Besuch WDR Studio für Elektronische Musik, Köln (5.2. +19.3. 2011)

Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Die beiden Synthesizer hat sein Sohn Simon gespielt. Der Vater hat sie aber bezahlt.
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Und seitdem Simon nicht mehr mit seinem Vater zusammenarbeitete, wurden die elektronischen Sachen zumeist zusammen mit dem Spanier Antonio Perez Abellan realisiert. Der spielte live bevorzugt einen Kurzweil (glaube K 2500).
Ich bin, wie gesagt, mal gespannt auf den Sonntag in Köln. Der letzte Teil davon ist ja für fünf Synthesizer - die alle in einem verschiedenen Tempo spielen, sehr interessant.

Ich erinnere mich auch noch gerne an Konzerte Ende der 80er, z.B. Michaels Reise in Köln. Das war aus Anlass von Stockhausens 60. Geburtstag. Da war neben Simon Stockhausen noch Michael Obst dabei, der spielte einen PPG Wave. Und Simon mit D 50, DX 7 II und Casio-Sampler, wenn ich mich richtig entsinne (will es aber jetzt nicht beschwören).
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Elektrokamerad schrieb:
Da drängt sich die Frage auf, wie deine Bemerkung, dass du weiterdudels, zu verstehen ist. Dahin zielt ja meine Frage.
Wenn ich nach einem einzigen Besuch des Studios in Köln drei Tage später meine bisherigen 25 Jahre elektronisch erzeugter Musik über den Haufen werfen würde, spräche das nicht für mein Selbstbewusstsein.
Den Begriff des Dudelns als ironische Bezeichnung unstockhausifiziertzer Musik habe ich dankend von dir übernommen.
Natürlich wird sich meine Musik nicht radikal verändern, dafür bin ich zu fest im Rock/Pop-Bereich im weitesten Sinne sozialisiert. Aber in wie weit man Ansätze der Elektronischen Musik in anderen Musikstilen umsetzen kann und will, ohne sich den Vorwurf des Eigentlichnichtverstandenhabens einzuhandeln (ich könnte damit allerdings leben), und in wie weit ich das möglicherweise schon getan habe, ohne davon zu wissen, ist eine für mich interessante Frage, mit der ich mich gerade beschäftige (eben weil mich der Besuch im Studio sehr beeindruckt hat). Ich brauch dafür aber etwas länger...

Schöne Grüße,
Bert
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Ich finde sowieso, jeder soll das machen, was er am besten kann.
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Ge·dudel das <Gedudels> (kein Plur.) (abwert.) andauernd laufende Musik, die als störend empfunden wird
"Wie hältst du nur das ständige Gedudel aus dem Radio aus?"
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Markus Berzborn schrieb:
Und seitdem Simon nicht mehr mit seinem Vater zusammenarbeitete, wurden die elektronischen Sachen zumeist zusammen mit dem Spanier Antonio Perez Abellan realisiert.

Der ist übrigens auch Dozent für Synthesizer und Klavier bei den Stockhausen-Kursen 2011 in Kürten. Man kann dort am 9.8 um 20:00 Uhr auch Synthie-Fou hören
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Wie wäre es denn mit einem Artikel/Erlebnisbericht plus Interview mit Herrn Müller im SynMag über das Studio? Oder hatten wir das schon? *kopfkratz*
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Markus Berzborn schrieb:
Aber das ist Arbeitsatmosphäre, für den analysierenden Musikwissenschaftler oder so. Für den Zuhörer gedacht ist eigentlich, dass sich die Klänge über größere Abstände bewegen.

