Sehr schwer zu beantworten. Es gab in den späten 60ern und 70ern einige elektronische Stücke, die heute zwar eher "cringe"* sind, aber damals eingeschlagen haben wie eine Bombe und entsprechend weitere Künstler inspiriert haben. (Zb. Popcorn)
Ich versuch es mal, aus meiner Sicht, zusammenzufassen:
60er: Elektronisch ging da sehr wenig. Da wurde noch viel über Liebe und Sommer gedichtet. Next.
70er: In diesem Jahrzent wurden Synthesizer tragbar und erschwinglich. Modularsysteme, Minimoog, die ersten Oberheims und Arps, später dann Prophet, Fairlight und Synclavier. Und das Zeug wurde auch genutzt.
Hier gabs bereits alles. Rein elektronische Musik a la Tangerine Dream und Klaus Schulze, Disco mit Unterstützung von Synthesizern (Giorgio Moroder, Bobby Orlando), einfache Popmusik mit Synthesizer Elementen (Eruption, Abba, The Millionairies), rein elektronische "tanzbare" Musik wie zb. Kraftwerk und Space. Nicht zuletzt waren in den 70ern etliche Hörspiele (Das Auto Blubberbumm) und Filmsoundtracks mit Synthesizern untermalt worden. Meist für Soundeffekte genutzt (Star Wars), hielten Synthesizer trotzdem auch musikalisch Einzug in diversen Produktionen und Musicals (zb. Jeff Waynes War of the Worlds) - Während ein Jahrzehnt früher alles noch auf Hippie und Summer of Love getrimmt war, war in den 70ern so vieles möglich und machbar.
80er: Hier wurde ich geboren und dies ist das (für mich) wichtigste Jahrzehnt der elektronischen Musik. Zwar gab es bereits in den 70ern digitale Sampler, in den 80er Jahren wurden diese aber massentauglich und bezahlbarer. So hat sich auch die Musik entsprechend entwickelt. MIDI kam auf den Markt und die ersten Drumcomputer mit Programmierung und Samples gabs da auch. Rein elektronische Musik war da schon länger nichts neues mehr, wurde teils auch entsprechend einfach und "von der Stange" produziert (Stock, Aitken und Waterman oder Italo Disco) , weil man mit einem Sampler, Synthesizer und Drumcomputer bereits einfache Tracks stricken konnte. Die 80er haben auch einige Stilelemente hervor gebracht: Gated Snare, gepitchte und tonale gespielte Vocalsounds, Orchestra Hits, reine Drumcomputerloops und das berühmte Fade-Out am Songende. Hier kamen so viele Stile neu auf und wurden vermischt und neu arrangiert. Zb. New Beat aus Belgien: Drumcomputer, Synthesizer und Sampler. Fertig ist der Lack. Synthesizer haben damals auch schon kräftig den Weg in die 08/15 Mainstream-Popmusik gefunden. Hier wurden Minimoogs, Oberheime und Fairlights verwendet, was das Zeug hält. Längst auch zum produzieren, kaschieren oder arrangieren, nicht nur als Soundlieferanten. Ganze Werke sind auf Fairlights entstanden und selbst im damaligen Hair-Rock Genre gab es unzählige Synthesizer (Rush hatte einen Prophet VS, The Cars Jupiter 8, CMI und Prophet, Bon Jovi DX7 und Memorymoog, etc) - Plötzlich waren auch ganz andere Sounds am Start. Die markanten DX7 Pianos, die in keiner Ballade fehlen durften. Der typische Synthbrass Sound für langhaarige Rockgruppen und wuchtig stampfende LinnDrum, welche so manch einen Drummer arbeitslos machte. Auch in Hörspielen, Soundtracks und Musicals wurden Synthesizer immer mehr eingesetzt. Ganze Filme wurden rein mit Synthesizern vertont (Tron) hatten einen markanten Einfluss auf den Soundtrack (Chariots of Fire, Blade Runner) Gegen Ende der 80er war es dank MIDI und Atari für jedermann mit einem Budget von 10'000.- möglich, sich ein eigenes Studio ins Schlafzimmer zu stellen. So entstanden unzählige Techno, Electro und sonstige Tracks. Synthesizer waren so ein grosses Thema geworden, dass es unzählige Bücher, Soundbänke, Erweiterungskarten und Presets gab. Firmen wie zb. MetraSound schossen nur so aus dem Boden und man konnte sich förmlich arm kaufen an neuen Sounds für den eigenen Lieblingssynthesizer.
