Jetzt, wo ich mir doch mal so ein paar Videos zum Vinyl, Plattenladen und Presswerk angeschaut habe, kribbelt es natürlich wieder. Mir fiel gerade z.B. ein, dass man doch viel eher dazu geneigt ist, eine einmal aufgelegte Platte auch - ob Stücke oder ganze Seiten - wirklich durchzuhören. Man hat sich entschieden, und nun folgt das Ritual gegenüber dem Kunstwerk. Mit der Einführung der CD verblasste der persönliche Bezug zum Album schon etwas, denn Analoges ist - wie bei echten Büchern - doch tatsächlich etwas anderes. Beim Vinyl spielt nie nur das Album alleine eine Rolle. Auch wenn es m. E. einen Unterschied zwischen Mainstream Mucke in hohen Auflagen und Independent/Untergrund in kleinen/kleineren Editionen gibt.
Ganz übel finde ich - weil: erinnert doch arg an die '3 Affen' -, sich den ganzen Tag mit Musik auf den Ohren totzuschlagen. Das ist ähnlich wie: 30 mal hintereinander das selbe Lied zu hören. Man hört es schnell 'kaputt' und wird es leid. Auch per Handy ständig erreichbar zu sein, oder alle paar Sekunden auf das Display zu starren, ohne zu wissen, warum man das wirklich macht. Das erzeugt Neurosen und Zwanghaftigkeit etc. Man nimmt sich keine Zeit mehr, die Sehnsucht fällt weg, weil alles ständig und sofort abrufbar sein muss. Man merkt einem Schreiber oft auch an, ob er Handyzombie ist, weil das in den Charakter einfließt. SMS, am besten in Steno schreiben. 'LG' liest sich doch anders als 'Liebe Grüße'. Man koppelt sich durch die Digitaltechnik selber vom Menschlichen ab, und das ist sogar beabsichtigt. Entfremdung von anderen und auch von sich selbst. Fehlt nur noch die Schlumpfung der Gene.
Ich habe auch immer von einem Plattenladen geträumt, nebst anderen Obskuritäten. Selber Platten rausbringen, Label gründen, der Welt ein besonderes spirituelles Zentrum sein, Radiosender aufmachen, um Botschaften universell zu verteilen, ein Ort des Lichtes zu sein und die geilsten Alben vorzustellen - für eine faszinierendere Welt. Ein Laden mit Zugang zu einer anderen Welt, der heilsame Gegenpart zu dieser geisteskranken Matrix, die über Leichen geht.
Vergleiche ich alleine die Zeit, in denen ich Alben als Vinyl, Kassette oder CD in Händen hielt, hatte die CD eigentlich keine Chance. Ich hatte ja oft erst das eine und dann das andere Medium besessen. Platten und Kassetten lösten viel mehr Kommunikationslust aus. Auch nur alleine mit sich selbst, so findet tatsächlich eine innigere Verbindung mit dem analogen Medium statt. Das fühlte sich - zumindest bei vielen Alben - wie ein 'Du gehörst zu mir' an. Deshalb fing wohl auch das Sammeln an. CDs habe ich später dann zwar auch gesammelt, aber es war ein anderes sammeln. Es fühlte sich wie Massenware an.
Streaming lehne ich generell ab. Damit möchte ich nichts zu tun haben. Downloads haben zwar ihre Vorteile, wie ja auch alles aus Vor- und Nachteilen besteht, denn das Leben ist nie schwarz oder weiß, aber sie entfremden das Kunstwerk.