Du hast nicht auf dem Nagel gesessen!
:fawk:
Rolle den Stuhl mal in den Raummittelpunkt (der ist gekennzeichnet durch einen Nagel im Fußboden), schließe die Augen und höre dir dann mal etwas an. Das ist wirklich hammermäßig, was da alles an Kängen um einen herum passiert.
:supi:
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

stockhausen.jpg


Die Filter sind noch da, Karlheinz nicht.
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Heute nacht um 23.30 kommt im WDR-Fernsehen eine Reportage über Stockhausens KLANG-Zyklus.
Darin vertont er im Gegensatz zu den 7 Tagen der Woche wie bei LICHT die 24 Stunden des Tages.
21 Stunden hat er vor seinem Tod fertiggestellt.
Ich kann aber nichts zur Qualität dieser Sendung sagen, da ich sie noch nicht gesehen habe. Sollte es also - wie leider so oft - relativ oberflächlich sein, schiebt mir nicht die Schuld zu. 8)
Ich lasse mich einfach mal überraschen, denn es gibt auch sehr gute Filme über Stockhausen.
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Markus Berzborn schrieb:
Heute nacht um 23.30 kommt im WDR-Fernsehen eine Reportage über Stockhausens KLANG-Zyklus.
Darin vertont er im Gegensatz zu den 7 Tagen der Woche wie bei LICHT die 24 Stunden des Tages.
21 Stunden hat er vor seinem Tod fertiggestellt.
Ich kann aber nichts zur Qualität dieser Sendung sagen, da ich sie noch nicht gesehen habe. Sollte es also - wie leider so oft - relativ oberflächlich sein, schiebt mir nicht die Schuld zu. 8)
Ich lasse mich einfach mal überraschen, denn es gibt auch sehr gute Filme über Stockhausen.

Uhrzeit stimmt nicht ganz - trotzdem danke für den Hinweis :supi: :
Lass mich ewig komponieren
KLANG - Die 24 Stunden des Tages. Proben und Uraufführung von Stockhausens Zyklus KLANG
Dienstag, 08. Februar 2011, 23.15 - 00.15 Uhr WDR

Der 2007 verstorbene Komponist Karlheinz Stockhausen
Der Zyklus KLANG über die 24 Stunden des Tages ist das letzte große Projekt Karlheinz Stockhausens, an dem er von 2005 bis zu seinem Tod im Jahre 2007 arbeitete. Die einzelnen Teile sollten nach dem Willen des Komponisten in verschiedenen Räumen gleichzeitig aufgeführt und vom Publikum "erwandert" werden. Im Rahmen der MusikTriennale Köln brachte das Ensemble "musikFabrik" den Zyklus im Mai 2010 an mehreren Orten der Kölner Innenstadt zur Uraufführung.

In seiner Dokumentation ergänzt Regisseur Enrique Sánchez Lansch Ausschnitte aus Proben und Aufführungen durch bisher unveröffentlichtes Archivmaterial. Interpreten, die eng mit dem Komponisten zusammengearbeitet haben, berichten von Stockhausens Arbeit, seiner persönlichen Vision vom Jenseits und vom Weiterleben seiner Musik.
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Bernie schrieb:
Markus Berzborn schrieb:
Aber das ist Arbeitsatmosphäre, für den analysierenden Musikwissenschaftler oder so. Für den Zuhörer gedacht ist eigentlich, dass sich die Klänge über größere Abstände bewegen.

Du hast nicht auf dem Nagel gesessen!
:fawk:
Rolle den Stuhl mal in den Raummittelpunkt (der ist gekennzeichnet durch einen Nagel im Fußboden), schließe die Augen und höre dir dann mal etwas an. Das ist wirklich hammermäßig, was da alles an Kängen um einen herum passiert.
:supi:

