Kkrkslbrzl-dingdong-Plickplack-Knarz-Musik?

Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

Leider finde ich keine 'Öffentlich verfügbare Version' a la youtube von
Wendy Carlos - Sonic Seasonings

wo Field Recordings mit Moog Modular zu einer wunderbaren Einheit verschmelzen.

Ist Terry Rileys 'Shri Camel' zu konventionell für diese Diskussion?
'Alternate Tunings' scheinen sich in der selben Besenkammer wie 'geräuschhafte Musik'
zu befinden, warum auch immer...
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

Burt schrieb:
Wendy Carlos - Sonic Seasonings
Schöne Musik, aber trotz Naturgeräuscheinbindung etc. nicht unbedingt der geräuschhaften Musik zuzuordnen.
'Alternate Tunings' scheinen sich in der selben Besenkammer wie 'geräuschhafte Musik'...
Mikrotonale Musik hatten wir schon. Sehr spannend und setzt viel Wille beim Hörer voraus :mrgreen: .
Kommt hier aber nicht so gut weg. Würde ich nicht mit "geräuschhaft" gleichsetzen*, ist ja nur ein anderes Skalensystem.

* Gibt natürlich Ausnahmen. Vom Österreicher Haas gibt's z. B. ein mikrotonales "Klavierkonzert" (für 6 Flügel!). Die sind so dicht
beieinander gestimmt, dass man eher an Cluster denkt, bzw. Geräusche. Kriegt man aber auch mit unserem normalen
temperierten System hin.
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

ARNTE schrieb:
Klaus P Rausch schrieb:
Oder es ist ein Dilettant, dem halt die Hände ausrutschen.

das ist der punkt. bei sehr geräuschhafter "Musik" verhält es sich imo genauso wie bei abstrakter kunst: weder für kenner noch für laien ist oftmals ein unterschied zwischen "gekonnt und bewusst gestaltet" und "dilletantisch hin fabriziert" erkennbar. beides kann im ergebnis gleichwertig sein. sobald aber eine kunstform/genre/wieauchimmer sich soweit vom "Könnertum" entfernt, dass auch "unfälle" das selbe endresultat erreichen können, ist für die allermeisten menschen eine grenze erreicht. imo zu recht.

Da sehe ich das Problem nicht. Kapiere ich die Kunst nicht, dann ist das halt mal so. Ist es keine, sondern smart gemachter Fake, dann Hut ab :) Halte ich es für Quatschkram eines Unbedarften, dann denke ich mir: Weitermachen, wird vielleicht noch.

Kunst ist nicht für Krampfhaltung geeignet, eher zum locker machen. Besonders dann, wenn noch eine Prise Komik, Eleganz oder Raffinesse drin zu finden ist.

Bei mir bleibts also beim Grenzenlosen, Richterskala nach oben hin offen. Auch wenn man mich gerne für einen eher konservativen Künstler hält.
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

Hängt Euch nicht zu sehr an der Kunst auf bei diesem Thema.
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

milan_kunc_kl.jpg


Der eine hängt sich ein Poster mit einer dickbusigen Lolita ins Wohnzimmer und findet's schön, der andere ein Originalgemälde eines zeitgenössischen Künstlers. Unterschiedlicher Geschmack.
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

Klaus P Rausch schrieb:
Kunst ist nicht für Krampfhaltung geeignet, eher zum locker machen.

Full Ack.

Frank Zappa hat mal in einem Interview gesagt (sinngemäß) man müsse die Angst aus der Musik nehmen. Wenn man schon unter den Prämissen rangeht "geht das auch als Kunst durch? werde ich ernst genommen? was werden meine Kollegen sagen?" etc etc. dann wird das nix.

Letztendlich macht man doch Musik für sich. Wenn man damit glücklich ist, ok. Wenn man sagen kann "das ist es, was ich immer machen wollte", ok. Und das kommt auch so rüber.

Wir hatten mal ne eher experimentell angehauchte Band, da haben die Leute nach dem Konzert in den umliegenden Kneipen diskutiert ob das jetzt ein Konzert war oder nicht. Ich denke, das ist das höchste was man als Amateur so erreichen kann: das sich das Publikum mit deiner "Kunst" auseinandersetzt. Das ist für mich viel wichtiger als die Frage ob das denn nun Kunst sei oder nicht.