Das Aussenden bestimmter Musik bedeutet für mich Fühlungnahme mit der Außenwelt, aber auch mit der Innenwelt. Warum hätte ich dann wohl doch nie einen Plattenladen aufgemacht? Weil ich nicht wirtschaftlich genug denke. Um davon leben zu können, müsste ich Sachen verkaufen, die ich nicht mag. Mich damit abzugeben, das empfände ich als Zeitverschwendung. Wahnsinnig spannend fände ich es, wenn ich durch meinen Musikgeschmack oder einen eigenen Laden artverwandte Seelen anzöge, mit denen sich mehr Verstrickungen ergäben. Einfach nur Platten verkaufen, das wäre mir auch zu wenig. Man möchte wesensähnliche Resonanzen erzeugen und sich damit liieren. Ein Netz spinnen und sich organisieren, weil man eine gleichgeartete Gefühls- und Gedankenwelt weitertragen möchte, weil man sie als Segen empfindet, ohne dass sie zu etwas zwingt, aber anbietet. Das ist auch eine Form der Liebe, und Liebe ist heilsam.
Würde ich heute noch Platten sammeln, könnte ich mir Musikgeräte erst recht nicht mehr leisten. Ich kenne allerdings auch rein materialistische Sammler, denen die Alben scheißegal sind, die sich nur für Verkaufspreise interessieren. Für mich damals mit ein Grund, diesem Hobby zu entsagen. Sammler suchen aber auch immer Bewunderung im Außen. Ich fand die nie, weil die einen völlig anderen Musikgeschmack hatten. Das macht also erst Spaß, wenn man da was Gemeinsames hat, über das man leidenschaftlich kommunizieren kann. Was gäbe ich noch heute dafür, so gleich empfindende Seelen anzuziehen, oder im engeren Kreis sogar was mit denen aufzubauen. Hat sich leider nie ergeben.
Damals war ich stundenlang in einem Plattenladen drin. Als würde ich am Tropf hängen, so geil fühlte sich das an, wenn der das hatte, was ich liebte. Alleine diese Fundgrube, also 'zufällig' etwas anzuziehen, was emotional zu mir gehörte. Jede Platte wollte ich am liebsten anspielen, um deren Geheimnisse kennenzulernen. Mit digitalem Zeug kam dieses Bedürfnis nie auf.
Auf CDs las ich mir fast nie den Text durch. Auf den Platten interessierte mich jede Info. Das bewirkte alleine schon die Größe und Verpackung des Mediums, das wie der Eingang zur Musik selbst anmutete.
Sollte ich es tatsächlich mal schaffen, doch noch eigene Alben herauszubringen, dann auf jeden Fall auf Vinyl, Kassette, CD und als Download. Ich finde, alle haben eine Existenzberechtigung, und für jeden ist etwas dabei.
Es gibt noch eine Menge Alben, die entweder längst in Vergessenheit geraten sind, oder die nicht mehr - auch nicht auf dem Medium CD - neu aufgelegt werden, weil der Verkauf wahrscheinlich nicht mehr lohnt. Das Risiko ist zu hoch geworden. Wenn man das Geld übrig hat, macht es wohl nicht viel aus.
Ich sehe heute aber zu viele Leute, die sich kaum mehr Zeit nehmen, ein Stück ganz durchzuhören. Sie sind wie verrückt am Zappen, haben vielleicht sogar das Genießen verlernt oder möchten einfach 20 verschiedene Dinge gleichzeitig machen, so dass ihnen die Konzentration für die Qualität abhanden gekommen ist.
Wer weiß.
Die Dinge, über die ich schreibe, fühlen sich wie eine Art Zuflucht an, die das alte Gute in die Zukunft hinüberretten möchte.
Habt Ihr Euch mal Gedanken drüber gemacht, wie das neue Medium aussehen könnte, wenn ein Ruck durch die Gesellschaft ginge, und die Leute vom Streamen lassen würden, weil das neue Medium eine Renaissance einleiten würde? Vielleicht so eine Art Platte, allerdings mit den Vorteilen der CD (Tracks genau ansteuerbar, Vor- und Zurückspulen, höhere Dynamik, aber analogerer Klang, größere Covers, Vinyl 2.0 colorierbar und nicht in der Lade laufend, sondern auf dem Teller)?