Ich stand gerne unter dem roten Faden und bin jetzt noch ganz betört von dem was ich dort hören durfte.
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Dass Menschen einander erzählen, was sie erlebt haben und was ihnen aus dem Erlebten an innerem Besitze blieb, das wird nie aufhören, solange ein Leben auf der Erde ist. Und immer wieder werden unter diesen Menschen solche sein, denen das Erlebte zum Ausdruck und Symbol uralter Weltgesetze wird, die im Zeitlichen das Ewige und im Wandelbaren und Zufälligen die Spur des Göttlichen und Vollkommenen sehen, und ob diese Dichter ihre Werke Romane oder Offenbarungen oder Seelengeschichten oder sonst wie nennen, wird nicht sonderlich wichtig sein. (Um es mit Hermann Hesse zu sagen)
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Markus Berzborn schrieb:
Elektrokamerad schrieb:
Kontakte und Hymnen klangen nach meinem Dafürhalten hier wesentlich direkter
Ja, das stimmt. Aber das ist Arbeitsatmosphäre, für den analysierenden Musikwissenschaftler oder so. Für den Zuhörer gedacht ist eigentlich, dass sich die Klänge über größere Abstände bewegen.
Habe Hymnen in Aachen im Konzert und im Elektronischen Studio des WDR in Auszügen gehört und erlebt. Im Elektronischen Studio war für mich das Erlebnis direkter und differenzierter. Die einzelnen Komponenten und Schichten der klanglichen Strukturen waren sehr gut zu identifizieren und zu orten. So genau zu hören war in Aachen nicht möglich. Nur steht diese Art der Präsentation im Studio nur wenigen zur Verfügung. Analysierende Musikwissenschaftler oder so waren meines Wissens nicht anwesend.

Würde gerne noch "Cosmic Pulses" im Studio hören, oder Auszüge daraus.

An dieser Stelle nochmals Danke an die Initiatoren und Gastgeber des Besuchs, ohne deren Engagement dieser tolle Nachmittag und Abend nicht möglich gewesen wäre.
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Jean Pierre schrieb:
Würde gerne noch "Cosmic Pulses" im Studio hören, oder Auszüge daraus.

Das geht nicht mit dem Studio-Setup in Köln. Oder man müsste die Lautsprecher umpositionieren.

Auch kannst Du damit nicht die Oktophonie hören.
In dem Studio sind alle Lautsprecher auf einer horizontalen Ebene, da sind keine vertikalen oder diagonalen Bewegungen möglich.

Die Fernsehsendung war übrigens sehr gut, ich war angenehm überrascht.
Ich hätte mir persönlich zwar gewünscht, dass mehr auf die elektronischen Teile von KLANG eingegangen worden wäre, aber man kann nicht alles haben.
Und es wäre wohl für die meisten Zuschauer auch weniger interessant als die Instrumentalsolisten.
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Markus Berzborn schrieb:
Die Fernsehsendung war übrigens sehr gut, ich war angenehm überrascht.
Ich hätte mir persönlich zwar gewünscht, dass mehr auf die elektronischen Teile von KLANG eingegangen worden wäre, aber man kann nicht alles haben.
Und es wäre wohl für die meisten Zuschauer auch weniger interessant als die Instrumentalsolisten.

Mir hat es auch gefallen. Interessant die Trennung von Instrumenten und Synthesizern in den Stunden. Irgendwie fühle ich mich nach dem Besuch des Studios Stockhausen näher. 21/Paradies

Die Stücke im Einzelnen
2.1 1. Stunde – Himmelfahrt
2.2 2. Stunde – Freude
2.3 3. Stunde – Natürliche Dauern
2.4 4. Stunde – Himmels-Tür
2.5 5. Stunde – Harmonien
2.6 6. Stunde – Schönheit
2.7 7. Stunde – Balance
2.8 8. Stunde – Glück
2.9 9. Stunde – Hoffnung
2.10 10. Stunde – Glanz
2.11 11. Stunde – Treue
2.12 12. Stunde – Erwachen
2.13 13. Stunde – Cosmic Pulses
2.14 14. Stunde – Havona
2.15 15. Stunde – Orvonton
2.16 16. Stunde – Uversa
2.17 17. Stunde – Nebadon
2.18 18. Stunde – Jerusem
2.19 19. Stunde – Urantia
2.20 20. Stunde – Edentia
2.21 21. Stunde – Paradies
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Kurze Zusammenfassung zur Historie des Studios auf Wikipedia:
http://de.wikipedia.org/wiki/Studio_für_elektronische_Musik_(Köln)

Und der passt hier auch gut rein:

Frage: Was schlagen Sie vor, wie wir zwischen Elektronischer Musik und musikalischem Abfall unterscheiden sollen?

