Das Bandschleifenverfahren wurde von dem WDR-Mitarbeiter Heinz Schütz erfunden und in den ersten elektronischen Kompostionen von Herbert Eimert und Karlheinz Stockhausen angewendet, sicherlich aber nicht, um über längere Zeit das Klangmaterial in unendlicher Wiederholung zu hören und dazu im Takt rum zu hüpfen. In "Tomorrow never knows" von The Beatles wurden auch Bandschleifen eingesetzt.
Dazu George Martin:
„Tomorrow Never Knows“ war der erste Song, den wir für Revolver aufnahmen. Die Basisspur für den Rhythmus bestand aus einem sehr scharfen Rockbeat von Ringo und dem Tambura-Bordun mit ihren nachhallenden Saiten. Wir errichteten ein ‚Kissen’ aus Tambura-Klängen, um diese Obertöne ununterbrochen am Schweben zu halten. Über diese beiden Hauptbestandteile, die die Grundlage des Liedes bilden, legten wir den Gesang. Der Gesang war wieder einmal ein Thema für sich John wollte, daß ich »irgend etwas damit anstelle« "Ich möchte, daß es klingt«, sagte er, »als ob ich auf einem Berg stehe; ich möchte, daß ich mich wie ein buddhistischer Mönch anhöre der auf dem Gipfel eines Berges steht und singt. Wie der Dalai Lama. Weit weg, aber so, daß man es noch versteht". Er wollte die Stimme, die er beim Lesen des Buches in seinem Kopf gehört hatte, Wirklichkeit werden lassen. Nun, das war ja nicht zuviel verlangt, oder?
Abgesehen von dem Tibetanischen Totenbuch, dem exotischen Klang der Tambura und der Tatsache, daß John wie ein mystischer Zombie klingen wollte, wurde dem Song noch mehr Übernatürliches und Wundersames hinzugefügt, und zwar von Paul. Paul war damals sehr stark in die sogenannte Avantgarde involviert. Modeme Kunst und Literatur, moderne Musik in der Art von John Cage, Stockhausen - all die Sachen, die er im inspirierenden Dunstkreis der Asher-Familie hörte. Die Ashers, die Paul unter ihre Fittiche genommen hatten, als er anfing, mit Jane auszugehen, waren außerordentlich scharfsinnige Menschen, hochintelligent und sehr musikalisch. Obwohl man nicht sagen konnte, daß sie irgend etwas für die Avantgarde übrig hatten, bestärkten sie Paul in seinen autodidaktischen Bestrebungen, musikalisch herumzuexperimentieren und unabhängig zu werden. Um bessere Songs zu schreiben, hatte sich Paul zu Hause ein paar Tonbandgeräte von Brennell aufgestellt. Er fand heraus, daß man, wenn man den Löschkopf abmontierte und nur den Aufnahmekopf benutzte, immer und immer wieder irgend etwas aufnehmen konnte, ohne daß das zuvor Aufgenommene gelöscht wurde Und wenn man das Band dann, abspielte, war von dem, was man ursprünglich aufgenommen hatte, nicht mehr das Geringste wiederzuerkennen (mithin genau das Ergebnis das man sich als echter Beatle erhoffte!) Paul erzählte es den anderen, und auch sie montierten ihre Löschvorrichtungen ab und stellten Endlosbänder mit schnatterndem Kauderwelsch her. Sie alle brachten mir ihre Werke mit, so wie Katzen ihre erlegten Spatzen anschleppen. Ich hörte mir die Bänder an, in verschiedenen Geschwindigkeiten rückwärts und vorwärts, in dreidreiviertel siebeneinhalb und fünfzehn Zoll pro Sekunde, und wählte dann aus. Von den rund 30 Bändern, die sie mir noch mitgebracht hatten, wählte ich 16 jeweils etwa sechs Sekunden lange Schleifen aus, um sie für "Tomorrow Never Knows" zu verwenden. "Jetzt haben wir unsere Spur", sagte ich »wir haben den Rhythmus, wir haben den Tambura-Bordun, und wir haben Johns Stimme, das ist die Basis. Und die werden wir nun mit den Schleifen garnieren. Dazu werden wir die Aufnahmekonsole als Orgel zweckentfremden und sämtliche Schleifen durchgehend abspielen, alle gleichzeitig. Wir schaffen zwar keine 16 aber acht müßten wir auf dem Mischpult hinkriegen", - was nicht ganz der Realität entsprach, da unsere Rekorder, wie bereits erwähnt, nur vier Spuren bewältigten. Ich mußte also acht Rekorder auftreiben, so daß jeder eine Schleife abspielen konnte. Zu diesem Zweck ging ich rüber zu EMI. Ich durchforstete jedes Zimmer im Abbey-Road-Gebäude und sagte jedesmal. »Ich brauche ein Tonbandgerät und jemanden, der diese Bandschleife hier ständig abspielt. Man braucht dafür übrigens einen Bleistift, um das Band unter Spannung zu halten". Die Tonbandgeräte dieser Zeit waren gewaltige Apparate, riesige BTR3er. Wenn sie einmal irgendwo standen, war es nicht gerade leicht, sie zu versetzen. Unsere Helfer waren deshalb über ganz Abbey Road verteilt und standen in jedem Stockwerk neben einem BTR3. Sie alle trugen weiße Kittel und hielten einen Bleistift in eine kleine Bandschleife