Das erstaunliche Drama des Jaroslav Hašek: Man hätte vielleicht seinen berühmten Roman «Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg» etwas besser erfinden können, nicht aber das Leben des Schriftstellers. Über den Katholizismus fand Hašek schon früh zur Lüge. Der dem Glücksspiel zugeneigte Ministrant katapultierte sich allerdings schnell aus dem Schoss der Kirche. Später war Hašek Drogistengehilfe, bis er den Unterrock eines Dienstmädchens als rote Fahne über den Dächern Prags hisste.
Eine Zeitlang war der Schriftsteller auch Tierhändler. Dass er dabei Strassenköter zu Rassehunden umfärbte, passt zu anderen entschiedenen Eingriffen in die Biologie. Als Chefredaktor des früher angesehenen Blattes «Die Welt der Tiere» erfand Hašek eine ganze Menagerie neuer Arten. Urzeitliche Flöhe, Riesenangorakaninchen, Schwefelbauchwalfische und lederschuppige Einhornkälber. «Ich habe mich politisch umgestellt. Ich bin jetzt bei den Tieren», schreibt der Autor in unzweifelhafter Doppeldeutigkeit.
Eine tierische Welt, das war für Jaroslav Hašek die Welt der Menschen. Roh und dumm. Der Dummheit hat der Prager Autor ein literarisches Äquivalent gegenübergestellt, das sie übertreibt und damit gleichzeitig überwindet: den rheumatischen Weltkriegsteilnehmer Josef Švejk, der es allerdings nicht mehr bis zur Front schaffen sollte. Bevor er seinen Roman fertig diktieren kann, stirbt Jaroslav Hašek. Er ist 39 Jahre alt.
Jaroslav Hašek, geboren am 30. April 1883 und gestorben am 3. Januar 1923, war ein lebendes Beispiel für die Zersplitterungen einer Epoche. Während er selbst durch Zeiten der Kriege und Revolutionen ging, gingen diese Zeiten auch durch ihn. Sie richteten Verheerendes an. Psychisch und physisch. Auf regelmässige fünfunddreissig Bier pro Tag hat es Hašek laut Protokoll seiner Ärzte gebracht.
Er war delirierender Dauergast in den Wirtshäusern von Prag, wo er aus den Geschichten der anderen Gäste seine eigenen Texte machte. Er hörte zu, kompilierte und las das Geschriebene auch gleich vor. Die Realität war der Motor eines Werks, in dem es weniger um literarische Verfremdung als um das Fremdsein des Menschen im eigenen Leben ging. Auch da war Jaroslav Hašek ein Beispiel. Er musste viel schreiben, um die vielen Biere zu zahlen, ohne die er nicht hätte schreiben können.
Er ist das Böse schlechthin
Alles, was der tschechische Schriftsteller erfunden hat, ist wahr. Wie aus Kindern, die dem Schicksal gegenüber untertänig sein müssen, später erwachsene Untertanen werden, ist in vielen seiner Prosastücke beschrieben. Das Elend Prags ist vor allem auch das Elend der Kinder, wie Hašek es kannte. Sein Vater war ein depressiver Alkoholiker, der in aller Stille in seinem Zimmer trank.
Im epischen Selbstbezichtigungstext «Meine Beichte» nimmt der Sohn Jaroslav alle Schuld auf sich und inszeniert sich als das Böse schlechthin. Schon im Alter von drei Monaten habe er seine Amme totgebissen und kurze Zeit später den Bruder aufgefressen. «Mein Vater hatte sich aus Gram über meine Verkommenheit erhängt. Mein Mütterchen war von der Karlsbrücke gesprungen, und als man sie retten wollte, kippte sie das Boot mit den Rettern um, so dass diese ebenfalls ertranken.»
Die Katastrophe ist total, und auch wenn alles das nur eine Lüge ist, so kannte sich Hašek in den Prager Ernstfallzonen der Verkommenheit schon als Kind gut aus. Ein gewisser Herr Němeček, früher Matrose, später Dieb und Zuhälter, wanderte mit dem damals Elfjährigen durch die Bordelle. Es soll zu massivem sexuellem Missbrauch gekommen sein. In Jaroslav Hašeks Lausbubengeschichten gibt es eine dröhnende Komik, die es leichtermacht, über das Ernste zu schweigen.
Es gehört zu den Standortnachteilen der Humoristen, dass sie oft ein Leben und noch länger in den Schmuddelecken des literarischen Kanons zubringen müssen. Zwar nannte Max Brod Hašek in einer «Švejk»-Rezension einen «Humoristen des allergrössten Formats». Später einmal werde man ihn mit Cervantes und Rabelais vergleichen. Mit dem Zeitgenossen Franz Kafka hat Jaroslav Hašek kaum jemand verglichen. Die beiden allerdings haben in Prag ein Konkurrenzduo gebildet, das prototypischer kaum hätte sein können. Sie arbeiteten in zwei verschiedenen Sprachen und in unterschiedlichen kulturellen Räumen.
