Der Komponist hat nur die Wahl, ob er Komponist sein will oder etwas anderes. Der Hörer kann sich aussuchen, ob oder was er hören will. Er bleibt Hörer, ob er sich dem Nichtgeschehen oder dem Geschehen anpaßt. Der Komponist kann sich nicht anpassen, ohne seine Existenz als Komponist zu opfern, und statt dessen ein tonsetzender Arrangeur zu werden. Er muß, koste es was es wolle, seine Mitteilungsabsicht solchen musikalischen Vorgängen anvertrauen, deren Störungseinfluß bis dahin von möglichst wenig Anpassungsmethoden vermindert wurde. Solche musikalischen Vorgänge sind schwer zu erfinden und schwer zu kombinieren. Darin liegt die Arbeit des Komponierens, wenn es dem Komponisten um eine musikalische Mitteilung geht. Häufig sagen solche professionellen Hörer, die einen guten Komponisten nicht von einem schlechten unterscheiden können, beiden nach, daß sie versucht hätten, um jeden Preis neu zu sein. Offenbar haben beide Werke nicht dem Anpassungsvermögen der Nachsager entsprochen. Tatsächlich versucht ein guter Komponist, eine Musik zu schreiben, die um jeden Preis da ist, und sei der Preis auch der Verzicht auf alles, was, auch von ihm geliebt, schon da war. Was neu gefunden wird, ist oft der Preis, um den es überhaupt gefunden werden kann.
Vor bald 200 Jahren schrieb Mozart an seinen Vater einen Geburtstagsbrief:
„Allerliebster Papa!
Ich kann nicht poetisch schreiben; ich bin kein Dichter. Ich kann die Redensarten nicht so künstlich einteilen, daß sie Schatten und Licht geben; ich bin kein Maler. Ich kann sogar durch Deuten und durch Pantomime meine Gesinnungen und Gedanken nicht ausdrücken; ich bin kein Tänzer. Ich kann es aber durch Töne; ich bin ein Musikus... Nun muß ich mit einer musikalischen Gratulation schließen. Ich wünsch Ihnen, daß Sie so viele Jahre leben möchten, als man Jahre braucht, um gar nichts Neues mehr in der Musik machen zu können.“
So heiter und launig der Brief wohl ist, so schwer dürfte es auch dem gierigsten Ohre sein, darin Schwingen des Genies rauschen zu hören. Der Brief wurde hier zitiert, um zu zeigen, mit welcher Selbstverständlichkeit für Mozart ein Musikus der Mann ist, der Neues in der Musik machen will und kann. Und mit welcher Selbstverständlichkeit Mozart Neues in der Musik erwartet, indem er sie zum Maße der Lebensdauer nimmt, die er seinem Vater wünscht. Derselbe Mozart, auf den sich viele Musikfreunde berufen, die heute in der Musik nichts Neues mehr für möglich und erträglich halten.
Ein brauchbarer Befund, dessen Richtigkeit sorgfältig und geduldig zu prüfen wäre, könnte etwa so lauten: Die wesentlichen Probleme der Verständigung zwischen Hörer und Komponisten sind beabsichtigte und planend durchdachte Störungen einer Kommunikationskette, die bliebe sie ungestört, leerlaufen oder zerreisen würde. Die wesentlichen Probleme der Verständigung verbauen nirgends, auch in der Musik nicht, den Zugang zu beabsichtigten Mitteilungen, sonders sie sind der Zugang selbst. Jede Kultur mißt sich an der Menge und Bedeutung der Probleme der Verständigung, die sie als solche erkennen und lösen konnte. Jede Musik, die ein solches Problem stellt, ermöglicht einen weiteren Akt der Erkenntnis und der Lösung, ermöglicht eine neue und das gegenwärtige Leben betreffenden Verständigung, und somit eine Vermehrung dessen, woran der Gesellschaft es noch allenthalben zu fehlen scheint. Die unwesentlichen Probleme der Verständigung, die mehr privaten und emotionellen, sind lediglich Symptome des Fehlens.