Stockhausen: Die meiste Elektronische Musik ist Abfall: Das steht außer Frage. Die untalentiertesten Komponisten sind in Studios aufgetaucht, weil sie keine Chance hatten, irgendwo anders zu komponieren, und so sitzen sie also in den Studios herum und sagen sich: »Nun gut, schau Dich um, versuch Dein Glück« - und da sind sie also. Denn sie glauben mehr an die Mittel als an sich selbst: sie meinen, wenn sie moderne Mittel verwenden, so würde das Ergebnis interessant sein wegen der Mittel - was ein fürchterlicher Irrtum ist.

Karlheinz Stockhausen, „Texte zur Musik 1970 – 1977“, Band 4
Ausschnitt aus „Frage und Antworten zu den ‚Vier Kriterien ...’“
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Eine sehr schöne Antwort, die man in diesem Forum sehr wohl als Signatur gebrauchen könnte ;-)
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Den Hinweis auf die Diskussion zu den musikalischen Nullen verbeisse ich mir mal.
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Elektrokamerad schrieb:
Frage: Was schlagen Sie vor, wie wir zwischen Elektronischer Musik und musikalischem Abfall unterscheiden sollen?

Stockhausen: Die meiste Elektronische Musik ist Abfall: Das steht außer Frage. Die untalentiertesten Komponisten sind in Studios aufgetaucht, weil sie keine Chance hatten, irgendwo anders zu komponieren, und so sitzen sie also in den Studios herum und sagen sich: »Nun gut, schau Dich um, versuch Dein Glück« - und da sind sie also. Denn sie glauben mehr an die Mittel als an sich selbst: sie meinen, wenn sie moderne Mittel verwenden, so würde das Ergebnis interessant sein wegen der Mittel - was ein fürchterlicher Irrtum ist.
Leider beantwortet das nicht die Frage.
Wie Herr Stockhausen herausgefunden hat, dass die anderen Komponisten untalentiert sind und Abfall produziert haben, sagt er nicht.

Schöne Grüße,
Bert
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Sicherlich auf Grund seiner musikalischen und künstlerischen Erfahrung und Kompetenz. Und eine differenzierte Beantwortung der Frage ist in einem solchen Gespräch sicherlich nicht möglich. Aber vielleicht sind es ja die "Vier Kriterien der Elektronischen Musik", auf die sich das Gespräch bezieht, die eine Beurteilung von Qualität aus Sicht von Stockhausen zulassen. Als künstlerischer Leiter des Studios zur damaliger Zeit gehörte es zu seinen Aufgaben, Komponisten auszuwählen und einzuladen, im Studio zu arbeiten. Dass Herr Stockhausen über die Kompetenz zur Beurteilung verfügte, sollte hier sicherlich nicht in Frage gestellt werden. Ich empfehle bei Interesse die ersten 4 Bände von Karlheinz Stockhausen "Texte zur Musik", die über den Stockhausen Verlag zu annehmbaren Preisen bezogen werden können.
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Elektrokamerad schrieb:
Sicherlich auf Grund seiner musikalischen und künstlerischen Erfahrung und Kompetenz.
Entschuldigung, da hatte ich ungenau nachgehakt. Die Frage war gewesen, wie WIR die Spreu vom Weizen trennen sollen. Und das hätte mich schon interessiert.

Elektrokamerad schrieb:
Dass Herr Stockhausen über die Kompetenz zur Beurteilung verfügte, sollte hier sicherlich nicht in Frage gestellt werden.
Das wollte ich damit auch nicht in Frage stellen. Nur der Bitte, uns daran teilhaben zu lassen, ist er nicht nachgekommen. Und für ein paar Anhaltspunkte hätte die Zeit möglicherweise schon gereicht.

Schöne Grüße,
Bert
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Nimm den Vortrag, der dir in schriftlicher und mündlich vorgetragener Form einschließlich der erläuternden Musikbeispiele vorliegt. Auch dem Dümmsten sollte dann klar sein, dass in der musikalischen Welt des Karlheinz Stockhausen Dudeln nicht vorgesehen ist. Dazu gerne noch:

Frage: Wenn Sie so viel Zeit darauf verwenden, Ihre Musik herzustellen und zu kommunizieren, stört es Sie dann nicht, daß sie nicht mit einer großen Zahl der Menschheit kommuniziert?

