serge schrieb:
In diesen Reaktionen offenbart sich das Banausentum, nicht darin, dass einem diese Musik nicht gefällt.
@Lothar: Du schreibst von Banausen, meint aber Anfänger oder Erneuerer – das ist semantische Taschenspielerei.
Ich denke nicht, dass das eine "semantische Taschenspielerei" ist. Worum handelt es sich denn beim Vorwurf des "Banausentums" eigentlich genau? Es wird mit "Banausentum" Ahnungslosigkeit, fehlende Urteilskraft und ein unzureichendes Können, aber auch "ungerechtfertigte Unbefangenheit" vorgeworfen. Ziemlich genau das also, was eben auch für Anfänger, Experimentierer und Erneuerer gilt.
Es ist ein Vorwurf der Arrivierten gegenüber den Übrigen - und passt als solcher wunderbar zum Hochkulturbetrieb, in dem sich damit zugleich auch eine Klassenstruktur vollzieht, nicht nur seitens intensiv gebildeter Bürgerstände gegen die hochkulturrell weniger beflissene Restbvölkerung, sondern beispielsweise auch des (auch "kulturell") gefestigten Besitzbürgers gegen den "Emporkömmling", dessen "verrohter" oder "ordinärer" Musikgeschmack mit "banausisch" abqualifiziert wird. Es ist eine Abwertungsfloskel, ihre Funktion ist ein gegen andere gerichtetes "Fresse halten!" - während man das eigene kulturelle Wissen auf diese Weise hoch leben lässt...
Insofern halte ich es oft schon für eine Form des Treppenwitzes, wenn in Kunst- und Kulturfragen so bereitwillig mit derartigen Abwertungs- und Selbstaufwertungsformeln gearbeitet wird. Wobei es vielleicht spannend wäre zu fragen, wo sich die größeren Scheuklappen befinden: Bei denen, die mit derartigen Performances nichts anfangen können und die beiden Typen im Video für Blender halten - oder bei denen, die derartige Kritik und Häme für völlig überzogen halten, und diejenigen, welche Derartiges äußern, für völlige Banausen.
(ich glaube, die Antwort auf diese Frage ist ziemlich offen - Scheuklappen sehe ich nämlich da wie dort)
Grundsätzlich ist es - imho - nicht sehr einfach, derartige musikalische Ansätze zur Aufführung zu bringen. Dafür, dass sie es versucht haben, und noch mehr auch dafür, dass sie einem Publikum offenkundig Freude gemacht haben, haben die beiden durchaus meinen Respekt. Aber war das wirklich gut, was sie veranstaltet haben? Nach meinem Dafürhalten halt nicht. Mir war es sehr deutlich zu fad. Macht mich diese Sichtweise nun zum "Banausen"?
Die Frage ist vielleicht auch, inwieweit du als Person in Fragen der Musik oder der hier beurteilten Performance massiv urteilsfähiger bist als andere. Genau das steckt ja im Begriff des Banausentums - wenn man ihn an andere richtet. Ich will nicht ausschließen, dass du hochmusikalisch bist, Serge. Aber immerhin dürften einige hier doch auch so manche musikalische Erfahrung haben, vielleicht sogar richtiggehend talentiert sein. Und die sind also aus deiner Sicht alle "Banausen", bzw. Musikbanausen, wie du sagst? Was bringt dich genau in die Position, andere als "Banausen" zu kennzeichnen? Im Übrigen halte ich die spielerische Auseinandersetzung, zumal in Form der Umsetzung des Ausgangsmaterials in Musik bzw. Geräusch-Kollagen, für dezidiert nicht-banausisch.
(bin aber sehr weit entfernt davon, meine Geräuschkollage für irgendwie kunstvoll oder sonstwie übermäßig großartig zu halten)
Für mich entscheidend: Es hat mir und anderen Spaß gemacht.
Beim Herumspielen mit dem Ausgangsmaterial habe ich entdeckt, dass die relativ laute Hintergrundgeräusche im Video die aufgeführte Performance stark beeinträchtigt hatten, sogar überraschend stark. Nimmt man nämlich ein gezieltes Entrauschen - anhand eben dieses Hintergrundgeräusches - vor, dann wird das Material etwas spannender, griffiger.
Besonders aufregend oder aufführenswert finde ich aber trotzdem nicht, das die beiden da auf die Beine gestellt haben. Das, was die da auf der Bühne veranstaltet haben, wirkt auf mich reichlich planlos. Umso spannener fand ich darum für mich die Frage: Was kann ich mit solchem - aus meiner sicht ziemlich fern liegenden und faden Zeugs - anfangen, wie lässt daraus etwas anderes machen? Etwas, das hoffentlich etwas mehr als das Ausgangsmaterial eine Geschichte erzählt bzw. das Vorstellungsvermögen anregt - ohne jetzt von der Machart übermäßig anders zu sein.
Also, der gute alte Traum als Alchemiker: Aus Scheiße Gold machen.
(ich würde sagen, ich habe hier aus Scheiße buntfarbigen Modder gemacht, Gold ist das also noch längst nicht, nicht mal Messing)
Das Schöne daran ist, und das ist dann etwas, was eben nur mit einer gewissen Offenheit und Experimentierfreude möglich ist: Mir hat mein "Banausentum" (d.h. die offene Auseinandersetzung mit dem Ausgangsmaterial und seine experimentierfreudige Verwurstung) wirklich etwas gebracht. Wer sich über so etwas mokiert ("Banause!"), der hat imho höchstens ein paar schlechte Gefühle.
Serge, wenn du mir erzählt hättest, warum du das musikalisch spannend und aufregend findest, oder künstlerisch anspruchsvoll, was die beiden da veranstaltet haben - und warum du das findest: Das fände ich interessant. Mir fehlt da der Zugang, sorry. Wenn du einen hast: Umso besser.