Re: 1.7. Jarre fans aufgepasst, euronews TV
Wieland Samolak
Bochum, den 19.12.1984
Fernkurs "Die großen Geister des 20. Jahrhunderts"
Ausgabe "Eberhard Schoener – Verschmelzung mit sich selbst"
Festschrift für E. Schoener
Das Hauptanliegen Schoeners ist – wie unser Titel schon geistreich anspielt – seit vielen Jahren die Verschmelzung.
Um dieses Ziel seines unermüdlichen Drängens zu erreichen, mobilisiert Schoener immer wieder erstaunliche Kräfte. Sei es, dass er ganze Symphonieorchester mit Knabenchören und Gammelanmusikern zusammen"fließen", sei es, dass er das größte Laserium der Welt zeitgleich – und damit gemeinsam – mit Rockmusikern und Tänzerinnen auftreten lässt, oder auch dass er mittels Musikkomponenten und elektrischen Verstärkern bayerische Täler beschallt, stets ist es das Größte, das Teuerste, ja ganz einfach das Umfangreichste, das er aufbietet, um seine Vision zu realisieren. Dabei hat der begeisterte Hobbymusiker schon früh ein wesentliches Prinzip der von ihm erst geschaffenen multimedialen Kunstform erkannt:
Prinzip
Je mehr verschmolzen wird, um so größer ist die Verschmelzung!
Und so liest sich auch die Besetzung unseres Hörbeispiels "Spurensicherung" beeindruckend:
Neben elf Solisten (darunter auch der Komponist), von denen allein vier einen Musikcomputer bedienen, finden des weiteren ein Symphonieorchester und nepalische Mönche Gehör. Unter den Solisten übrigens auch ein Schauspieler ...
Bei dieser Gelegenheit möchten wir uns übrigens für die mangelnde Stimmstabilität der Instrumente und zumal der Sänger entschuldigen. Wir vermuten technische Schwierigkeiten.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Arbeit Schoeners ist sein unermüdliches Streben nach Aufklärung. In der Tat treffen wir in ihm einen der letzten großen Volkspädagogen unseres Jahrhunderts. Daß auf dem Weg zur wahren Spirituellen Erkenntnis gar mancher babylonischer Irrweg abzweigt, weiß auch Eberhard Schoener.
Um der geistigen Verwirrung der westlichen Welt vorzubeugen, hat er deshalb zu einer wahrhaft epischen musikalischen Form gefunden:
Bevor er musiziert, erklärt er, was er im folgenden tun wird. Bei Musikkonserven, die er in großer Stückzahl ausstößt, wird diese Funktion durch die beigefügten Manifeste erfüllt.
Es soll nun ein kurzer, grober historischer Abriss folgen, der aufgrund des umfangreichen Oevres keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Es sollen auch bei dieser Gelegenheit wesentliche Auszüge seiner Beipackzettel zitiert werden, denn merke:
Prinzip
Nicht die Musik Eberhard Schoeners ist wesentlich,
sondern was Eberhard Schoener dabei denkt!
1971 veröffentlichte Eberhard Schoener seine erste Schallplatte (Langspiel) mit elektronischer Musik. Er hatte sich einen Moog-Synthesizer gekauft und war beeindruckt, weil "das volltransistorisierte Gerät" "nicht größer als vier Schrankkoffer" war und nahm das Gerät zum Anlass, sich mit Vivaldi und – zum ersten Mal – mit Bach zu verschmelzen, indem er abwechselnd Kompositionen der beiden Komponisten und eigene auf dem Synthesizer intonierte.
Schoener damals über den Synthesizer: "Das ist für uns Musiker neu und führte zur Realisation dieser Platte."
1972 veröffentlichte Schoener mit "A Day’s Lullaby" eine Verschmelzung ganz besonderer Art. Des besseren Verständnisses wegen wollen wir das dazugehörige Manifest in voller Länge zitieren:
"Bei 'A Day’s Lullaby' sind die Songs und die Elektronik nicht als einzelne Titel gedacht. Die Form ist ähnlich der einer Oper: Die elektronischen Teile entsprechen der Handlung, die Lieder den Arien. Inhalt: Ein Tag, der mit dem Morgen beginnt und nachts irgendwann ausklingt mit der Erinnerung an den Freund Nick, der in Vietnam gefallen ist, Stilmittel: Die progressiver Elektronik des Deutschen Eberhard Schoener und die in der Tradition verhafteten Volksongs der beiden Amerikaner Brua Gambill und Joely Ely."