"Denn Kunst kann nur Heftigkeit, Grausamkeit und Ungerechtigkeit sein."
http://www.kunstzitate.de/bildendekunst ... rismus.htm

Das hat was. Da ist es schon drin, dieses "Trauen", dieses "keine Angst haben". Wenn ich mich auf die Bühne stelle und denke "O Gott was werden sie sagen" dann habe ich schön längst verloren.

Servus,
Alex
 
Also bisher hab ich noch jeden Synthe ... ähm ... therapiert der auf meiner Couch lag.
Alles eine Sache der Modulation ... des Systems, des Rauschs ...
man denke mal an John Cage - und zerstöre das System der Gewohnheiten

John Milton Cage Jr. (* 5. September 1912 in Los Angeles; † 12. August 1992 in New York City) war ein US-amerikanischer Komponist und Künstler. Mit seinen mehr als 250 Kompositionen,[1] die häufig als Schlüsselwerke der Neuen Musik angesehen werden, gilt er als einer der weltweit einflussreichsten Komponisten des 20. Jahrhunderts.[2] Hinzu kommen musik- und kompositionstheoretische Arbeiten von grundsätzlicher Bedeutung. Außerdem gilt Cage als Schlüsselfigur für die Ende der 1950er Jahre entstehende Happeningbewegung und als wichtiger Anreger für die Fluxusbewegung und die Neue Improvisationsmusik. Neben seinem kompositorischen Schaffen betätigte er sich auch als Maler und befasste sich mit Mykologie, der Wissenschaft von den Pilzen.

Das Stück 4′33″ wurde am 29. August 1952 in der Maverick Concert Hall in Woodstock, New York uraufgeführt. Anregung für die Partitur waren unter anderem die White Paintings von Robert Rauschenberg. Der Titel gibt eine Aufführungsdauer von vier Minuten und 33 Sekunden vor, wobei die Längen der drei Sätze – mit der Anweisung Tacet für alle drei Sätze, das heißt, es werden im gesamten Werk keine hörbaren Töne, sondern nur Stille erzeugt – mit dem I Ging ermittelt wurden.[28] In der Uraufführung zeigte der Pianist David Tudor die drei Sätze durch Schließen und Öffnen des Klavierdeckels an.[29] Laut Partitur ist die Dauer des Stückes frei wählbar, und nur der Titel soll diesen Wert in Minuten und Sekunden genau angeben. Obwohl also streng genommen der Titel je nach gewählter Dauer variieren kann, hat sich die Bezeichnung 4′33″ durchgesetzt, der Wert der Uraufführung. Ebenso frei wählbar ist die Zahl der Ausführenden und die Art der (nicht) benutzten Instrumente. Bei nahezu jeder Aufführung treten Geräusche auf, die durch Zuhörer, die mit dem Werk nicht vertraut sind, als Zeichen von Ungeduld verursacht werden. Ebenso kommt es häufig zu Beifallskundgebungen während der Aufführung durch mit dem Werk vertraute Zuhörer. Dadurch „klingt“ jede Aufführung von 4'33 anders.
 
Ähem, hatten wir doch alles schon.

Wir sind schon ein paar Lichtjahre weiter.
 
Zotterl schrieb:
memristor schrieb:
Zotterl hatte das gesagt, was ich so verstanden habe daß unter euch beiden der Herr und jede Bewunderung seines Werks und seiner Person sakrosankt ist
Quark. Ich hatte mehr als einmal betont, dass dies kein NM-Thread werden muß und
*** Wer mit Stockhausen Probleme hat (ist nicht Voraussetzung für diesen Thread, aber ***
*** man kann viel von ihm lernen): dann orientiert Euch einfach nochmals ***
*** am ersten Post / Threadstart... ***


Wie ich sehe hat Mic versucht das Kind nochmal (im Threadableger) zu schaukeln, aber dort siehts momentan
ähnlich aus. Wie dem auch sei: evtl. macht es Sinn diesen Thread hier zu schließen und im anderen weiterzumachen,
damit es keine Überschneidungen gibt. Einwände?