Stockhausen: Oh nein. Wenn ich das gewollt hätte, so wäre ich der beste Konkurrent der Beatles gewesen, und was die für nur sieben Jahre geschafft haben, hätte ich wahrscheinlich ein bißchen länger geschafft, denn Sie können sicher sein, daß ich niemals in solch einem Quartett gearbeitet hätte. Nein, wann immer die große Menge sich nach der Mode richtet, dann richtet sie sich nach Mittelmäßigkeit und Banalität.

---

und:


Ein Briefwechsel im 'Geiste der Zeit'

andreas hilsberg

6 frankfurt/m., d. 19. 10. 71
wiesenhüttenplatz 34
tel: 23 24 10

herrn
professor karlheinz stockhausen
5 köln
musikhochschule

sehr geehrter herr stockhausen,
in anschluß an donaueschingen habe ich eine frage an sie, die ich ihnen in der fürstenbergischen brauerei schon einmal stellte. durch ungenaue formulierung meinerseits und durch die zeitliche begrenzung der diskussion kam es zu einem mißverständnis.
ganz kurz möchte ich mich ihnen vorstellen: ich bin student der musik, germanistik und der materialistischen soziologie in frankfurt. mein spezialgebiet ist zielpublikumsgebundene komposition mit den mitteln der musik, der sprache und des theaters. in seminaren der musikhochschule habe ich mich mit einigen ihrer werke genauer befaßt.
meine frage an sie ist nun: wie sehen sie ihre komposition im spiegel der gesellschaft und welche auswirkungen gesellschaftlicher art kann die tatsache haben, daß ihre werke nur an eine spezifische schicht der bevölkerung verkauft werden? die masse der menschheit ist von ihrer musik ausgeschlossen: die masse gesellschaftliche werte schaffender arbeiter. ich meine damit keinesfalls - wie sie es verstanden haben -, daß von ihrer musik nicht viel verkauft wird; soweit ich es überschauen kann, sind sie der E-musikkomponist mit dem größten marktteil (unter den zeitgenössischen komponisten).
ich glaube, eine beantwortung dieser frage gefunden zu haben - sie ist aber ungeheuerlich.
woher weiß ich nun, daß arbeiter ihre musik nicht hören? einmal haben mir meine kontakte zu arbeitern und lehrlingen dies bestätigt - das würde auf die gesamtheit der arbeitenden weltbevölkerung jedoch noch wenig aussagen. eine andere - theoretische - erklärung ist besser: der arbeiter lebt in zwei welten:
seine arbeitszeit und seine freizeit. in der freizeit darf er nicht produktiv sein, sie ist dazu da, seine während der arbeitszeit verbrauchte energie wiederherzustellen. um ihre musik zu hören, muß der hörer jedoch selbst produktiv sein, und sei es gedanklicher art. aus dem aspekt der konsumhaltung ist ihre musik nun mal nicht zu verstehen. somit tritt der widerspruch auf, daß sie mit den produkten der arbeiter komponieren und produzieren (zb technische geräte etc.), aber nicht für die arbeiter komponieren. die arbeiter produzieren die gesellschaftlichen werte, die ihnen, mir und vielen anderen die möglichkeiten zu differenziertem leben eröffnen, sie selbst sind jedoch davon ausgeschlossen.
welche folgerung, meinen sie, ergibt sich nun daraus oder mache ich einen denkfehler? sie würden nicht nur mir, sondern auch vielen anderen studenten einen großen gefallen mit der beantwortung dieser frage tun. wir haben uns in der analyse festgefahren und könnten vielleicht mit ihrer antwort weiterarbeiten.
eine zweite überlegung habe ich noch zum thema der donaueschinger diskussion angestellt: es tauchte der widerspruch auf: forderung nach flexibilität des orchesterapparates und individualisierung des orchesterbetriebes gegenüber den finanziellen realitäten. sie sagen selbst, daß die entwicklung des orchesterapparates stocken muß, wenn die bisherige praxis beibehalten wird. ihre forderung an das orchester ist die einzig wahre und richtige, aber sie wird solange nicht durchführbar sein, wie sich die gesellschaftlichen produktionsverhältnisse nicht ändern. seit jeher war die kultur - kunst, religion und rechtsprechung - ein spiegelbild der gesellschaftlichen verhältnisse. so ists nun auch mit dem orchester . solange unsere produktionsverhältnisse streng geteilt sind in produzenten und konsumenten, in kapitaleigner und arbeiter, kann sich auch das schlimme orchesterwesen nicht ändern. die tendenz wird eher weiter in die richtung gehen, wie sie aus new york berichtet haben (ich meine jetzt die sache mit dem gewerkschaftsvorsitzenden am dirigentenpult).
sie haben nun das interesse artikuliert, diese verhältnisse zu ändern. ziehe ich die letzte konsequenz aus dem vorher gesagten, genauer gesagt: würden sie jetzt die konsequenz aus dem vorher gesagten ziehen, müßten sie ihren kaum übersehbaren riesigen einfluß auf das moderne kulturleben dazu benutzen, die gesellschaftlichen produktionsverhältnisse zu ändern und auch musik für die arbeiterklasse schreiben. erst dann wird sich ihre musikalische und außermusikalische forderung an den menschen schlechthin verwirklichen lassen.
dies ist die - von mir vorhin angekündigte - unheimliche lösung. ich sehe dies als einzigen ausweg, der ihrem in donaueschingen artikulierten interesse entspräche.
ich hoffe, mit meinen gedanken ihre zeit nicht übermäßig beansprucht zu haben - aber mit mir warten noch viele auf eine antwort von ihnen und wir wären ihnen dafür sehr dankbar .
ich grüße sie und ihre kinder, die ich in donaueschingen per augenschein kennengelernt habe und um ihren vater beneide, sehr herzlich

