doctorno schrieb:
kpr schrieb:
(...) Völlig ausgeklammert wird aber der eigentliche Ansatz des Synthesizers: Das Schaffen von etwas Neuem. Und dazu gehören auch neue Ansätze in Tonerzeugung und Bedienung. (...)
Aus meiner Sicht nennst Du einige sehr wichtige Punkte in Deinem Beitrag, denen ich mich voll anschließen kann, aber in der zitierten Aussage steckt meiner Ansicht nach ein Grundirrtum vieler Synthesizer-Freaks. (Ich sage bewusst Freaks, da es sich offenbar um eine (leider) realtiv kleine Gruppe der Synthesizer-Spieler/Käufer/Nutzer handelt.) Synthesizer dienen längst nicht mehr der Schaffung von etwas Neuem. Wir leben im Zeitalter der endlosen Sample-Libraries. Im Bezug auf das Parameter "Klang" kann man zurzeit nichts Neues mehr schaffen. Es geht darum, wie man mit den altbewährten Klängen (und das sind im Moment alle Klänge - egal ob akustisch erzeugt oder mit Synthesizern) noch neue Musik erschaffen kann. Und dazu gibt es immer Möglichkeiten, nur muss man hierzu auch die Parameter Form, Melodik, Harmonik und Rhythmik mit einbeziehen.
Das eine schließt das andere nicht aus. Es spielt auch keine Rolle, ob Synthfreaks eine kleine oder große Gruppe darstellen. Auch ist die große Menge verfügbarer Samples nicht der Rede wert, außer vielleicht hinsichtlich einer Marktsättigung, das betrifft dann die einschlägigen Hersteller, oder die Musiker, die angesichts der großen Produktvielfalt auf diesem Sektor den Überblick nicht recht bekommen.
Impulse werden von Einzelpersonen und kleinen Gruppen ausgelöst, die Marketingabteilung nennt das Frühaufnehmer, was etwa eine Größenordnung von 2% der sogenannten Zielgruppe ist. Haben die ein Produkt/Technologie/Stil angenommen, dann zieht eine große Gruppe nach. Anschließend kommen die Nachzügler und dann ist der Markt für diesen Bereich gesättigt.
Zu recht zielst Du auf die Musik, und hier haben wir unabhängig von der Marketinglehre mit eigenen Regeln zu tun. Kreative Leute, Musiker sind das ja gelegentlich, sind heute mal so und morgen mal so. Ein impulsstarker Moment und wir kaufen uns am nächsten Tag genau das Tool, was wir meinen dringend haben zu müssen. Diese Mentalität macht es den Herstellern so schwer, weil wir nicht berechenbar sind. Als Anfang der 80er Jahre die Presetspeicher in Synths Standardfeature wurden, kam ein kaufkräftiges Klientel in den Markt, das in gewisser Weise richtungsgebend war. Und auch Sampleplayern samt -libraries den Markt geöffnet haben. Ich dacht mal vor einer Weile, ab Physical Modeling könnte es bald mal Feierabend sein damit, aber nichts war´s. Fast das Gegenteil ist eingetroffen, seitdem erleben Sampleplayer und Libraries genauso wie Synthpresets einen neuen Boom. Als Betroffener habe ich nichts dagegen, nur zeigt sich daran, dass jede Perspektive ihre Berechtigung hat und es auch bei elektronischen Musikinstrumenten zu einer Anhäufung kommt, nicht zu einer "natürlichen" Selektion. Nimmt man ein Instrumentenlexikon zur Hand, dann stellt man fest, dass diese evolutionären Entwicklungen in allen Bereichen der Musikinstrumente stattfinden und einfach nicht aufhören wollen. Selbst bei den Instrumenten, die es bereits seit Jahrhunderten gibt. Irgendjemandem fällt immer wieder was Neues ein. Mal ist es der Komponist (für Wagners Meistersinger hat Heckl ein extra Bass-Fagott gebaut), mal sind es die Hersteller (Yamaha hat mit den FM Synthesizern Einfluss auf die Popmusik der 80er Jahre genommen).
Es kommt einem Ping-Pong-Spiel gleich was da abläuft. Und eine kontinuierliche Diversifikation sorgt für Neuordnung genauso wie für eine ordentliche Portion Chaos, sonst würdest Du nicht nach dem heiligen Gral suchen, sondern hättest ihn bereits gefunden. Es sei denn, die Kohle setzt die Grenze, und da fängt das ganze Theater von vorne an: Wer etwas billiger baut als der andere, macht das Geschäft = Clones. Bis es jemandem auf den Keks geht und sagt: Mir doch egal, ich baue was ganz Elitäres, das kostet gleich was. So einer heißt dann Jörg und baut den Spectralis.
Was die Einbeziehung der Musik betrifft, kommt es auf den Einzelfall an. Bei mir ist der Song das Diktat, und der Sound muss funktional folgen. Riesendogma. Fällt aber gleich wieder aus, weil manchmal beim Jammen ein cooler Sound auffällt, und plötzlich der Song von der anderen Seite aus gestrickt wird: Der Soundatmosphäre (kann tradiioneller oder exotischer oder experimenteller Sound sein, ist verschieden). Da kommt man als Instrumentenhersteller schlecht weiter und besinnt sich, wie der Musiker, dann am Ende doch auf seinen eigenen Kopf und verfolgt seine Ideen völlig ungeachtet irgendwelcher Außeneinflüsse. Ich kenne eine Menge Synthesizer, die so entstanden sind und auch derzeit so entstehen. Man soll das nicht glauben, aber oft ist es exakt 1 Person, die einem Instrument die Marschrichtung auf´s Auge drückt.