Der erste Kontakt kam durch Rehberg zustande, der bei meinem Besuch kurz vor der Abfahrt den Telefonhörer in der Hand hielt und mich fragte, ob ich einen Florian Schneider-Esleben kennen würde, der sei an dem EMS Pitch to Voltage Converter interessiert. Ich habe das Gespräch übernommen und mich mit ihm in Düsseldorf, Mintropstraße 16 verabredet.
Mein Freund Wilfried Bischoff aus Bonn mochte Kraftwerk auch gut leiden, da sind wir eben gemeinsam hingefahren. Das Rolltor war geschlossen, wir auf die unbeschriftete Klingel gedrückt und gewartet. Dann ging das Rolltor langsam auf und unten kamen zwei spitze Schuhe zum Vorschein. "Das isser, das isser, ich werd bekloppt", sagte Wilfried vollkommen begeistert. Dann durften wir rein und haben alles angesehen und uns angefreundet. Er hat Ralf Hütter bei der Gelegenheit das Schulte Compact Phasing A abgekauft.
Aber das habe ich ja schon oft erzählt.
WENN DER SENATOR ERZÄHLT
Ja, wenn der Senator erzählt.
Das ist der, dem das ganze Wackelsteiner Ländchen gehört
und alles, was darauf steht.
Wie der angefangen hat:
Sohn eines Tischlers,
der war mit 40 schon Invalide,
alle Finger der rechten Hand unter der Kreissäge.
Mit fünf Jahren schon ist der Senator jeden Tag
von Wackelrode nach Hohentalholzheim gelaufen,
zwölf Kilometer hin
und zwölf Kilometer zurück. Und warum?
Weil in Wackelrode ein Liter Milch zweieinhalb Pfennig
gekostet hat,
in Hohentalholzheim aber nur zwei Pfennig,
und diesen halben Pfennig durfte der Bub gehalten.
Das hat er auch getan, zehn Jahre lang –
Von Wackelrode
nach Hohentalholzheim,
von Hohentalholzheim
nach Wackelrode.
Und nach zehn Jahren, da hat sich der Senator gesagt:
„So.“ Hat das ganze Geld genommen
ist hergegangen
und hat das erste Hüttenwerk
auf das Wackelsteiner Ländchen gestellt.
Ja, wenn der Senator erzählt.
Dann 14/18, der Krieg.
Und hinterher, da hat sich der Senator gesagt:
„So, der Krieg ist verloren,
was ist dabei herausgekommen?
Gar nichts.“
Und dann hat er sein ganzes Geld genommen
und hat Grundstücke gekauft.
Hier eins, da eins.
Und dann kam die Arbeitslosenzeit, dann Adolf.
Ja, und 34, da gehörte ihm praktisch schon
Das ganze Wackelsteiner Ländchen.
Und dann hat er noch ein Hüttenwerk
Auf das Wackelsteiner Ländchen gestellt.
Das waren dann schon zwei,
das alte Wackelsteiner Hüttenwerk
und das neue Wackelsteiner Hüttenwerk.
Und mitten im Krieg, in schwerer Zeit,
hat er noch ein Hüttenwerk
auf das Wackelsteiner Ländchen gestellt.
Ja, wenn der Senator erzählt.
Und dann 45, ausgebombt, demontiert.
Da hat sich der Senator gesagt:
„So, der Krieg ist verloren,
was ist dabei rausgekommen?
Gar nichts.“
Und er war froh,
dass er wenigstens noch das
Wackelsteiner Ländchen hatte
und seine treuen Bauern.
Hier einen Schinken, dort einen Liter Milch.
Und so konnte man ganz allmählich wieder anfangen.
Aber dann 48, Währungsreform.
Da stand der Senator
Wie jeder von uns da, mit vierzig Mark auf der Hand.
Und was hat er damit gemacht?
Etwa ein viertes Hüttenwerk
Auf das Wackelsteiner Ländchen gestellt?
Nein, er hat’s auf den Kopf gehauen
In einer Nacht.
Und als dann Morgens auf der Straße stand,
neblig war’s und kalt,
da musste der Senator plötzlich so richtig lachen.
Er hatte eine gute Idee:
„Wie wäre es“, sagte sich der Senator,
„wenn man aus dem Wackelsteiner Ländchen
ein Ferienparadies machen würde?“
Gesagt, getan.
Verkehrsminister angerufen – alter Kumpel
aus schwerer Zeit.
Ja, und dann ist aus dem Wackelsteiner Ländchen
das Wackelsteiner Ländchen geworden,
wie es heute jedermann kennt.
Und dann hat der Senator noch ein Hüttenwerk
auf das Wackelsteiner Ländchen gestellt.
Ja, wenn der Senator erzählt.
Aber dann wird er traurig, der Senator.
„Und wissen Sie was“, sagt er dann,
„Die waren damals doch glücklicher,
die Leute.
Wie ich angefangen habe:
Sohn eines Tischlers,
der war mit 40 schon Invalide,
alle Finger der rechten Hand unter der Kreissäge.
Mit fünf Jahren bin ich schon jeden Tag
Von Wackelrode nach Hohentalholzheim gelaufen,
zwölf Kilometer hin
und zwölf Kilometer zurück.
Und warum?“
Ja, wenn der Senator erzählt.
Franz-Josef Degenhardt