andreas hilsberg






Karlheinz Stockhausen 5073 Kürten

2. November 1971

Sehr geehrter Herr Andreas Hilsberg,

Ihr Brief ist wirklich unerhört. Sie behaupten Dinge, die Sie vorher nicht geprüft haben. Ich habe in Osaka für ca. 1 Million Menschen meine Musik 5 1/2 Stunden pro Tag aufgeführt für 183 Tage. Das entspricht einer Konzerttätigkeit von 16 Jahren mit 70 Konzerten pro Jahr für ca. 1000 Personen am Abend. In Japan waren alle Bevölkerungsschichten im Auditorium, und selbstverständlich waren die allermeisten aus der Arbeiterschicht.
Die von Ihnen genannte >Masse der Menschheit< ist keineswegs von meiner Musik ausgeschlossen. Ich komme selbst aus der >Masse< und habe in meiner Familie nur Bauern und Arbeiter. Diese Menschen bemühen sich, soweit das ihnen von der musikalischen Begabung her möglich ist, auch meine Musik zu verstehen, und nicht nur Lehar.
Sie machen einen Denkfehler, wenn Sie annehmen, daß jeder Mensch potentiell dazu in der Lage sei, sich mit Musik zu befassen, wie ich sie mache. Ich kenne eine ganze Reihe von Leuten, die beliebig viel Zeit haben, und absolut nichts mir meiner Musik anfangen können. Das wird wahrscheinlich sogar für die allermeisten Menschen der Fall sein, deren musikalisches Interesse sich bei relativ einfachen und auf Wiederholung historischer Klischees beruhenden musikalischen Erzeugnissen am wohlsten fühlt. Ich bin vor kurzem in Wien in einer Aufführung der >Lustigen Witwe< gewesen. Wenn Sie sich das Publikum angesehen hätten, wären Sie erstaunt gewesen über den Wohlstand dieser Leute.
Deren Geschmack würde aber mit meiner Musik überhaupt nichts anfangen können.
Sie sind auf dem Holzweg, wenn Sie meinen, alles sei für alle auf dieser Welt.
Es gibt sehr arme Leute, die einen ausgezeichneten Geschmack und eine sehr musikalische und auch fortschrittliche Bildung haben, Und es gibt eine überzahl von Leuten der besitzenden Mittelklasse und vor allen Dingen von sehr reichen, die total geschmacklos und unmusikalisch sind.
Mein Publikum rekrutiert sich im wesentlichen aus den jungen Menschen in des ganzen Welt, die für die Zukunft offen sind. Ich sehe, dass Ihre Erziehung an der Universität Sie völlig weggeführt hat vom Verständnis für das, was Musik überhaupt ist. Sie werden sehr bald selbst prüfen können mir den Prinzipien Ihrer materialistischen Soziologie, was der ‚Arbeiter’ anfängt, wenn die Automatisation soweit fortgeschritten ist - und wir sind ja sehr nahe daran -daß diejenigen, die die Apparate produzieren, nicht nur 3, sondern 4 Tage pro Woche frei haben werden. Ich sage Ihnen jetzt schon im voraus, daß diese Arbeiter, obwohl sie dann 4 Tage pro Woche frei haben werden, wahrscheinlich x mal eine Reise zu irgendwelchen Fußballspielen machen und den Rest der Zeit vor Femsehempfängern verbringen werden; daß sie sich aber den Teufel scheren um Musik, wie ich sie mache. Das wird die Allgemeinheit betreffen. Einzelne Ausnahmen gibt es natürlich immer.