zu 1) ging nur darum daß ich nicht von Stocki lernen muss, oder das vielleicht schon getan habe, Alfons meinte dann das stünde gar nicht zur Debatte,
deswegen hatte ich auch Deinen Beitrag verwiesen,
Egal, habs schon richtig verstanden, das sakrosankt ging dann in König Alfons Richtung

zum Thread) fand den bis zum Schließen ganz ok, etwas "durch" aber nicht entgleist, und der hätte eventuell trotzdem noch zu ein paar ganz guten Beiträgen geführt
und vielleicht auch noch ein bischen zu Einsicht und Beweglichkeit, dauert ja manchmal etwas länger
warum man den dann schließen muss und durch eine andere vom Niveau niedrig einsteigende Diskussion ersetzen muss die den ganzen Kontent hier erst mal ignoriert,
und dann aber doch wieder aufmachen muss, etc
- keine Ahnung,
bin jedenfalls raus aus beiden denk ich, hab hier auch nicht weiter gelesen
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

ARNTE schrieb:
bei sehr geräuschhafter "Musik" verhält es sich imo genauso wie bei abstrakter kunst: weder für kenner noch für laien ist oftmals ein unterschied zwischen "gekonnt und bewusst gestaltet" und "dilletantisch hin fabriziert" erkennbar. beides kann im ergebnis gleichwertig sein. sobald aber eine kunstform/genre/wieauchimmer sich soweit vom "Könnertum" entfernt, dass auch "unfälle" das selbe endresultat erreichen können, ist für die allermeisten menschen eine grenze erreicht. imo zu recht.
So weit der beste Beitrag zum Thema.

Bei dem Beispiel von Pierre Henry (zu dem ich irgendwie eher Zugang finde) denk ich mir, ich sollte meine ganzen Experimente der letzten 10 Jahre mal als Ganzes hochladen und nicht zerlegt als Sample/Loop-Packs auf irgendwelchen dubiosen Plattformen anbieten. Vielleicht schaffe ich hier große Kunst, ohne es zu ahnen.
 
memristor schrieb:
zum Thread) fand den bis zum Schließen ganz ok, etwas "durch" aber nicht entgleist, und der hätte eventuell trotzdem noch zu ein paar ganz guten Beiträgen geführt
und vielleicht auch noch ein bischen zu Einsicht und Beweglichkeit, dauert ja manchmal etwas länger
warum man den dann schließen muss und durch eine andere vom Niveau niedrig einsteigende Diskussion ersetzen muss die den ganzen Kontent hier erst mal ignoriert,
und dann aber doch wieder aufmachen muss, etc
- keine Ahnung,
bin jedenfalls raus aus beiden denk ich, hab hier auch nicht weiter gelesen
Mic wollte mit dem Reset wieder eine Struktur reinbringen; obs gelungen ist, ist ne andere Sache.
Nichts sollte uns jedoch aufhalten mit höherem Niveau auch im Nachfolgethread weiterzumachen! ;-)
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

salz schrieb:
Vielleicht schaffe ich hier große Kunst, ohne es zu ahnen.

Das funktioniert besonders gut, wenn man tot ist.

Dann wird der Künstler viel leichter zur Projektionsfläche als zu Lebzeiten. Herrlich geeignet, um was reinzuinterpretieren, denn der Künstler kann sich dann ja nicht mehr wehren. Klassische Rechnung: Je länger her, desto Glorie.

Das soll nicht als Anreiz missverstanden werden :)
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

ARNTE schrieb:
das ist der punkt. bei sehr geräuschhafter "Musik" verhält es sich imo genauso wie bei abstrakter kunst: weder für kenner noch für laien ist oftmals ein unterschied zwischen "gekonnt und bewusst gestaltet" und "dilletantisch hin fabriziert" erkennbar. beides kann im ergebnis gleichwertig sein. sobald aber eine kunstform/genre/wieauchimmer sich soweit vom "Könnertum" entfernt, dass auch "unfälle" das selbe endresultat erreichen können, ist für die allermeisten menschen eine grenze erreicht. imo zu recht.

Ich bin da ganz bei Klaus (P. Rausch).

