Bernie schrieb:
Ich kenne den Buchla 200e nicht wirklich, nur so bischen vom Zuschauen beim Happy Knobbing. Nach dem, was ich bisher gehört habe, scheint das Teil doch eher für wüste Klangschraubereien, Effekte, Modulationen, Experimente geeignet.
Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, dass aus meinem 200e fortwährend vernünftig gestimmte Melodienfolgen purzeln. Die gab's auch schon beim HK zu hören. Für meinen Geschmack ungleich hörenswerter sind Stücke von Lyonel Bauchet:
Buchla produziert seit über 50 jahren Synthesizer aber immer wenn es um das Thema "MUSIK" im Zusammenhang mit "BUCHLA" geht, finden sich stets die selben Namen wieder: Morton Subotnik, Suzanne Ciani, kurze Zeit auch Wendy Carlos, später mit dem 200e noch Richard Lainhart und noch ein paar wenige Musiker, die sich an einer Hand abzählen lassen. Fast alles andere, was ich bisher von Buchlas gehört habe, war klickediklack, Schnurzklackbömm, Zurpdischnurp und die berühmte Buchla Bongo, aber einen richtig fetten Bass und saftige Filtersweeps habe ich bei einem Buchla noch nie gehört.
Sind ein "richtig fetter Bass und saftige Filtersweeps" – Moment, da fehlt doch was: ja genau, die "warme Fläche"! – das
ausschließliche, einzig mögliche und allein vorstellbare Maß aller Dinge?
Gibt es denn nicht schon mehr als genug Instrumente, gebraucht und neu, in jeglicher Preisklasse und Ausführung, die vor allem genau diese so über die Maßen sattsam bekannten Klänge liefern sollen?
Muss denn jedes Instrument wie ein bereits existierendes klingen?
Darf ein Synthesizer zur Abwechselung nicht auch mal wie er selbst klingen?
MIr ist die Quelle dieses Zitates leider, leider entfallen, aber jemand sagte mal: "Wenn man damit aufhört, existierende Instrumente zu imitieren, fängt man an, Synthesizer zu imitieren."
Da tröstet es auch nicht, wenn sich die Sequenz nur alle 357 Jahre wiederholen würde, das ist dann doch mehr etwas für Wissenschaftler.
Ich bin nun wirklich der Allerletzte, der sich über die "musikalische Qualität" – hier im Sinne von Noten, Rhythmen und Harmonien gebraucht – der allermeisten 200e-Stücke im Netz ein Urteil erlauben sollte, ich tue es trotzdem (und noch ein bisschen mehr): Bis auf wenige Ausnahmen langweilt mich diese endlose Parade an Subotnik-Avantgarde-Imitaten ebenso unsagbar wie die Stücke, die die Schar der Jarreschulzekraftwerktangerinedreamgiorgiomoroder-Epigonen mit ihren Moogs, Prophets, ob alt oder neu, ins leider so überaus geduldige und nichts vergessende Netz stellen – von den Legionen geistlos vor sich hinrappelnder, vermeintlich tanzbodentauglichem Getöses ebenso zu schweigen wie den wiederholten Aufgüssen progrockigem Tastengegniedels. Und bitte, die erwähnten Musikrichtungen sind nur Platzhalter, ein jeder setze hier ein, was ihn oder sie am liebsten langweilt.
Kurz: Es ist doch wirklich fäkalegal, mit welchem Instrument und welchen Klängen jemand seine Einfallslosigkeit zu kaschieren versucht.
Und das heisst nun wiederum im Umkehrschluss, dass es grundfalsch wäre, die fehlende Qualität dieser Flut an Belanglosigkeiten bestimmten Instrumenten, also den Werkzeugen anzulasten. Es käme doch auch niemand auf die Idee, ein schief zusammengesetztes Regal dem Hammer anzulasten!
Liege ich denn richtig, wenn ich den Buchla so auf eine Stufe mit dem EMS VCS-3 oder AKS stelle? Das sind ja auch mehr schräg klingende Effektkisten und mehr für spezielle Sounds geeignet.
Nein. Man kann tatsächlich darauf chromatisch gestimmte Musik machen. Das ist auch nicht besonders schwierig: MIDI rein, fertig, da muss noch nicht einmal eine Tastaturspreizung eingestellt werden. Und wenn man mit Touchkeyboard oder den Sequenzern chromatisch gestimmte Musik machen möchte, ist das auch kein Hexenwerk. Dank der Speicherbarkeit muss man die Oktavspreizung nur einmal auf 1.2V/Oct einstellen, abspeichern, fertig.
