OK, here we go.
Erstmal: Was man beim Thema Microtuning genau braucht, hängt natürlich sehr von den ästhetischen Vorstellungen ab.
Ich beschreibe hier nur mal beispielhaft ein paar Herangehensweisen. Das ist ein Versuch, Verständnis zu wecken für die Vorlieben oder Prioritäten der Kollegen… vor allem, ein wenig zu begründen, warum und wann eine Begrenzung auf 12 Töne, die sich in der nächsten Oktave wiederholen, die nur bis zum nächsten Ton verstimmt werden können und das nur in Schritten von einem Cent oder weniger, nur in ganz bestimmten Fällen ausreicht. Und in vielen Fällen eben überhaupt nicht.
Wichtig: Natürlich ist keiner der hier vorgestellten Ansätze „besser“ oder „schlechter“ als der andere. Gute Musik kann man auf jeder Basis machen!
Interessiert das eigentlich alles hier jemanden? : - )
(Ansatz 1) "Ich möchte weiterhin 12 Töne in der Oktave verwenden, einzelne dieser Töne aber leicht oder deutlich verstimmen."
- Da eignen sich zum Beispiel historische europäische Stimmungen
- Oder du willst, etwa für orientalisch inspirierte Musik, Einzeltöne deutlich, auch um sagenwirmal einen Viertelton, verstimmen.
Es kommt da vielleicht nichtmal so sehr auf die Präzision an. Es genügt, wenn einzelne Töne sozusagen ein Eigenleben haben. Man muss an die Zanza denken, das afrikanische „Daumenklavier“, wo die Töne grundsätzlich gleich klingen, dann auf eine Zunge ein wenig Teer kommt, auf die nächste ein Stück Metall, und so weiter, um, auf Basis homogener Klangfarbe, dennoch die Einzeltöne zu individualisieren. So etwas findet auch hier statt.
(Ansatz 2) "Ich möchte historische Musik spielen oder mich auf diese beziehen und brauche die dazu notwendigen Stimmungen."
Aha! Ein Insider. Hier ist klar das Ziel eine präzise Kontrolle über den Einzelton. Meist ist es gewünscht, dort reine Intervalle zu haben oder solche, die diesen nahe kommen.
- Dann musst du schon die gängigen Stimmungen möglichst genau haben und eventuell eigene Varianten eingeben können.
- Wichtig könnte hier sein, dass mehrere Klangerzeuger wirklich exakt die gleiche Stimmung verwenden.
- Je nach deinen Ansprüchen kann es sein, dass die meistens vorgesehene Präzision von einem Cent bei Weitem nicht ausreicht!
(Ansatz 3) "Ich möchte mehr Töne in der Oktav haben, zwischen den anderen, mir bekannten."
- Das könnten Viertel-, Achtel- oder auch Sechsteltöne sein
- Vielleicht will ich auch umgekehrt die Oktave anders teilen, meinetwegen in elf, fünf oder sieben gleiche Teile
Dergleichen Ideen waren virulent am Anfang des 20. Jahrhunderts. Eigentlich ist es das Gegenteil von (2) - eben nicht eine klare Vorstellung des Tons, der da klingen soll, sondern die Hoffnung, in einem größeren (oder einfach einem anderen als dem üblichen) Vorrat unbekannte Perlen zu finden. Es kann jedenfalls melodisch Sinn machen, indem beispielsweise besonders enge Leittöne verwendet werden, oder – harmonisch – Dissonanzen noch dissonanter klingen.
Historisch hat sich dergleichen nicht durchgesetzt, außer in bestimmten Bereichen der Neuen Musik – vor allem dort, wo es um Massenstrukturen geht, also sagenwirmal sieben Instrumente, die in einem sehr engen Tonhöhenbereich durcheinanderspielen, sich aber z.B. nach und nach beruhigen oder den Tonvorrat langsam ändern, und so was. Auch bei sehr rhythmisch und perkussiv gedachten Musik mag das passen – wenn harmonische Vorgänge keine Rolle spielen. Da fast keine reinen Intervalle entstehen, kommt es im Grunde oft gar nicht mal auf die letzte Exaktheit der Intonation an.
(Ansatz 4) "Ich möchte ganz andere feste Stimmungen verwenden, die eben nicht auf Teilung der Oktav basieren, sondern auf Teilung eines anderen Intervalls oder auf Addition eines festen Intervalls."
- Gleiche Intervalle ohne Wiederholung nach der Oktave (Wendy Carlos: Alpha, Beta, Gamma)
- Bohlen-Pierce-Skala (Teilung des Intervalls 3/1 in 13 gleiche Teile)
- Stockhausen, Studie II (Teilung des Intervall 5/1 in 25 gleiche Teile)
(Ansatz 5) "Ich brauche präzise Kontrolle über den Einzelton, auch wenn ich keine historischen Stimmung verwende. Ich möchte ganz freie Stimmungen verwenden."
- Das kann zum Beispiel nötig sein, wenn du glockenartige Klänge konstruieren möchtest. Es wird sehr schnell notwendig, wenn ein Ringmodulator ins Spiel kommt, und du eben nicht auf stark geräuschhafte Klänge aus bist, sondern auf reine, völlig schwebungsfreie Klänge (oder Klänge, bei denen die Schwebungen ein definiertes Tempo haben sollen).
- Typischerweise wirst du Ausschnitte aus Ober- oder Untertonreihen verwenden wollen.
- Oder du willst mehrere historische Stimmungen gegeneinander stellen - einmal eine schwebungfreie reine Terz verwenden, dann wieder eine leicht oder stärker verstimmte.
Hier ist eine Genauigkeit der Einstellung von einem Cent definitiv viel zu gering! Und es wird meist auch nötig sein, Töne um mehr als einen Halbton zu verstimmen – ganz einfach, weil du nicht nur ein „e“ brauchst, sondern vielleicht drei oder vier verschiedene. Du kommst wahrscheinlich mit einer beschränkten Zahl von Tönen aus, sagen wir, mit 128 – aber die verwendest du ganz anders, auch in anderen Oktaven.
(Ansatz 6) "Ich möchte völlig freie Stimmungen verwenden, aber diese auch jederzeit während des Spielens ändern." – Das klingt in dieser Bestimmtheit sicher im ersten Moment etwas kindisch, kann aber natürlich je nach Konzept nötig sein. Das feste, vordefinierte Set aus Ansatz 5 reicht nicht mehr – zum Beispiel, weil du tatsächlich sehr viele Tonhöhen einsetzen willst, oder improvisierst und daher vorher nicht weißt, was du brauchen wirst, oder schlicht, weil du die Übersicht über deine Stimmungen anders nicht mehr behältst.
Und hier bietet MIDI seit ein paar Jahren was Neues: Die Möglichkeit, jederzeit einfach eine andere Stimmung zu übertragen. Ohne die gerade klingenden Töne zu unterbrechen. Mit dem
MIDI Tuning Standard wird das möglich. Nur: Die wenigsten Hersteller scheinen es zu implementieren, weil die wenigsten Kunden danach fragen.