Jedes Gerät hatte durch Abbey Road internes elektronisches Kombinationsstecksystem eine Verbindung mit dem Studio und war direkt an mein Mischpult angeschlossen. Auf mein Signal wurde eine bestimmte Schleife so lange abgespielt, wie ich es wollte von einem Mann in weißem Kittel, der in einem anderen Gebäude mehrere Etagen von mir entfernt war. Ich spreche hier von High-Tech! Als wir den Song dann abmischten, brauchten wir uns bloß noch zu entscheiden, ob wir jedes einzelne Fragment auf dem "Screen" unterbringen wollten (das heißt, wo wir es innerhalb des Stereo-Spektrums positionieren wollten.) , Das machte uns allen sehr viel Spaß. »Ich habe eine Idee« , sagte ich. »Wieso mischen wir den Song nicht alle gemeinsam ab?« Gesagt, getan. Und auf diese Weise entstand schließlich unsere Melange aus verrückten und wunderbaren Soundelementen für »Tomorrow never Knows«. Durch den ganzen Aufwand war die Sache mit Johns Gesang etwas ins Abseits geraten. Um ihn wie einen buddhistischen Mönch klingen zu lassen, sein damals sehnlichster Wunsch, schickten wir seine Stimme durch den Leslie-Lautsprecher unserer Hammondorgel. Ein Leslie-Lautsprecher rotiert innerhalb eines Lowryorgel-Gehäuses mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Mit Hilfe eines Pedals kann man diese Rotationen beschleunigen oder verlangsamen. Dadurch erzielt man eine Art Doppler- oder Wah-wah-Effekt. Wir ließen John 87 Sekunden lang durch den Leslie-Lautsprecher singen und nahmen den Gesang mit einem vor dem Lautsprecher plazierten Mikrophon auf. Dies erweckte genau jenen seltsamen Eindruck von einer Stimme, die irgendwie pulsiert und weit weg ist, wie er es sich gewünscht hatte. John war von dem Resultat dermaßen begeistert, daß Geoff Emerick vorschlug, das Ganze noch mal andersherum auszuprobieren. John an einem Seil aufzuhängen, so daß er frei schwebte, und beim Singen ihn anstelle des Lautsprechers zu drehen! Doch so weit wollte nicht einmal John gehen.
»Tomorrow Never Knows« war ein merkwürdiges Stück, aber es hat viel Spaß gemacht und war der Auslöser für unsere späteren Experimente mit Sgt. Pepper. Es ist außerdem das einzige von allen Stücken der Beatles, das nicht reproduzierbar ist. Es wäre unmöglich, noch mal exakt das gleiche Band mit all seinen ‚Happenings’ aufzunehmen. Revolver war auch das erste Album, von dem kein Song jemals live aufgeführt wurde; die Beatles gingen zwar erst nach Fertigstellung dieses Albums auf ihre letzte Tournee, doch haben sie niemals einen Song davon gespielt. Normalerweise waren sie immer ganz wild darauf gewesen, ihre neuesten Lieder live zu aufzuführen, aber sie wußten nur zu gut, daß die Songs von Revolver zu diffizil waren, um sie auf die Bühne zu bringen. Mit der Technik, die uns damals zur Verfügung stand, hätten sie »Tomorrow Never Knows« live auch niemals zustande gebracht, ja nicht einmal »Eleanor Rigby« - wo hätten sie die Streicher herbekommen sollen? Aber die vier Beatles ließen sich deshalb keine grauen Haare wachsen. Sie wärmten einfach die alten Kamellen auf , »Day Tripper«, »I Feel Fine", »I Wanna Be Your Man«. Dies war die andere Seite von Sgt. Pepper - eine ganz natürliche Weiterentwicklung von Revolver.
Ken Townsend, heute Managing Director von Abbey Road, damals Toningenieur, der unsere Experimente sehr enthusiastisch unterstützte, war den Beatles und mir bei unseren abgedrehten Plänen außerordentlich hilfreich. Ken war es, der eine frühe Form jener Zweispur-Synchronisation austüftelte, die heute Artificial Double Tracking, kurz ADT heißt und auf einer Kontrolle der Frequenzen beruht. Die zwei Tonbandgeräte, die man dafür benötigt, werden nicht vom Hauptstromnetz betrieben, sondern von einem Generator, der beide Apparate mit ein und derselben spezifischen Frequenz versorgt, so daß Masterspur und Kopierspur praktisch miteinander verbunden sind. John der von den Effekten überaus begeistert war, die wir für seine Stimme damit erzielen, konnten wollte wissen wie es funktionierte. Ich fing an es ihm zu erklären, merkte aber daß seine Augen sehr schnell glasig wurden Ich dachte mir okay, jetzt mach ich ihn mit Wissenschaft platt. Ich trat in die Fußstapfen des Nonsens-Professors Stanley Unwick und erläuterte ihm, daß die Aufzeichnung seiner Stimme geregelt wird von einem »doppelverzweigten Tropfenflansch. Er verdoppelt deine Stimme, John.« Er hatte vermutlich gemerkt, daß ich, ihn auf dem Arm nehmen wollte ...
George Martin
Summer of Love – Wie Sgt. Pepper entstand
Henschel Verlag