90er: Die 90er waren musikalisch zwar (aus heutiger Sicht) weniger spannend, hatten meiner Meinung nach jedoch den grössten Wandel durchgemacht. Anfang 90er kamen bezahlbare Sampler und die ersten Rompler auf den Markt (ok, die gabs teilweise schon in den 80ern) - Plötzlich waren analoge Synthesizer ausser Mode gekommen. In waren Saxofon, Flöten, Streicher, Pianos und das ganze Standardgemüse, welches so ein Proteus Soundmodul eben auf die Schnelle anbot. Dies brachte auch eine ganze Reiher Musiker hervor, die sich Projekten wie "Synthesizer Greatest" annahmen und mit wenigen Geräte in der heimischen Stube berühmte Melodien nachgebaut haben. Derartige CDs und Alben gibts es zu tausenden, meist in sehr unterschiedlicher Qualität, aber alles mit dem gleichen Ziel, möglichst viel Kohle mit fremden Werken einzufahren. Selbst heute findet man in jeder CD Kiste auf dem Flohmarkt min. eine CD mit "den grössten Synthesizer-Hits". Die frühen 90er waren dominiert von seichten Balladen und Kuschelmusik, bevor die E-Gitarren den Synthesizer im Mainstream wieder etwas verdrängten. Nebenbei wurde Techno auch immer mehr im Mainstream populär und Acts wie Scooter, Blümchen, Dune, Twenty4Seven, etc. wurden in grosser Anzahl im Radio und auf Musiksendern gespielt. Techno war überall. Sei es im massentauglichen Eurodance mit weiblichem Gesang, im kindlichen Happy Hardcore a la Blümchen und Das Modul oder im locker flockigen 4/4 Groove in der Werbung. Dank erschwinglicher Sampler und mittlerweile spotbilligen Analogsynthesizern, schossen Techno-Acts aus dem Boden wie Pilze, und es wurde gecovert und gesamplet was das Zeug hielt. Damals nahm man es mit Sampling von fremdem Material nicht so genau, und viele Samples dürften ungecleared in irgendwelchen Technoschinken aufgetreten sein. Mitte der 90er hatte Techno und die entsprechende BPM Anzahl ihren Höhepunkt. Nach 1996 kamen kam noch zackige Stücke (im Mainstream) raus und alles hat sich etwas beruhigt. Robert Miles liefert mit "Children" einen Meilenstein in der Technoszene und gründete das berühmte Dream House/Dance Genre, welches ein Jahr später so schnell wieder verschwand wie es gekommen ist, nachdem es doch einige mehr oder minder erfolgreiche Nachahmer gefunden hat. In den späten 90ern kam auch so eine Art "Ethno"-Welle. Viele Filme hatten dieses ethnische Thema auch die Musik griff auf exotische, arabische oder abendländische Elemente zurück. Aus dem flotten Eurodance wurde plötzlich das etwas ruhigere Pop-Reggae (Heath Hunter, Ace of Base, Mr. President) und gefragt waren exotische Sounds wie Panflöte, Steeldrum, Offbeat-Pianos und andere Elemente, die an Urlaub, Karibik und Sun n' Fun erinnern sollen. Um 1998 rum entwickelte nebenbei noch Electro und Breakbeat. Obwohl dieses Genre bereits in den 80er existierte, florierte diese Musikrichtung Ende der 90er Jahre umso mehr. Breakdanke war wieder cool, die 808 wurde ausgepackt und zerstückelte Beats waren der heisse Scheiss. Später entwickelte sich diese Genre dann zu Two-Step, bevor man das Zeug wieder für nichtig erklärte. Parallel dazu gabs fette Technoparties und Trance war das ultimative Genre in den ganz späten 90er Jahren. Virtuell analoge Synthesizer a la JP8000 und Virus, sowie immer leistungsstärkere Computer erlaubten die Produktion von entsprechend komplexen Stücken. Während der Ethno-Trend auch wieder etwas abflachte, blieb das technoide und elektronische Element im Mainstream und Alltag. Hinzu kamen dann auch plötzlich neuartige Stimmeffekte a la Cher und Eiffel 65 (Bevor das jetzt wieder losgeht. Beides war KEIN Autotune. Ich habe Beweise
) und vocoderähnliche Spielereien wie bei Gigi d Agostino, Wamdue Project oder Daft Punk. Was heute als total normal und overused gilt, war damals eine Neuheit und eine kleine Sensation. Und schon waren die 90er vorbei.
