Neo schrieb:
Ich bin also recht zufrieden momentan.
Und genau das ist eine der wichtigen Dinge und so brauchst du eigentlich auch gar keine Antwort darüber, "wer definiert was Musik ist". Denn selbst wenn die Mehrheit finden würde, das das was du machst überhaupt keine Musik ist, so what, wenn es dich glücklich und zufrieden macht, ist es auch ok.
So ist es.
Nur wenn ich selbst glücklich bin mit dem, was ich mache, besteht die Möglichkeit, daß andere es auch sind, wenn sie es hören.
Das klingt jetzt vielleicht nach "happyhappyjoyjoyjoy", läßt sich aber für jeden musikalischen oder generell kreativen Bereich anwenden. Das gilt ja selbst für den Job, mit dem man seine Brötchen verdient: Wenn man ihn gerne macht, ist er keine Belastung, und mit den Kollegen oder den Menschen, mit denen man zu tun hat, kommt man auch gleich viel besser zurecht, weil man nicht an dem Job leidet. Wenn dieses "sich selbst Erfreuen" die Grundlage des Handelns ist, dann stehen die Chancen gut, daß es auch für andere funktioniert. Dann "dilettiert" man im wahrsten Sinne des Wortes: "delectare" heißt "sich erfreuen".
Wer es nur aus Eitelkeit oder Geltungssucht heraus tut, sollte besser mit dem Arsch zu Hause bleiben. Wer von uns hat z. B. die Lehrer in der Schule gemocht, die eh nichts Besseres zu tun hatten, als einen für die eigene Unwissenheit vor der Klasse bloßzustellen und zu demütigen und uns ansonsten schlau über irgendwelche Dinge zu belehren, die eh keinen interessierten? Keiner, glaube ich.
Das Thema "Erfolg" ist hier bereits angerissen worden; ich halte -- um es zuallererst deutlich zu machen -- von diesem Begriff als solchem rein gar nichts, weil in unserem heutigen Sprachgebrauch der Begriff "Erfolg" sehr diskriminierend besetzt ist. Wer keinen Erfolg hat -- der sich über materielle Besitztümer und sozialen Status manifestiert --, der hat schlicht und ergreifend versagt. Von dieser Art "Erfolg" -- und in selbigem Zusammenhang "Karriere" -- will ich hier also gar nicht reden. Das ist mir zu faschistoid belegt. Für mich ist "Erfolg" die Bestätigung, die mir für meine Arbeit widerfährt, d. h., wenn ich sehe, daß Leute plötzlich anfangen, Niederländisch oder Englisch zu sprechen, weil das, was ich ihnen beizubringen versucht habe, anfängt, Früchte zu tragen, oder daß Leute ein zweites oder drittes Mal zu meinen Konzerten kommen oder nicht nur eine, sondern mehrere CDs über Jahre hinweg bestellen, weil das, was ich mache, ihnen gefällt und offensichtlich etwas gibt. Für mich persönlich ist es ein großer Erfolg, mit meiner Musik soviel Geld verdienen zu können, daß ich mit dem Gewinn aus einer CD die nächste CD produzieren kann. Einen Lamborghini hat man davon nicht in der Auffahrt stehen, klar, geschweige denn, die nächste Monatsmiete im Kasten. Aus diesem Erfolg aber erwächst Zufriedenheit. Aus Zufriedenheit erwächst Gelassenheit. Aus Gelassenheit erwächst die Ruhe und Gewißheit, das zu tun, was für einen selbst das Richtige ist.
Ende des Exkurses.
Ich sehe das so: Wenn man kreativ ist, dann sollte man in erster Linie versuchen, sich mit dem, was man macht, selbst eine Freude zu machen. Egal, was es ist, das wir da tun, losgelöst von musikalischen, stilistischen oder inhaltlichen Fragen. "Wenn wir die Kunst nicht hätten, gingen wir an der Wirklichkeit zugrunde," hat Nietzsche mal sinngemäß gesagt. Kreativer Output als Lebensretter: "Ich stehe diesen Scheißtag durch, und heute abend erfreue ich mich daran, ein paar Instrumente hier stehen zu haben, mit denen ich machen kann, was *ich* will." So in diesem Sinne.
Dieses "Ich mach´ jetzt etwas, das nur ich alleine toll finde" ist eine Haltung, die vielleicht ansatzweise okay ist -- schließlich bringt einen diese Konsequenz und Unbeirrbarkeit dazu, sein eigenes Ding zu suchen und durchzuziehen --, aber wenn´s am Ende nur noch masturbatorisch ist... wofür? Das ist eine Arroganz, die man sich leisten kann, wenn die eigene Arbeit so oder so aus welchen Töpfen auch immer honoriert wird und es einem scheißegal sein kann, wovon man die nächste Monatsmiete bezahlt, weil man eh aus dem Vollen schöpfen kann. Oder weil man nichts zu sagen hat, von dem es sich vielleicht lohnen würde, wenn andere es auch hörten, weil es andere vielleicht auch inspiriert oder dergleichen. Ich glaube, das ist auch mein in einem anderen Thread angerissenes Problem mit sogenannter "ernster Musik". Das möchte ich hier allerdings nicht mehr aufwärmen, da ich bereits alles dazu gesagt habe, was ich dazu zu sagen habe.
