Um meinen Standpunkt vielleicht noch etwas besser zu erklären: Ich habe einen riesigen Respekt vor Menschen, die es ernsthaft anstreben, mit ihrer eigenen Musik ihren Lebensunterhalt zu finanzieren - auch unabhängig davon, ob das dann dauerhaft klappt oder nicht. Mir ist klar, dass dies kein Zuckerschlecken ist, und ich gestehe es jedem zu, auch mal Dampf abzulassen oder einfach ein bisschen zu jammern. Das ist völlig legitim, gerade in einem Musikerforum, wo man ein wenig unter Seinesgleichen ist.
Mir geht es aber darum aufzuzeigen, dass die hier diskutierten Schwierigkeiten des Musikerlebens vielleicht in genau dieser Erscheinungsform (Streaming) neu sind, aber generell Künstler zu allen Zeiten vor große Herausforderungen gestellt haben. Ich nehme es so wahr, dass wir es im Schnitt (!) heute vergleichsweise leicht haben.
Heutiger Musiker: "Das Musikerleben ist hart, weil Spotify uns die materielle Grundlage entzieht, auf der unser Verkaufsmodell beruht."
Musiker der Sechzigerjahre: "Momang, ihr könnt heute ungefähr für Noppes eure Musik aufnehmen und weltweit veröffentlichen. Das hätten wir uns damals gewünscht!"
Heutiger Musiker: "Dafür konntet ihr Platten verkaufen und richtig ordentlich Kohle verdienen."
Musiker der Sechzigerjahre: "Wenn wir einen Plattenvertrag bekommen haben. Ansonsten konnten wir mit dreißig noch in Mamas Garage proben und ab und zu mal einen Kneipengig für Freibier machen."
Heutiger Musiker: "Aber ich mit meinem Talent hätte natürlich einen Plattenvertrag bekommen und damit eine sichere Lebensgrundlage!"
Van Gogh: "Was ist "sichere Lebensgrundlage"?"
Die vielen Gescheiterten, die verarmt und unrespektiert vor sich hin vegetiert haben und dann im Massengrab verscharrt wurden oder sich einen Job als Wasauchimmer suchen mussten, kennt man halt nicht. Die gab es zu allen zeiten, auch in den goldenen Jahren des Platten- und CD-Verkaufsbooms. In meinem Brot-Job habe ich die ganze Zeit mit Musikern zu tun, die hervorragend ausgebildet sind, unglaublich hart und entbehrungsreich arbeiten (Wie viel die üben! Mein Gott!), die das tun, seitdem sie fünf sind - und die trotzdem keinen Job bekommen und noch etwas anderes studieren müssen. Bildende Künstler, Choreografen, Filmemacher und Flohzirkusdirektoren stehen vor ähnlichen Dilemmata. Oder ein Beispiel aus einem anderen Bereich: Ich hatte einmal das Vergnügen, Britta Heidemann kennen zu lernen. Zu der Zeit war Sie Weltmeisterin, Europameisterin und Olympiasiegerin im Fechten, also DIE absolute Spitzensportlerin in ihrem Bereich. Sie ist außerdem ziemlich intelligent, wirklich attraktiv und hat sich auch hervorragend selbst vermarktet. Trotzdem war ihr klar, dass Sie sich neben(!) ihrem Job als Fechterin, den sie ja nun wirklich auf höchstem Level ausgeübt hat, auf eine "bürgerliche" Karriere danach vorbereiten muss und hat das auch intensiv getan. Ist das fair? Sie hat sich nicht über Manager, Marktstrategen, Konsumenten etc. aufgeregt. Sie wusste ja, was auf sie zukommt, als sie mit dem Sport angefangen hat.
Das sind die Beispiele, die ich im Kopf habe, wenn ich jemanden davon sprechen oder schreiben höre oder lese, dass die grauenhaften neuen Entwicklungen alles kaputt machen und unsere großartige Kunst entwerten. Kunst ist oft brotlos. Wir können (und wollen!!) nicht alle Helene Fischer sein. Wenn wir aber darauf bestehen, uns selbst künstlerisch auszudrücken, dann können wir nicht erwarten, dass alle anderen darauf abfahren, mit den 5000-Euro-Kopfhörerern andächtig auf dem Sofa unserem Werk lauschen, uns anschließend aufmerksamkeitsstark vergrößerte Schecks vor der versammelten Presse überreichen, während der Bürgermeister feierlich das Flatterband zu unserem neuen Studiokomplex durchschneidet. So beliebt und so relevant ist unser Output vielleicht eben nicht. Egal, wie professionell und liebevoll wir da herangehen. Und das können wir von Bach, Kafka und Britta Heidemann lernen.