00er: Anfang der 00er Jahre war besonders Trance ganz gross und hat sich in diverse Genres abgespalten. Vocal Trance, Uplifing Trance, Hard Trance, etc.... DJs schossen dank moderner Technik und entsprechenden Computern wie Pilze aus dem Boden und releasten einen Track nach dem anderen (Mauro Picotto) oder gingen als One Hit Wonder in der Versenkung verschwunden. Kurzzeitig entwickelte sich aus dem Breakbeat der 90er Two Step und brachte einige Perlen (Artful Dodger) hervor, ging aber sehr rasch wieder in Vergessenheit. Im Mainstream kam langsam dieser platte und polierte Popsound an, der zwar oftmals mit Synthesizern produziert wurde, aber klanglich eher belanglos war. Moderne und schnelle Computersysteme ersetzten nach und nach den Sampler und Synthesizer im Studio, auch wenn hier zusätzliche Hardware nötig war (Powercore, Pulsar, Gigasampler, etc) - Total Recall war in Mode, multitimbrale Geräte waren out und es zählten vorallem die Anzahl Stimmen und Presets. Um etwa 2004 herum, gab es dann auch plötzlich wieder eine neue Art des Techno: Hands Up. Meist im deutschen Lande produziert, konnte man sich dank Fruity Loops, Vanguard und Vengeance Sound den eigenen Partyhit zusammenschustern. Techno war wieder da! Acts wie Groove Coverage oder Special D. feierten grosse Erfolge mit dem neuen Sound, während man sich klassischer Melodien und Hooklines bedient. Dieser Sound wurde, weil einfach und billig (höhö, Piratebay) produzierbar, auch von diversen Partymusikern für weniger seriöse (aber nicht unbedingt erfolglose) Stücke verwendet. Feiern war angesagt. Party, Saufen, Tanzen und die Sau rauslassen war das Thema. So gab es dann auch Acts wie DJ Kloficker (ernsthaft??) oder Bang Bros. Der Sound war aber immer der gleiche. Nach der Mitte der 00er Jahre wechselte der Mainstream komplett. Die Hitparade dominierten Punk-Rock (Green Day, Billy Talent), Schnulzen und 08/15 Gejaule (Vanessa Carlton, Leona Lewis) und immer mehr RnB und HipHop (Nelly, Neyo, 50Cent), gewürzt mit glattgebügeltem seichten und belanglosem Pop, meist aus der Feder von Timbaland (Justin Timberlake, One Republic, Nelly Furtado). Der Techno und Handsup Trance der frühen 00er Jahre war vorbei, kam aber immer noch bei einigen Klingeltonwerbungen durch (Mr. Chaos, Schnuffel, Crazy Frog, etc....) Es bildete sich wieder eine ruhigere Fraktion und Electro House startete durch. Die Clubs spielten David Guetta, Benny Bennassi oder Fedde le Grand. Das Rezept war einfach: Melodie aus den 80ern geklaut, gemächlicher Housebeat drunter und die Bassline einen epileptischen Anfall haben. Diesen Elektrohouse musste ich während meiner gesamten Clubgängerzeit (ungefähr 2006-2010) ertragen, und einige Stücke wollten wohl nicht aussterben. Dieser pumpende, totkomprimierte und langweilige Einheitsbreit ging aber ab und hatte viele Anhänger. So nahmen auch die 00er Jahre langsam ein Ende.