Ob Punk Rock oder Dada noch Kunst sind soll meinetwegen jeder selbst beurteilen. Irgendwann ist man halt bei HURZ.
Ich gehe ganz gerne hier in die Kunsthalle, aber da gab es auch schon ziemlich vieles was ich albern fand. D.h., besonders albern fand ich dann immer das Brimborium das darum gemacht wurde. Ja nu.... :lol:
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

Der Thread hier zeigt noch am ehesten, dass selbst die Kerndebatten eines -geschätzt- 50-60 Jahre alten Kunst-Diskurses, noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.

Für die meisten ist "Kunst" anscheinend das Werk "anderer", also eine Welt, zu der man offenbar selbst keinen Zugang hat oder findet. Dazu kommen Missverständnisse, Vorurteile und (zumeist ungerechtfertigter) Neid auf einen vermeintlichen Erfolg (Aufmerksamkeit, Geld), den jemand mit seiner Kunst, bzw. "Kunst" erzielt.*

Das ganze noch gewürzt mit Pauschalierungen zu abstrakter Kunst und wir haben dann endgültig Stammtischniveau erreicht, gegenseitiges Schulterklopfen, eine Runde Mitleid ausgegeben... danke, weitermachen. :selfhammer:

* Anm.: natürlich ist der sog. "Kunstmarkt" beschissen hoch drei. Eliten wie Kuratoren, Feuilleton und finanzstarke Investoren und Kunstfoundations haben ein Abhängigkeitssystem entwickelt, dass Grossteils bedeutungslosen Schrott hervorbringt. Diese Systeme sind zur Steigerung des Marktwertes von einer breiten gesellschaftlichen Ablehnung genauso abhängig, wie die Notwendigkeit der Warenförmigkeit des Kunstgegenstandes und sei es, dass in der Performancekunst der Künstler selbst zur Ware wird. Trotzdem gibt es abseits dieses institutionalisierten Kunstbetriebs weitgehend unkommerzielle und gehaltvolle Experimentelle, man muss sie nur suchen und finden...
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

Klaus P Rausch schrieb:
salz schrieb:
Vielleicht schaffe ich hier große Kunst, ohne es zu ahnen.

Das funktioniert besonders gut, wenn man tot ist.
So lange will ich nicht warten. Ich will meine von Warhol vertraglich zugesicherten fuffzehn Minuten Ruhm gern jetzt, oder zumindest halbwegs zeitnah.
Vielleicht bin ich der Bukowski des Klangbaus. Das wär' doch mal 'ne Attitüde.

9-12-12_Bukowski.jpg
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

snowcrash schrieb:
Der Thread hier zeigt noch am ehesten, dass selbst die Kerndebatten eines -geschätzt- 50-60 Jahre alten Kunst-Diskurses, noch nicht in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind.

Was mich betrifft hast du Recht.
Ich glaube auch nicht dass dieser Diskurs jemals in der Mitte der Gesellschaft ankommen kann.
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

Moogulator schrieb:
Gibt es eine Grenze, ab der Musik generell als zu geräuschhaft wahrgenommen wird und faktisch bei einer Mehrheit von Leuten nicht auf Interesse stößt?
Wie sähe diese Grenze aus und wie definiert sich diese?

Zu 1.
Ja, sicher gibt es die. Es ist ja kein Zufall das elektronische Musik und elektronischer Krach eine Nische besetzen. Die Fans solcher Musik sind doch recht überschaubar. mußt du halt Schlager machen, damit kann man Kohle scheffeln und mehr Anhänger sowie Selbstbestätigung bekommen. Aber will man das ?

Zu 2.
Wenn meine Ohren bluten mag ich das nicht so gerne. Wenn ich überlegen muß will man mich verarschen oder ist das ernst gemeint, mag ich das auch nicht. Oder anders gesagt, wer sich zu sehr vom Mainstream entfernt muß mit Nichtachtung und Ablehnung rechnen. Wie weit, hängt von der Personengruppe ab, die man erreichen will. Wenn man denn eine Personengruppe erreichen will und nicht nur für sich und ein paar Ja sager rumfrickelt.

Anmerkung: Es gibt Kunst die ich sehr mag, aber wenn es um Musik geht, mag ich den Kunstbegriff überhaupt nicht, weil sich zu oft Nichtskönner dahinter verstecken. So nach dem Motto:" Ich mache Kunst und wer das nicht versteht ist ungebildet und doof". Totschlagargument !