Deine Einschätzung des Buchla ist letztlich das Ergebnis einer "sich selbst erfüllenden Prophezeiung", verbunden mit der wirklich irrigen, aber leider sehr weit verbreiteten Annahme, dass
das Instrument für die Musik verantwortlich sei:
(a) Das Buchla 200e-System geht zurück auf 200-System aus den 70er Jahren, dieses wiederum auf das 100-System aus den 60ern.
(b) Das 100-System nahm seinen Anfang als Auftragsarbeit in den frühen 60ern für das "San Francisco Tape Music Center", dort wollte man sich ein Studio für Elektronische Musik (also, räusper, "schräges Zeug") einrichten.
(c) Die einzige Buchla-Platte, die jemals so etwas wie "öffentliche Aufmerksamkeit" erfuhr, war "Silver Apples of the Moon" von Morton Subotnick, der am "Tape Music Center" unterwegs war. Was also machte er mit dem Buchla 100? Richtig, "schräges Zeug".
(d) In den USA wurden viele Universitäten mit 100- und 200-Systemen ausgestattet. Was hört man aus den Universitätsabteilungen für elektronische Musik? Natürlich den Klang gewordenen Fortschritt, nämlich "schräges Zeug".
(e) Don Buchla macht selbst auch Musik, nämlich "schräges Zeug".
(f) Man hört also hauptsächlich "schräges Zeug" aus dem Buchla, also nimmt jeder an, dass der Buchla nur schräges Zeug kann. Entsprechend kaufen Leute, die "schräges Zeug" machen wollen, sich 'nen Buchla – was dazu führt, dass noch mehr "schräges Zeug" aus dem Buchla die Ohren der Welt erfüllt.
Dabei gerät immer weiter in Vergessenheit, dass eine Grundanforderung der "Elektronischen Musik" an ein Instrument ist, dass es jede vom Komponisten gewünschte Tonhöhe stimmstabil erzeugen können muss. Daraus folgt aber auch, dass ein solches Instrument auch auf die chromatischen Skala zu stimmen ist, man mit ihm also auch "normale" Melodien spielen können muss. Man muss nur die für Buchla "typische" frei stimmbare Sensortastur entsprechend stimmen.
Macht aber keiner, denn ein Buchla kann nur "schräges Zeug", das hört man doch…
In diesem Zusammenhang ein kleines Gedankenspiel: Carlos hätte statt mit Moogs "Synthesizer" mit Buchlas "Electronic Music Box" gearbeitet, Buchla wäre auf Carlos' Bedürfnisse eingegangen, so dass die Scheibe "Switched-on Bach" schließlich auf der "Electronic Music Box" eingespielt worden wäre – während Subotnik "Silver Apples of the Moon" mit 'nem Moog gemacht hätte…
Worauf ich hinaus will: Es ist Zufall, dass die Klangwelt der subtraktiven Synthese unsere Vorstellung davon geprägt hat, wie ein Synthesizer zu klingen hat.
Obwohl die EMS ebenso einen hohen Exotenstatus haben, wurden sie jedoch viel häufiger eingesetzt, die Liste der Musiker, die damit wirklich gute Musik gemacht haben, wäre ziemlich lang und reicht von Abba über JMJ, Pink Floyd bis runter zu Zappa.
Ich denke, dass dies vor allem historisch und teilweise geografisch bedingt ist. Buchla hatte nie einen europäischen Vertrieb, EMS war eine britische Firma (die aufgezählten Künstler sind fast allesamt europäisch – aber wo war bei Abba ein EMS zu hören?), EMS hatte nur sehr kurze Zeit einen amerikanischen Vertrieb (auf welchem Stück hat Zappa denn einen EMS gespielt?), der EMS AKS war vergleichweise günstig, der Dollarkurs machte Buchla wiederum nicht günstiger, außerdem macht man mit 'nem Buchla ja hauptsächlich "schräges Zeug"…
…mit 'nem AKS macht man dagegen "On the Run" von Pink Floyds "Dark Side of the Moon", eins der erfolgreichsten Alben aller Zeiten.
Ich finde beim Buchla die komplexe Modulpackung gut und mich faszinieren die vielen bunten Blinkenlights, glaube aber nicht, das mir das musikalisch irgendwas bringen würde.
Ob es Dir etwas bringen könnte, vermag ich nicht zu beurteilen.
Aber wenn Du mit Instrumenten von EMS Musik machen kannst, schaffst Du es auch mit einem Buchla.