Deshalb ist die LinnDrum in den 80ern so oft und gerne hergenommen worden. Die ist derart stramm, dass der Beat Tanzbasis Nummer Eins für die Mädels ist. Letztere sind übrigens eine gute Instanz, um rauszufinden, ob der Groove da ist oder nicht. Gute DJs wissen das.
Interessanterweise sind gerade Linn LM-1 und LinnDrum Paradebeispiele für Drummachines, die eben nicht 100% hypertight präzise sind, sondern ein bißchen "menschlich" wirken. Das liegt daran, daß man damals vergessen hat, beim Snare-Sample das kurze Stück Stille am Anfang restlos wegzuschnippeln. Die Snare kommt bei den Linns immer einen kleinen Tick verzögert.
[Artinus] schrieb:
Ich meine, techno und viele andre Arten von elektronischer Musik haben eine "unnatürlichkeit" als Grundlage. Da wird mit grundschwingungen gearbeitet die grade im Beispiel vom sinus absolut unnatürlich sind, dazu noch total trocken ohne Raum. Erst sollte es so tight und genau wie möglich sein, nun soll es eiern für einen mystifizierten groove.
In gewissen Genres und bei gewissen Künstlern ist es tatsächlich wichtig, daß alles mit größtmöglicher Präzision auf dem Punkt kommt. Kraftwerk haben ab 1978 ihr Möglichstes getan, wie Maschinen zu klingen und nicht mehr wie Menschen, außer vielleicht beim Gesang, weil da damals technisch noch nichts mit annehmbarem Aufwand möglich war. (Umgekehrt kommt die Faszination bei Jarre und Vangelis eben daher, daß die beiden alles per Hand spielen, was per Hand spielbar ist, und sie daher sehr organisch klingen. Einige Sachen, die Vangelis in den 70ern eingespielt hat, die noch keine Auftragsarbeiten waren, haben aus Sicht der frühen 2000er ein absolut grottenschlechtes Timing, das elektronischer Musik absolut unwürdig ist. Aber gerade das macht den Charme seiner Musik aus: Man hört, daß das alles von einem Menschen per Hand ohne Clicktrack und ohne Timingkorrektion direkt aufs Band gespielt worden ist – zumal Vangelis eigentlich immer den ersten Take nimmt.)
Vince Clarke entwickelte meines Wissens schon in den 80ern eine Aversion gegenüber MIDI, weil da im Vergleich zu rein analogen Lösungen das Timing miserabel ist. Vince spielt ja nichts mehr per Hand, was nicht Katzendarm™ ist, weil er sagt, er ist ein mieser Keyboarder, und macht alles mit Sequenzen. Entsprechend muß bei ihm alles präzise auf dem Punkt kommen.
Ähnlich entwickelte sich das dann mit der EDM, wo ja selten bis nie Handgespieltes aufgenommen wurde. Spätestens mit Produktionen im Rechner mußte das Timing absolut perfekt sein – wenn es das nicht war, stand man als Producer scheiße da. Es wurde von Maschinen gemacht, und so sollte es auch klingen. Das übertrug sich auf fast alles andere, was elektronisch gemacht wurde, bis Pop, R&B und Hip Hop.
Als dann mit Melodyne ein Werkzeug zur Verfügung stand, mit dem endgültig auch all das, was nicht sequenzierbar war, knallhart in Timing und Intonation auf Maschinenniveau gebracht werden konnte, setzte dann das Umdenken ein: Diese Perfektion war eigentlich langweilig. Auf einmal entdeckten Pop und R&B die Sechziger wieder. Die Antwort der Musikwelt auf Melodyne war Amy Winehouse.
Was das Ganze richtig absurd macht, ist, daß einige heute noch nicht mit alten Gewohnheiten brechen können: Erst ziehen sie tatsächlich noch alles haargenau auf den Punkt. Wenn es dann so maschinenmäßig präzise klingt, als wenn der Rechner alles selbst generiert hätte, gehen sie ans Microtiming und "humanizen" all das wieder, was am Anfang schon "humanized" war, bevor es glattgezogen wurde. Warum? Vermutlich, weil natürliches, menschliches, unkorrigiertes Timing auf einen Kackboon hindeutet, der von Musikproduktion keine Ahnung hat. Der Profi macht menschliches Timing kontrolliert nach dem Lehrbuch, indem er perfekt Quantisiertes händisch um Millisekunden verschiebt. Der Semipro hat dafür technische Hilfsmittel. Aber nur der Amateur hat nicht irgendwann zwischendurch mal ein perfekt gerades Timing.