Jeder kann und darf Krach machen und als Kunst deklarieren, aber das muß mir nicht gefallen und der Mehrheit wohl auch nicht. Also bleibt es bei der Toleranz und nicht mehr. Kann man doch mit leben, oder ?
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

Ein Briefwechsel im 'Geiste der Zeit'

andreas hilsberg

6 frankfurt/m., d. 19. 10. 71
wiesenhüttenplatz 34
tel: 23 24 10

herrn
professor karlheinz stockhausen
5 köln
musikhochschule

sehr geehrter herr stockhausen,
in anschluß an donaueschingen habe ich eine frage an sie, die ich ihnen in der fürstenbergischen brauerei schon einmal stellte. durch ungenaue formulierung meinerseits und durch die zeitliche begrenzung der diskussion kam es zu einem mißverständnis.
ganz kurz möchte ich mich ihnen vorstellen: ich bin student der musik, germanistik und der materialistischen soziologie in frankfurt. mein spezialgebiet ist zielpublikumsgebundene komposition mit den mitteln der musik, der sprache und des theaters. in seminaren der musikhochschule habe ich mich mit einigen ihrer werke genauer befaßt.
meine frage an sie ist nun: wie sehen sie ihre komposition im spiegel der gesellschaft und welche auswirkungen gesellschaftlicher art kann die tatsache haben, daß ihre werke nur an eine spezifische schicht der bevölkerung verkauft werden? die masse der menschheit ist von ihrer musik ausgeschlossen: die masse gesellschaftliche werte schaffender arbeiter. ich meine damit keinesfalls - wie sie es verstanden haben -, daß von ihrer musik nicht viel verkauft wird; soweit ich es überschauen kann, sind sie der E-musikkomponist mit dem größten marktteil (unter den zeitgenössischen komponisten).
ich glaube, eine beantwortung dieser frage gefunden zu haben - sie ist aber ungeheuerlich.
woher weiß ich nun, daß arbeiter ihre musik nicht hören? einmal haben mir meine kontakte zu arbeitern und lehrlingen dies bestätigt - das würde auf die gesamtheit der arbeitenden weltbevölkerung jedoch noch wenig aussagen. eine andere - theoretische - erklärung ist besser: der arbeiter lebt in zwei welten:
seine arbeitszeit und seine freizeit. in der freizeit darf er nicht produktiv sein, sie ist dazu da, seine während der arbeitszeit verbrauchte energie wiederherzustellen. um ihre musik zu hören, muß der hörer jedoch selbst produktiv sein, und sei es gedanklicher art. aus dem aspekt der konsumhaltung ist ihre musik nun mal nicht zu verstehen. somit tritt der widerspruch auf, daß sie mit den produkten der arbeiter komponieren und produzieren (zb technische geräte etc.), aber nicht für die arbeiter komponieren. die arbeiter produzieren die gesellschaftlichen werte, die ihnen, mir und vielen anderen die möglichkeiten zu differenziertem leben eröffnen, sie selbst sind jedoch davon ausgeschlossen.
welche folgerung, meinen sie, ergibt sich nun daraus oder mache ich einen denkfehler? sie würden nicht nur mir, sondern auch vielen anderen studenten einen großen gefallen mit der beantwortung dieser frage tun. wir haben uns in der analyse festgefahren und könnten vielleicht mit ihrer antwort weiterarbeiten.
eine zweite überlegung habe ich noch zum thema der donaueschinger diskussion angestellt: es tauchte der widerspruch auf: forderung nach flexibilität des orchesterapparates und individualisierung des orchesterbetriebes gegenüber den finanziellen realitäten. sie sagen selbst, daß die entwicklung des orchesterapparates stocken muß, wenn die bisherige praxis beibehalten wird. ihre forderung an das orchester ist die einzig wahre und richtige, aber sie wird solange nicht durchführbar sein, wie sich die gesellschaftlichen produktionsverhältnisse nicht ändern. seit jeher war die kultur - kunst, religion und rechtsprechung - ein spiegelbild der gesellschaftlichen verhältnisse. so ists nun auch mit dem orchester . solange unsere produktionsverhältnisse streng geteilt sind in produzenten und konsumenten, in kapitaleigner und arbeiter, kann sich auch das schlimme orchesterwesen nicht ändern. die tendenz wird eher weiter in die richtung gehen, wie sie aus new york berichtet haben (ich meine jetzt die sache mit dem gewerkschaftsvorsitzenden am dirigentenpult).
sie haben nun das interesse artikuliert, diese verhältnisse zu ändern. ziehe ich die letzte konsequenz aus dem vorher gesagten, genauer gesagt: würden sie jetzt die konsequenz aus dem vorher gesagten ziehen, müßten sie ihren kaum übersehbaren riesigen einfluß auf das moderne kulturleben dazu benutzen, die gesellschaftlichen produktionsverhältnisse zu ändern und auch musik für die arbeiterklasse schreiben. erst dann wird sich ihre musikalische und außermusikalische forderung an den menschen schlechthin verwirklichen lassen.
dies ist die - von mir vorhin angekündigte - unheimliche lösung. ich sehe dies als einzigen ausweg, der ihrem in donaueschingen artikulierten interesse entspräche.
ich hoffe, mit meinen gedanken ihre zeit nicht übermäßig beansprucht zu haben - aber mit mir warten noch viele auf eine antwort von ihnen und wir wären ihnen dafür sehr dankbar .
ich grüße sie und ihre kinder, die ich in donaueschingen per augenschein kennengelernt habe und um ihren vater beneide, sehr herzlich

