König: Trifft dieser Eindruck überhaupt zu, gibt es heutzutage mehr Konflikte, Krisen, Kriege als früher?
Kahl: Das lässt sich so ohne Weiteres nicht behaupten. Wenn wir uns einfach mal Statistiken angucken, die vorliegen über die letzten Jahre, sagen wir, seit 1946, dann ist es eher auffällig, dass die Zahl der Konflikte seit, sagen wir, Ende des Ostwestkonfliktes, also zu Beginn der 90er-Jahre, abgenommen hat und nicht zugenommen hat.
Das trifft sowohl auf zwischenstaatliche Konflikte, also das, was wir als klassische Kriege bezeichnen, und auch auf innerstaatliche Konflikte, also beispielsweise Bürgerkriege. In beiden Kategorien ist sozusagen eine Abnahme festzustellen. Wobei man auch noch sagen muss, dass die Zahl der gewalttätigen Kriege auch zurückgegangen ist und die Zahl kleinerer Auseinandersetzungen zugenommen hat. Aber insgesamt ist die Zahl in beiden Kategorien rückläufig.
König: Gleichwohl hatten wir auf unserer Redaktionskonferenz gestern sozusagen in Gruppe den Eindruck, dass man Kriege heutzutage verstärkt wahrnimmt, weil man einfach die Bilder und die Töne Tag und Nacht zu hören, zu sehen bekommt. Ist da was dran?
Kahl: Das wäre sicher ein Erklärungsansatz. Zum einen kann man vielleicht feststellen, dass sich zumindest in den liberalen westlichen Gesellschaften ja doch eine erhöhte Sensibilität gegenüber Gewaltanwendung im Allgemeinen herausgebildet hat. Gewalt gilt in der Gesellschaft als was Schlechtes, als was Abzulehnendes.
Und zum anderen spielt sicherlich eine globale Medienpräsenz eine größere Rolle, als das früher der Fall war. Denken Sie zum einen daran, wir haben vielleicht so eine Medienkonkurrenz global agierender Medienkonzerne, die sich natürlich um Bilder rangeln und alles das, was sendbar ist, eben auch senden.
Also, wir diskutieren das natürlich auch unter Fachkollegen, und es gibt eben auch einen Teil von Kollegen, die genau dieser Meinung anhängen, dass die Konflikte immer mehr werden, dass sie auch immer brutaler und schlimmer werden. Was aber eine These ist, die sich über Statistik nicht verifizieren lässt.
Wir fragen uns dann natürlich auch, woran liegt das, dass dieser Eindruck entsteht, dass es immer mehr Konflikte und auch immer brutalere Konflikte gibt. Ich glaube, es liegt auch daran, dass man viele brutale Konflikte, die in der Vergangenheit stattgefunden haben, gar nicht mehr präsent hat. Denken Sie beispielsweise an den Anfang der 70er-Jahre, der Krieg in Bangladesch, wo in relativ kurzer Zeit es eine Million Tote gab, das weiß heute überhaupt niemand mehr. Und man setzt sozusagen die Gewalt, die momentan stattfindet, absolut und ist nicht mehr in der Lage zu relativieren mit anderen, früher stattgefundenen großen Gewaltvorkommnissen.