Anarchist und Revolutionär
Der unbehauste, vagabundierende Hašek war ein Opfer jener Verhältnisse, die der Rückzugskünstler Kafka an seinem Schreibtisch zu parabelhaften Geschichten machte. Kafka erfand noch einmal, was Hašek am eigenen Leib in der Bürokratie, im Krieg und in den russischen Lagern erlebt hatte. Er beschrieb es auf Deutsch mit jener Drastik, die der tschechische Autor seinen eigenen Texten bis zur Unkenntlichkeit austreiben wollte.
Ob Kafka und Hašek einander jemals begegnet sind, ist unklar. Gelegenheit dazu hätte es im Prager «Klub mladých» geben können, wo sich die Anarchisten trafen. Das bisschen Schiesspulver der Anarchie wird sich der Autor von «Der Prozess» schnell aus seinem Anzug geklopft haben, während Jaroslav Hašek durch und durch Revolutionär war.
Als Tscheche opponierte der Schriftsteller gegen den Wiener Kaiser, die Krone und gegen alle Gewährsleute des Systems. Er agitierte unter den böhmischen Bergleuten und forderte Freiheit nach Anarchistenart. In seinem Kampf für die Freiheit war Hašek Überzeugungstäter. Er passte nicht in die bürgerliche Welt, wie die beiderseitigen Abstossungsreaktionen zeigen.
Der Lebenswandel des Originalgenies folgte dem Zickzack seiner Alkoholkrankheit und ökonomischen Notwendigkeiten, die nur durch feuilletonistische Massenproduktion halbwegs in den Griff zu bekommen waren. Mit seiner Frau Jarmila zeugte Jaroslav Hašek einen Sohn namens Richard, den er aber nur zwei Mal zu Gesicht bekam, weil der Kronzeuge dieses Elends, der Schwiegervater, den endgültigen Rauswurf von Jarmilas Ehemann befahl.
Als der grosse Krieg kam, war das Euphorie und Ernüchterung zugleich. Wie sein Held Švejk zieht auch der Rheumatiker Hašek im Januar 1915 unter dem Absingen alter Militärlieder zur Garnison nach Budweis. In den kommenden Jahren wird er nicht nur zeitweise dem Alkohol abschwören, sondern auch seiner doppelmonarchistisch-österreichischen Heimat.
«Viermal tot und doch lebendig»
Schon im Herbst 1915 gerät der durchaus brauchbare Soldat freiwillig in russische Gefangenschaft. Die Hoffnung, man würde dem übergelaufenen Tschechen mit panslawistischer Freundlichkeit begegnen, wird enttäuscht. In den Kriegsgefangenenlagern herrschen grausame Zustände. Später kann sich Hašek den sogenannten Tschechoslowakischen Legionen innerhalb der russischen Armee anschliessen und agitiert publizistisch gegen Österreich.
Als 1917 in Russland die Bolschewiken an die Macht kommen und einen Separatfrieden mit Deutschland und Österreich schliessen, geraten die Tschechen unter Druck. Jaroslav Hašek ist zwischen die Fronten geraten, ihm droht der standrechtliche Tod. 1918 tritt er in Moskau in die Kommunistische Partei ein und wird Politkommissar der Roten Armee.
1920 soll er in Prag politisch aktiv werden. Man schickt ihn zurück, aber Hašek wäre nicht er selbst, würde er sich nicht sofort seinen alten Truppen anschliessen: der Bohème des Prager Stadtteils Žižkov. Der Zeitung «České slovo» («Das tschechische Wort») ist die Rückkehr des sonderbaren Helden nicht entgangen. Sie titelt: «Viermal tot und doch lebendig».
Zurück in der Heimat, beginnt Jaroslav Hašek seinen «Švejk», von dem es bereits frühere Varianten gegeben hat, niederzuschreiben. Die Arbeit am Werk wird er in der südöstlich von Prag gelegenen kleinen Stadt Lipnice nad Sázavou bis zu seinem plötzlichen Herztod am 3. Januar 1923 weitertreiben und auf gelben Plakaten heftig bewerben. Den Erfolg seines «Švejk» kann Hašek zumindest schon erahnen. Der Roman hat die tschechische Literatur in eine humoristische Moderne befördert, aus der sie nicht entkommen wird. Das Absurde der Welt spiegelt sich im Buch eines Autors, der Anarchist von ganzem Herzen war: ein Rädelsführer aus Ratlosigkeit.