andreas hilsberg






Karlheinz Stockhausen 5073 Kürten

2. November 1971

Sehr geehrter Herr Andreas Hilsberg,

Ihr Brief ist wirklich unerhört. Sie behaupten Dinge, die Sie vorher nicht geprüft haben. Ich habe in Osaka für ca. 1 Million Menschen meine Musik 5 1/2 Stunden pro Tag aufgeführt für 183 Tage. Das entspricht einer Konzerttätigkeit von 16 Jahren mit 70 Konzerten pro Jahr für ca. 1000 Personen am Abend. In Japan waren alle Bevölkerungsschichten im Auditorium, und selbstverständlich waren die allermeisten aus der Arbeiterschicht.
Die von Ihnen genannte >Masse der Menschheit< ist keineswegs von meiner Musik ausgeschlossen. Ich komme selbst aus der >Masse< und habe in meiner Familie nur Bauern und Arbeiter. Diese Menschen bemühen sich, soweit das ihnen von der musikalischen Begabung her möglich ist, auch meine Musik zu verstehen, und nicht nur Lehar.
Sie machen einen Denkfehler, wenn Sie annehmen, daß jeder Mensch potentiell dazu in der Lage sei, sich mit Musik zu befassen, wie ich sie mache. Ich kenne eine ganze Reihe von Leuten, die beliebig viel Zeit haben, und absolut nichts mir meiner Musik anfangen können. Das wird wahrscheinlich sogar für die allermeisten Menschen der Fall sein, deren musikalisches Interesse sich bei relativ einfachen und auf Wiederholung historischer Klischees beruhenden musikalischen Erzeugnissen am wohlsten fühlt. Ich bin vor kurzem in Wien in einer Aufführung der >Lustigen Witwe< gewesen. Wenn Sie sich das Publikum angesehen hätten, wären Sie erstaunt gewesen über den Wohlstand dieser Leute.
Deren Geschmack würde aber mit meiner Musik überhaupt nichts anfangen können.
Sie sind auf dem Holzweg, wenn Sie meinen, alles sei für alle auf dieser Welt.
Es gibt sehr arme Leute, die einen ausgezeichneten Geschmack und eine sehr musikalische und auch fortschrittliche Bildung haben, Und es gibt eine überzahl von Leuten der besitzenden Mittelklasse und vor allen Dingen von sehr reichen, die total geschmacklos und unmusikalisch sind.
Mein Publikum rekrutiert sich im wesentlichen aus den jungen Menschen in des ganzen Welt, die für die Zukunft offen sind. Ich sehe, dass Ihre Erziehung an der Universität Sie völlig weggeführt hat vom Verständnis für das, was Musik überhaupt ist. Sie werden sehr bald selbst prüfen können mir den Prinzipien Ihrer materialistischen Soziologie, was der ‚Arbeiter’ anfängt, wenn die Automatisation soweit fortgeschritten ist - und wir sind ja sehr nahe daran -daß diejenigen, die die Apparate produzieren, nicht nur 3, sondern 4 Tage pro Woche frei haben werden. Ich sage Ihnen jetzt schon im voraus, daß diese Arbeiter, obwohl sie dann 4 Tage pro Woche frei haben werden, wahrscheinlich x mal eine Reise zu irgendwelchen Fußballspielen machen und den Rest der Zeit vor Femsehempfängern verbringen werden; daß sie sich aber den Teufel scheren um Musik, wie ich sie mache. Das wird die Allgemeinheit betreffen. Einzelne Ausnahmen gibt es natürlich immer.
Sollten Sie aber darauf hinaus sein - wie vielleicht noch mehrere Ihrer Mitstudenten und Lehrer -, daß Sie Leute wie mich durch irgendwelchen ideologischen Druck zwingen wollen, Musik von einer Art zu machen, die mit relativer Vorhersehbarkeit jedem gefällt, so primitiv auch sein Geschmack ist, so sind wir wieder da angekommen, wo die Nazis schon einmal waren. Die haben ja nicht umsonst die meisten Komponisten und Künstler >entarteter Kunst< aus dem Land hinausgejagt und ihre Arbeit verboten. Deren Musik war eben auch nicht genug >populär<. Ob Sie das Ganze unter dem fadenscheinigen Namen einer materialistischen Soziologie vertreten oder einer nationalsozialistischen: das Ergebnis kommt ziemlich auf das gleiche hinaus. Wie Marcuse schon sagte: In den achtziger Jahren wird das Wort Kunst ein Schimpfwort sein. Und Sie sind eine der kleinen Ameisen, die zum Zerfressen des allgemeinen Bewußtseins von Qualität mit beitragen, ohne es zu wissen.