Ein gewisses "Verbiegen" ist natürlich nötig, wenn man das, was man da zur eigenen Freude gemacht hat, auch an ein größeres Publikum verkaufen möchte, also auch einen gewissen finanziellen Nutzen aus der eigenen Arbeit schöpfen kann. Das Maß an Konzessionen, das man zu machen bereit ist, bestimmt man aber in diesem Falle immer noch selbst. Man selbst setzt die Grenze, und man selbst kann jederzeit seine eigene Entscheidung revidieren und sagen: "Bis hierher, und keinen Schritt weiter!" Man ist jeden Augenblick Herr des eigenen Handelns und der daraus erwachsenden Konsequenzen.
Ich glaube nicht, daß ein Max Mutzke zu Stefan Raab sagen konnte "Du, hör mal, das mach´ ich jetzt aber nicht..." Ich bin mir ziemlich sicher, daß Raab ihm nur sagen würde, daß er ganz schnell wieder da ist, wo er Mutzke hergeholt hat, wenn er das Spiel nicht mitspielt. Immerhin: Wir haben einen Vertrag!
Wer sich einmal auf so ein Spiel einläßt, hat verloren. Das ist genauso, als wenn man sich in Anzug und Krawatte zwängt, nur, damit man einen TT in der Auffahrt des auf Hypothek finanzierten Eigenheims stehen hat, dabei aber sich selbst -- und die eigenen, persönlichen Bedürfnisse -- komplett außer Acht läßt. Das ist Anheuern auf einem Seelenverkäufer. In der Berufswelt heute gängige Praxis.
Da kommt dann wieder das individuelle Bewußtsein ins Spiel: Ich glaube, die meisten sind sich nicht im klaren darüber, auf *was* sie sich da eigentlich einlassen, die sehen nur die Möhre, die ihnen da vor die Nase gehalten wird: "Das ist alles Dein, wenn Du Dich mit mir einläßt". Zum individuellen Bewußtsein habe ich ja bereits etwas geschrieben, was bei einigen wohl ganz gut angekommen ist
.
Als bestes Beispiel dazu fällt mir ein Bewerbungsgespräch vor ein paar Jahren ein, zu dem ich in Reitermantel, Lederkluft und Kampfstiefeln erschien (ich hatte die Art und Weise, wie man mich dazu eingeladen hatte, sowieso nicht ganz ernstgenommen): Die erste Frage war, ob ich mir vorstellen könnte, mir die Haare abzuschneiden und einen Anzug anzuziehen. Die zweite Frage war, ob ich nicht endlich mal "Erfolg" haben wolle? Meine Antwort: Für mich ist es schon ein Erfolg, wenn ich diesen Tag, der mir geschenkt wird, das tun kann, was ich will, und mich so benehmen darf, wie ich es will, und nicht jemand anderes. Aus dem Job ist sowieso nichts geworden
. Gottseidank, wie ich später herausfand. Mit Scientologen möchte ich mich nicht näher einlassen.
Aber zurück zum Thema:
Was mein eigenes musikalisches Arbeiten angeht: Ich möchte meine Zuhörer nicht mit leichter Muse unterhalten, das können andere besser, und ich hasse nichts mehr als Gestümper an einer Sache, von der ich keine Ahnung habe. Deshalb mache ich das, was ich mache, und nicht irgendwas anderes. Ich bin der Meinung, daß es auch Hörer gibt, denen sperrigeres Zeug gut gefallen könnte, und die versuche ich zu erreichen. Mein Erfolg -- gemessen an meinen persönlichen Maßstäben -- gibt mir recht. Es gibt tatsächlich Leute, die bereit sind, sich auf das, was ich mache, einzulassen... und es gefällt ihnen sogar. Bestes Beispiel dafür: Nach meinem Konzert im Osnabrücker Planetarium (und das war melodie- und harmoniefreier *heavy stuff*) kamen Leute zu mir, die ich bis dato noch nie gesehen hatte, schüttelten mir die Hand und bedankten sich für den tollen Abend. Sowas ist mir das letzte Mal in England vor Jahren passiert. *Das* ist Erfolg, und wenn diese Leute anschließend noch eine CD mitnehmen, ist der Erfolg noch größer, und wenn sie dann noch zum nächsten Konzert kommen...? Was will ich mehr?! Alles andere...?
Ich habe mir generell abgewöhnt, mich mit der Meinung selbsternannter Experten abzugeben, die mir sowieso nur einreden wollen, daß ich keine Ahnung habe. Wenn ich den lieben langen Tag auf das hören wollte, was andere besser zu wissen glauben, ich käme ja gar nicht mehr zum selbständigen Denken und Handeln (ups, gefährlich!).
Wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß hier nicht über Musikgeschmack gestritten werden sollte, oder Musikgeschmack als Totschlagsargument genommen werden soll in dem Sinne von "Du hörst Metal, also bist Du doof" oder "Du kennst ja nur André Rieu, was weißt Du also von den höheren Weihen der Kunst?".
Der langen Rede kurzer Sinn: Das Thema als solches ist so unerschöpflich, daß man unmöglich eine allgemeingültige Antwort finden kann, die allen und Allem gerecht wird. Wie Neo schon sagte: Wenn´s Dich selbst glücklich macht, ist das Wichtigste schon erreicht. Alles andere ist die Kirsche auf der Sahnehaube.
Stephen