Die 1973 erschienene "Musik für Meditation I/II" bildet im Werk Schoeners eine einzigartige Ausnahme: Er musiziert ausnahmslos allein; eine angestrebte Verschmelzung mit der Grafikerin, die das Cover gestaltet, bleibt halbherzig. Sollte seine künstlerische Potenz allzu schnell vertrocknet sein?
Eine böse Polemik hebt an, der zufolge nur durch einen Druckfehler der eigentliche Titel "Music for Masturbation I/II" dem Publikum vorenthalten worden sei.
Aber alle Spekulationen erweisen sich als müßig, denn 1974 schlägt Eberhard Schoener mit ungeahnter Wucht zu:
Mit dem Rockmusiker Jon Lord zusammen komponiert er eine unvollendete Fuge J.S. Bachs unter Zuhilfenahme indischer Lyriktechniken zuende und führt das Werk für Rockgruppe, Synthesizer, Instrumentalsolisten, Avantgarde-Sopranistinnen und Orchester in München auf.
Hier werden wir zu ersten Mal Zeuge des immensen Finanzgenies Schoeners, denn er lässt das Ereignis bundesweit vom Bayerischen Rundfunk live im ersten Fernsehprogramm ausstrahlen und die Jugendzeitschrift "Bravo" für die wenig später veröffentlichte Live-LP Reklame machen.
Hier stiftet er auch den schönen Brauch, zu jeder seiner Langspielplatten eine Fernsehsendung zu produzieren, die er in der Folgezeit gern im Eurovisions-Milieu ansiedelt.
Er entwickelt eine enge Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk, die sich schon 1976 wieder fruchtbar niederschlägt. "Bali-Agung" nennt sicht sein neues Projekt, das als Schallplatte diesmal von der Fernsehzeitschrift "HörZu" gesponsert wird.
Schoener leistet hier einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Völkerfreundschaft, indem er seine Tongeneratoren, Filter, usw. nach Bali bringt und sie (und sich) an Ort und Stelle mit Gamelanmusikern verschmilzt. Wichtiger noch finden wir bei "Bali-Agung" zum ersten Mal ein wichtiges Hauptmotiv Schoeners, dem er heutzutage mittels eines Musikcomputers immer neue Aspekte abgewinnt: Musik und Natur. Denn:
" 'Bali-Agung' ist für mich das bisher wichtigste Ereignis meiner musikalischen Arbeit und fasst im Grunde alle Aspekte meiner Zielsetzung zusammen. Schon seit einigen Jahren arbeite ich als "klassischer Dirigent" und "experimenteller" Komponist mit Rockgruppen zusammen, aber erst auf Bali lernte ich das verstehen, wonach ich als westlicher Musiker immer strebte – dem Selbstverständnis der Musik zu ihrer Umwelt."
Die Jahre 1977–1982 sind für Schoener eine Phase der Konsolidierung. Er schafft sich einen festen Stamm von Musikern, vertont Lasershows und die Bibel und verschmilzt sich u.a. mit dem Tölzer Knabenchor. Das bemerkenswerte Werk "Trance-Formation" lässt uns im Zuge des beiliegenden Manifests Schoener als geistreichen Dialektiker entdecken:
"Der Gregorianische Choral ist eine einstimmige Gesangsmusik. Der Gregorianische Choral ist eine kultische Musik. Die Musik der LP 'Trace-Formation' ist keine Gregorianische Musik, auch keine bearbeitete Gregorianik oder Ähnliches."
1978 erscheint "Flashback". Hier lässt Schoener achtzehn Minuten lang den Rocksänger "Sting" den Rhein besingen. Auszug aus dem Beipackzettel: "Das Ziel aller meiner Reisen ist immer die Rückkehr. Auch das Album FLASHBACK ist eine Rückkehr. Eine Trilogie: BALI-AGUNG – TRANCE-FORMATION – FLASHBACK.
Für viele Musiker, die mit der Elektronik arbeiten, wurde der Kosmos, das Weltall, das Universum oder die Galaxis zu einem Symbolbegriff für ihre Musik. Das elektronische Grundmaterial (die verschiedenen Wellenformen) lassen diesen Bezug naheliegend erscheinen. Für mich ist es jedoch vielmehr eine geschickte Vermarktung des Universums, als eine wirkliche Definition des musikalischen Inhalts. Aber doch auch mich interessiert ein Planet im Zusammenhang mit Musik; ein Planet, bei dem Impulsgeber und Empfänger tatsächlich gleichermaßen erreichbar sind: Die Erde."