10er: Hier war für mich die Schmerzgrenze erreicht. Dank einigen Arbeitskollegen, wusste ich immer gerade was aktuell und neu war. Elektrohouse hat sich etwas weiter entwickelt und wurde wilder und war weniger Musik, mehr Effekthascherei (hey, guck mal. Ich kann 10 Automationsspuren gleichzeitig machen) - Musikalisch hat man sich so entwickelt dass die Vocals ganz vorne stehen und mit dem Lauf der Jahre immer trockener wurden. Während man früher nicht genug Hall auf der Stimme haben konnte, steht diese nun "in your Face" vorne, während der Rest hinten etwas vor sich her dümpelt. Im elektronischen Bereich bildet sich daher Dubstep. Das Ergebnis wenn man wohl an allen Reglern seiner H2O-Vst's dreht, ohne zu wissen was man macht. Rhythmus auf halben Beat programmiert und dazu etwas Geschrammel. Dieser unsägliche Trend, der nach f*ckenden Robotern klingt, hat sich zum Glück nicht all zu lange gehalten und ab Mitte der 10er Jahre wieder verflüchtigt. Dafür ist die Party-Mukke aus den frühen 00er Jahren zurück. Übergrosse Brille, schrille Farben und eine möglichst auffällige Tanzchoreografie, sind in Mode. Auch wenn den Text niemand versteht oder überhaupt Sinn macht, es kommt an. Je dümmer, desto besser. So liefern "Party Rock Anthem" und "Gangnam Style" Riesenerfolge und alle feiern mit. Heute kennt zwar niemand mehr diese Stücke, damals kam man aber (leider) kaum drum rum. Die Musik entsteht zu der Zeit komplett im Macbook und Hardware ist doch was für Hinterwäldler. Man kann ja seit 10 Jahren schliesslich alles im PC machen. In den frühen 10er Jahren bildete sich plötzlich auch ein anderer Trend, der sich nicht nur auf die Musik beschränkt: Der Retro-Trend. Waren die 80er Jahre noch eben verpönnt und peinlich, keimen langsam wieder Projekte und Liebhabereien zu Kulturgut aus den 80ern auf. 8Bit Spiele und Pixel waren wieder in Mode, Chiptunes und dessen Elemente waren plötzlich cool, Lo-Fi war angesagt, Vinyl ist hip und Kassettendecks erleben ein Revival. Bis zum Ende der 10er Jahre etabliert sich eine richtige Neo-80s Welle. Hornbrille, Karottenhosen, Walkman, 8Bit und 80er waren plötzlich Kult. Retro und Vintage werden zu neuen Buzzwords. Antike Geräte wie Synthesizer, Stereoanlagen, Spielkonsolen, Fernseher oder Unterhaltungselektronik sind plötzliche gesuchte und teuer bezahlte Objekte und die Gebrauchtpreise steigen ins Unermessliche. Hier entsteht auch plötzlich dieser Neo-80s Style und bringt neue Electro-Punk Bands zum Vorschein, die mit MicroKorg und GarageBand die Gesellschaft und deren Zerfall besingen. Auch gibt es die Synthwave Bewegung die sich vorallem mit überspitzt dargestellten Autos, die neben Polygonpalmen in die Sonne fahren, durch ebenfalls überspitzte 80er Klischees einen Namen gemacht hat. Jegliche Reissues, Emulationen oder VST Adaptionen holen den 80er Sound direkt aufs MacBook. Und jeder hat Zugriff darauf. So können selbst Leute mit Jahrgang 2002 nochmal ganz detailgetreu deren Zeiten in den 80er Jahren aufleben lassen.
20er: Eigentlich fing das schon vorher an, aber hier wirds ganz eklig. Trap (Abkürzung für That's Crap) ist der neue Shit. Wilde 808 Hihat Pattern wechseln sich mit einer tonal gespielten BD ab, während im Hintergrund ein Vocalsample über den ganzen chromatischen Tonumfang geschoben wird "Eh Eh Ih OH" - Natürlich alles auf einem Macbook mit Freeware entstanden und durch möglichst viele Saturator, Lo-Fi und Retro Plugins gejagt, damit das fehlende Talent als klangliche Meisterleistung enttarnt wird. Der Gesang ist mittlerweile von einem gelangweilten Teenie ohne erkennbare Stimmqualität aufgenommen und mit allen möglichen Tools an den Song angepasst worden. 19 Jährige Teenies verdienen sich mit einem Beat, den sie in 5 Minuten nach einem YT Tutorial zusammengeschuster haben, eine goldene Nase weil der Dreck als Stockaudio Track überall eingesetzt wird. Der Tiefpuntk der Musik und des Musikkonsums ist erreicht. Im Mainstrem kommt der x-te 80s soundalike und alles klingt gleich langweilig und bescheiden. Ich behaupte, die 20er Jahre haben noch nicht all zu viel gescheite Musik zu Tage gefördert.
So, wer es jetzt bis hierhin geschafft hat, darf gerne ein Like da lassen. Ich wollte eigentlich seit ner Stunde im Bett sein, habe die ganze Flasche Wein ausgetrunken und mich wirklich kurz gefasst.
Also wäre so ein Like das mindeste