GegenKlang
Alles gut? Nicht viel, doch genug.
Es gibt sicher großartige Musiker, die können das nicht. Das stellt nicht in Abrede, dass 99% der Musiker von der Notenschrift profitieren würden. Mir fällt jedenfalls auf, dass 99% der veröffentlichten Musik musikalisch immer flacher wird. Dummer Text und Soundeffekte als Ausgleich sind ein billiges Ablenkungsmanöver von diesem Verzicht auf musikalische Kreativität. Ich weiß, für einige ist das nun mal der musikalische Stil von heute. Dann ist es auch verständlich, wenn Drogenjunkies ihren Alltag reflektieren, das ihren Lebensstil nennen: In Kneipen hocken, sich einen ansaufen, ne Line ziehen, whatever.Noten werden überbewertet
Man sollte sich vor Augen führen, dass Noten Jahrhunderte lang das Mittel der Wahl war und ist, Musik zu verbreiten. Genauso wie alle Schriften Wissen verbreiten. Der technisch-intellektuelle Fortschritt der westlichen Kultur, die sie maßgeblich der Alphabetisierung auch der ärmsten der Bevölkerung verdankt, wäre ohne die Schrift nicht möglich gewesen.
Es sei zwar dahinter gestellt, ob zu technisch-intellektuellem Fortschritt auch illustre Dinge gehören wie Kolonialisierung, Weltkriege, Globalisierung und Digitalisierung -- alles, blicken wir mal hinter unsere blasierten Friedenssäuseleien, weltpolitische Strategien Ungebildete zu übervorteilen -- und letztere ist zumal gut dabei, das Bildungsniveau in allen Bevölkerungschichten auch hier im Westen wieder zu senken, damit weniger noch mächtiger werden. Wieso lesen, es gibt doch Youtube? Wieso sich durch Bibliotheken pflügen, es gibt doch Google? Wozu Konzentration, meine Aufmerksamkeit ist doch lenkbar wie ein Stier am Nasenring? Wozu Noten, es gibt doch MIDI und Pianorolls.
Aber das nützt so viel auch wieder nicht, wenn wir als Art schließlich Erfolg haben in unserem Bestreben, unseren Gott zu ersetzen, also das meiste Existente zu beenden, damit die Natur neu anfangen kann. Nun, es gibt ja auch ein Danach. Bald gibts keine elektronischen Geräte mehr. Frage mich, was der durchschnittliche Überlebende, der Strahlenkrankheit von der Schippe gesprungen, und der neben dem Einsammeln von unverstrahltem Essbarem und dem Erledigen von Mundräubern und Mutanten noch Zeit für Kultur hat, was er als erstes findet: ein Handy mit unendlicher Akkulaufzeit, mit PIN im Kartenfach des Umschlags und Gigabytes offline gespeicherte Musik, oder zerknitterte, halb verbrannte Partituren aus dem Privatarchiv irgendeines Klavierlehrers oder so, mit etwas Glück ist auch sein Instrument noch intakt und der Überlebende kann es spielen.
Und dann ist in einem Forum für synthetische Musik noch so ein Kerl unterwegs, der "öffentliche Backups" postet, vermutlich in dem Glauben, da finden sich Archäologen, die nichts besseres zu tun haben, als seine kryptische ASCII-Notation zu entschlüsseln, die darin enthalten sind.
Zum Glück sehe ich den Kerl allmorgentlich im Badezimmerspiegel, wir putzen uns immer zusammen die Zähne, und kann ihn da leicht fragen, warum er das tut. Sagt, das sei rein pragmatisch. Jongliere zwischen Tablet, Handy, PC und Desktop. Private Datenaustauschtechniken seien unattraktiv aufgrund eigener Schusseligkeit, mangelnden Komforts oder die Scheu davor, sich neue Technik mit offener oder versteckter Internetabhängigkeit ins Haus zu holen ... Security by obscurity, und wenn doch mal ein Nerd sich die Mühe macht dahinter zu steigen, umso besser -- bestehe ja noch Hoffnung für die Welt. Was er tue, wenn das Internet ausfällt? Tja, rauslaufen und sich der Massenpanik anschließen mit Sekt und Wunderkerzen. Dann nächsten Musikladen stürmen und Partituren kaufen. Endlich wieder Zeit zum Klavierspielen.
Zum Glück sehe ich den Kerl allmorgentlich im Badezimmerspiegel, wir putzen uns immer zusammen die Zähne, und kann ihn da leicht fragen, warum er das tut. Sagt, das sei rein pragmatisch. Jongliere zwischen Tablet, Handy, PC und Desktop. Private Datenaustauschtechniken seien unattraktiv aufgrund eigener Schusseligkeit, mangelnden Komforts oder die Scheu davor, sich neue Technik mit offener oder versteckter Internetabhängigkeit ins Haus zu holen ... Security by obscurity, und wenn doch mal ein Nerd sich die Mühe macht dahinter zu steigen, umso besser -- bestehe ja noch Hoffnung für die Welt. Was er tue, wenn das Internet ausfällt? Tja, rauslaufen und sich der Massenpanik anschließen mit Sekt und Wunderkerzen. Dann nächsten Musikladen stürmen und Partituren kaufen. Endlich wieder Zeit zum Klavierspielen.
Und ja, die klassische Notenschrift widersteht dem Argument, bei den heutigen Möglichkeiten der Klangformung müsse sie passen. Sie selbst kann da zwar wenig behilflich sein, von der Aufnahme neuer Symbole abgesehen, die in einer Legende zu klären wären. Aber ob die Ziffern über oder unter den Noten Fingersätze angeben oder Bezüge zu Fußnoten mit allgemeinsprachlicher Beschreibung einer synthetisierbaren Klangvorstellung, sollte ja egal sein. Wenn der Komponist dazu nicht bereit ist sowas zu erstellen, wohl denn, deckt sich das vermutlich auch mit seiner Haltung zu eigener Musik. Allein, er kann nicht angeben, eine Überlieferung seiner Ergüsse wäre geräteunabhängig nicht möglich.
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