Sollten Sie aber darauf hinaus sein - wie vielleicht noch mehrere Ihrer Mitstudenten und Lehrer -, daß Sie Leute wie mich durch irgendwelchen ideologischen Druck zwingen wollen, Musik von einer Art zu machen, die mit relativer Vorhersehbarkeit jedem gefällt, so primitiv auch sein Geschmack ist, so sind wir wieder da angekommen, wo die Nazis schon einmal waren. Die haben ja nicht umsonst die meisten Komponisten und Künstler >entarteter Kunst< aus dem Land hinausgejagt und ihre Arbeit verboten. Deren Musik war eben auch nicht genug >populär<. Ob Sie das Ganze unter dem fadenscheinigen Namen einer materialistischen Soziologie vertreten oder einer nationalsozialistischen: das Ergebnis kommt ziemlich auf das gleiche hinaus. Wie Marcuse schon sagte: In den achtziger Jahren wird das Wort Kunst ein Schimpfwort sein. Und Sie sind eine der kleinen Ameisen, die zum Zerfressen des allgemeinen Bewußtseins von Qualität mit beitragen, ohne es zu wissen.

Freundliche Grüße trotzdem von Ihrem

Stockhausen
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Elektrokamerad schrieb:
Nimm den Vortrag, der dir in schriftlicher und mündlich vorgetragener Form einschließlich der erläuternden Musikbeispiele vorliegt. Auch dem Dümmsten sollte dann klar sein, dass in der musikalischen Welt des Karlheinz Stockhausen Dudeln nicht vorgesehen ist. Dazu gerne noch: (Frage und Antwort siehe oben)
Auf die Frage bzw. Aufforderung "Butter bei die Fische!" die Beschriftung einer ausgeliehenen Lättadose und einen Vogel vorzuzeigen, ist keine Antwort.

Schöne Grüße,
Bert
 
Re: 5.2.2011, Besuch Elektronisches Studio WDR, Köln

Typisch frühe 70er Jahre, alles musste politisiert sein. Das liest sich heute schon historisch.

Ich fand die "linken" Komponisten schon immer eher belustigend.
Wie Nono damals, der mit BMW und Pelzmantel vorfuhr, um seine Musik in Fabriken aufzuführen und den Arbeitern von Fiat etwas über die Weltrevolution zu erzählen. :lol:
Oder Henze, der von seinem italienischen Palazzo aus seine Solidarität mit den Unterdrückten der Welt bekundet.
Wie ein Freund von mir imme gerne sagt: Man muss sich seinen Kommunismus halt auch leisten können. :lol:

Gruß,
Markus
 


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