklappter Schuhkarton.
Auch darüber gehen die geschmacklichen Urteile sicherlich auseinander.
Synthesizer hatten schließlich mal was mit Innovationen zu tun und nicht mit Totengräberei.
Dass man sich allein schon durch das Spiel eines Synthesizers als musikalischer Innovator fühlen darf, ist ein Mythos, den eine ganze Industrie seit Dekaden am Leben zu erhalten sucht, da dieser eine der Grundvoraussetzungen für ihren wirtschaftlichen Erfolg ist – und über den sich trefflich streiten liesse.
EDIT: Korrekturen.