Natürlich bezieht sich KW auf bestehende Musik. Sagen sie ja selber, dass sie Pop-Musik machen. Halt mit Instrumenten, die Klang künstlich erzeugen, das konnten damals nur Synthesizer. Schlagermelodik und -Harmonik und -Beats waren ihnen sogar recht.
Keiner, der kommerziell Erfolg hat, kommt ohne Bezüge aus. Da kann er oder sie noch sehr nach was "Neuem" suchen wollen. Musiker sowieso.
Das macht es ja umso schwerer! Und die Leistung umso größer, wenn es gelingt. Wenn etwas nicht untergeht im Rauschen der Medien, hat es immer einen Bezug auf oder zu etwas. Das war schon 1970 so. Das geht evolutionär gar nicht anders. Wahrnehmung und so. Auch wenn die Hybris des Künstlers das ungerne zugibt.
Das Neue ist bei KW aber nicht Musik per se. Sondern Musik als Teil eines Gesamtkunstwerks. So konsequent hat das damals keiner durchgezogen.
Was KW so einzigartig und einflussreich macht, ordne ich
– unter Inkaufnahme meiner generellen Unwissenheit und rudimentär vorhandenen Intelligenz (das schreibe ich nur, um mitlesende Narzissten Milde zu stimmen) – so ein:
KW waren die ersten Musiker, die einen Konzeptgedanken kompromisslos durchgezogen haben. Sie haben das Musiktheater (für die Liveperformance), die Videokunst (für MTV) und die Klangerzeugung (elektronisch und nicht mechanisch +- elektrisch verstärkt) konsequent dem Leitgedanken "Menschmaschine" untergeordnet. Sogar ihre Herkunft (deutsch) und der Umgang mit den Medien wurde ins Konzept aufgenommen. Ohne das alles wäre "Autobahn" vielleicht pop-historisch originell, aber nicht grandios. KWs Musik selbst ist deswegen mE.
konzeptionell genial.
Nicht kompositorisch. Und auch nicht bei der Wahl der Musikinstrumente. Der Umgang mit dem Synthesizer, also die Geisteshaltung, durchaus. Da mag die Dirigenten-Haltung die Lösung gewesen sein. Musikalisch hat KW Kinderlieder für Erwachsene komponiert – was handwerklich gar nicht so einfach ist.
Die Musik bei KW selektiv zu betrachten, ist wie den Speck aus der Blutwurst nehmen und dann den Einfluss von Blutgeschmack auf das Metzgereiwesen betrachten (das war mutig, ich weiß ).
Wer hätte denn, 1970 +, "Menschmaschinen"musik singen sollen, ausser Robotern? Was hätten KW denn, auch in den 80er, anderes zur Klangerzeugung benutzen können, bei diesem Konzept, als Synthesizer? Analoge Bandmaschinen, digitale Bandmaschinen? Aufnahmen von einstürzenden Neubauten? Motorenklang? Waschmaschinensamples? Was KW so einflussreich gemacht hat und immer noch macht, ist das Konsequente. Auch in der Musik. Aber nicht das "Neue" im Klang, das daraus entsteht. Deren Musik war am Ende gerade so "Neu", dass man sie noch prima konsumieren konnte. Weltweit.
Was ich sagen will: Das Einflussreiche bei Kraftwerk ist nicht das "Neue" an deren Musik, sondern, dass Pop ein Gesamtkunstwerk sein kann, wenn ein tragfähiger Konzeptgedanke da ist, der konsequent und kompromisslos durchgezogen wird.
Buchtipps und Literaturnachweise, die meine Einschätzung und Deutung selbsterlebter Beobachtung wissenschaftlich objektivieren – positiv oder negativ – darf sich jeder gerne selber prompten.