Man muss Schoener tatsächlich hoch anrechnen, angesichts des drohenden Ausverkaufs des Universums durch verantwortungslose Musiker in aller Bescheidenheit nur die Erde für eine LP thematisiert zu haben.
1983 endlich bringt mit "Spurensicherung" den globalen musikalischen Durchbruch des Mannes, der sich er vor zwei Wochen in Bochum, West Deutschland, öffentlich mit sich selbst verschmolzen hat ("Was ich jetzt tue ist – ich multipliziere mich mit mir selbst!")
Der neuerworbene Fairlight-Musikcomputer erlaubt es ihm zum ersten Mal, die schon Jahre vorher beschworene Rückkehr zu Natur furios zu realisieren. Nun ist er, einem akustischen Insektenforscher gleich, in der Lage, jedes ihn ereilende Geräusch einzufrieren und nach seinem Willen aus dem Computer abzurufen.
Erst dieses Gerät ermöglicht ihm die triumphale Verschmelzung von: elektronischen Klängen, Steinen, Metallen, Tropfen, Straßenmusikern, Symphonieorchestern, Streichquintetten, Originalamseln, Caféhauskapellen, Geröll, der Stimme des Gimpel, Holzstücken, Wasser, Scherben und Glas.
Ja. Genauso wie er schon 1974 das Werk des zu früh verstorbenen J.S. Bach vervollständigen konnte, hat er nun die Möglichkeit, das ganze Universum neu zu ordnen und zu vervollständigen.
Nebenbei erbringt er dialektische Leistungen, von denen auch nur Wochen zuvor niemand zu träumen gewagt hatte: "Wir hören eine Original-Amsel, die über dem Fairlight CMI eine Melodie zu singen imstande ist."
Mittels des gleichen Computers führt er uns eindringlich "die Gleichmachung und Entmündigung des Menschen in unserer von Computern und Technik beherrschten Zeit" vor, wobei er gleichzeitig sehr ergreifend bei den Computern um Verständnis für sich und uns bittet: "Menschlichkeit stört nicht die Funktion des Computers. HEY BIT."
Augenzeugenberichten aus Bochum zufolge hat der Computer ihm allerdings noch nicht Gehör geschenkt. Ein ganzes Konzert lang hat er sich Eberhard Schoener trotz intensivster Anrufung nicht mitgeteilt. Wir dürfen aber weiterhin hoffen.
Zu einem weiteren Komplex der Platte gelingt es übrigens Eberhard Schoener, Einsamkeit, Kraft der Indiofrauen, Magie und Bücher, in denen "Zeit und Raum eine besondere Rolle Spielen" zu verschmelzen.
Es soll aber nicht zu viel über "Spurensicherung" gesagt werden, da der Komponist selbst sein bisher umfangreichstes Beipack-Manifest (drei Seiten!) mitgeliefert hat, das nach unserer Meinung kaum Fragen, welcher Art auch immer, offenlässt.
Wir möchten daher unsere kleine Einführung in das Werk Eberhard Schoeners nun beenden. Wir danken für Ihre Aufmerksamkeit, erlauben uns, Ihnen als kleine Aufmerksamkeit eine zeitgenössische Darstellung von Maria & Joseph aus aktuellem Anlass beizufügen und schließen mit der inständigen Bitte, dass der Computer Eberhard Schoener doch noch erhören möge.
Wieland Samolak
Eberhard-Schoener-Gesellschaft
Sektion Deutschland-West
Erster Vorsitzender
P.S.: Nach Durchsicht des Manuskripts (wir sind eine nicht profitorientierte Organisation und haben deshalb leider keine Schreibmaschinen) mussten wir leider feststellen, dass – neben der Verschmelzung und der totalen Verfügbarkeit der Umwelt durch den Computer – ein weiteres Element des Schoenerschen Schaffens vernachlässigt wurde: Der Zweifel. Ja, Eberhard Schoener macht es sich nicht leicht bei seinen Projekten, denn er zweifelt öffentlich und unaufhörlich. Wer einmal erlebt hat, wie Eberhard Schoner auf einer Konzertbühne minutenlang vor einer Synthesizertastatur steht, unschlüssig, ob er nun eine Taste drücken soll oder nicht, schließlich eine Taste drückt, nur um die Hand schnell uns missmutig wieder zurückzuziehen, wird mit uns übereinstimmen: Ein charismatischer Zweifler!
http://www.elektropolis.de/ssb_story_samolak.htm