Freundliche Grüße trotzdem von Ihrem

Stockhausen
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

Ok, dieser Brief(wechsel) erklärt noch mal Einiges.
Interessant, dass es diese Diskussion bereits Anfang der Siebziger gab.
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

„You don't have to call it music, if the term shocks you.”

[John Cage, 1982]
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

Bedrückend, dass sie es damals geben musste. Und heute.
Ich hatte ja auf deinen Ausgangsbeitrag so wie du dich sicherlich erinnern kannst geantwortet: "Dr. Josef Goebbels fragen." Wurde dann gelöscht.
Bin immer wieder erschüttert, wie wenig Geschichtskenntnis bei einem Großteil hier vorhanden ist. Ist das Wort "Bildung" in diesem Fall zu hart und wirkt beleidigend?
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

König Alfons schrieb:
Bedrückend, dass sie es damals geben musste. Und heute.
Ich hatte ja auf deinen Ausgangsbeitrag so wie du dich sicherlich erinnern kannst geantwortet: Dr. Josef Goebbels fragen.
Bin immer wieder erschüttert, wie wenig Geschichtskenntnis bei einem Großteil hier vorhanden ist. Ist das Wort "Bildung" in diesem Fall zu hart und wirkt beleidigend?
Nicht böse gemeint:
Bitte ziehe in Betracht, dass Du bisweilen als "Raufbold" rüberkommst.
Da gibt's ja den alten Spruch "Der Ton macht die Musik"... ;-)

Zum Thema "Bildung" hatte ich mich heute schon mal irgendwo geäußert (Angepisstsein etc.) und
jemand hat sogar einen anderen Terminus gefunden. Sollte jetzt funzen.

Vielleicht kriegen wir hier wieder etwas (positive) Spannung rein. Denn ich finds immer noch interessant.
auch wenn wir wieder eine Kunstdiskussion draus gemacht haben (warum eigentlich?)
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

Diese Diskussion zum 1000sten Mal ist natürlich überflüssig.
Genauso wie die Nazikeule.
Und herablassende und beleidigende Kommentare.

Allen (Neu-)Interessierten sei geraten sich Neue Musik et al. mal live anzuhören. Geht ganz anders rein! (und schafft damit viel leichteren Zugang)
 
Re: Geräuschhafte Musik "anerkannt"? Grenzen?

mookie schrieb:
Allen (Neu-)Interessierten sei geraten sich Neue Musik et al. mal live anzuhören. Geht ganz anders rein! (und schafft damit viel leichteren Zugang)
:supi: Meine Rede!
 


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