Vielleicht bin ich zu begeisterungsfähig - oder noch nicht "lange genug" dabei, aber ich finde allerdings, dass Analogklang noch überraschen kann. Vielleicht wird der "klassische" bzw, genauer gesagt, der einfache Analogklang kaum noch überraschen (obwohl: ich finde bereits die musikalische Wirkung einer Juno106-Pulsfläche immer wieder überraschend...), aber:
1. Gut modulierte Analogklänge können jederzeit überraschen.
Ich mein, man höre sich z.B. die Klangbeispiele vom Future Retro XS genauer an! Ich fand die überraschend, sehr sogar. Und hier ist in Sachen Modulation eigentlich noch garnicht so viel geschehen. Allein schon in einem geschickt implementierten Glide-Effekt kann eine Menge Überrachung liegen.
Auf meinem derzeitigen Lieblingssynth (okay: ein <i>virtuell</i>-analoger), dem Alesis Fusion habe ich relativ geringfügig an einem Presetklang rumgebastelt, vor allem an der Glidefunktion. Und plötzlich klang der Klang riesengroß, für meine Begriffe unfassbar lebendig und musikalisch. Ich bin noch nach Wochen immer wieder aufs neue begeistert, wenn ich drübernudle bzw. ihn in Tracks einbaue und Musik damit mache.
2. Analoge Modularsynthesizer werden immer wieder überraschen.
Ich denke, hier ist längst noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht. Es könnten z.B. noch komplexere und stärker modulierbare Oscillatoren kommen - auch im Bereich Envelope ist m.E. noch viel Luft drin - auch für echte Überraschungen, z.B. justierbare Flankenverläufe. Ob, und wie steil exponentiell z.B. das "R" vom ADRS abfällt, das macht mitunter richtig viel aus. Auch warte ich noch auf weitere Sättigungs- und Verzerrermodule. Ich denke, da ist noch viel drin.
Letztlich sind die Möglichkeiten endlos.
(Ein Beispiel: Man könnte z.B. bei drei Oszillatoren jeweils mit unterschiedlichen Hüllkurven die Wellenform modulieren, ein wenig Ringmodulation zumischen, welche nur für einen kurzen Moment am Klanganfang zu hören ist und den dann erhaltenen Klang dann in zwei Bandpässe schicken, mit denen man dem Klanggemsich dann vokalähnliche Laute bzw. Klangfärbungen entlockt. Das ganze via Amphüllkurve geformt und wiederum geschickt verzerrt mutiert zu einem nie gehörten Schrei, dessen Verzerrungs- bzw. "Schrei"-Grad über einen Stepsequencer moduliert wird, während ein zweiter Sequencer jeden vierten Schritt die Polarität der Amplitudenhüllkurve umkehrt, und ein dritter Sequencer die Dauer der Hüllkurve für die Ringmodulation.)
3. Gute Analogsynthesizer können sehr überraschend sein.
Man schaue sich z.B. einzelne Analogsynthesizer mal gründlicher an, z.B. von Macbeth. Ich finde es geradezu ungeheuerlich, und klanglich überraschend, was man da alles an Klängen rausholen kann. Die Preise für EMS-Synthesizer schießen immer weiter in die Höhe - und teils eben genau deshalb, weil sich damit sehr einmalige, überraschende Klänge fabrizieren lassen. Aber schon mit einem Kraftzwerg lassen sich einige Überraschungen veranstalten.
4. Auch Digitalsynthese kann sehr überraschend sein.
Und die hier verwendeten Techniken lassen sich zu einem guten Teil durchaus übertragen.
Mich überrascht z.B. im Augenblick, Folgendes, während ich an meinem Alesis Fusion arbeite: Im ersten Schritt habe ich einige FM-Sounds von meinem SY99 multigesamplet , teils mit Effekten, teils mit bewusst (bzw. bequem) eiernden Loops. Und einfach durch layern sowie die großartigen Hüllkurvenoptionen vom Fusionsynth kommen unglaubliche Sachen bei raus (für meine Ohren). Heute habe ich an einem relativ langweiligen, aber ganz hübschen FM-Bass rumgebastelt, und den jetzt so verfeinert, dass ich über die programmierbaren Encoder weitere Wellenformen in den Klang reinmischen kann, zwei sehr unterschiedliche metallische Anteile. Es ist für mich irrsinnig faszinierend, welche Klangvielfalt mit diesem einfachen Ansatz plötzlich da sind.
Nunja: Und im Prinzip lässt sich das auf Analogsynthese wunderbar übertragen. Wenn die Klangdynamik nicht aus den Filtern kommt, bzw. nur zum Teil aus den Filtern, dann ist m.E. schon eimal ein Teil des Problems durchbrochen (nämlich: die relative massive und einseitige Nutzung von Analogfiltern), welche m.E. dazu beiträgt, dass man bei Analogklängen schnell meinen könnte: "Ach, kenn ich schon."
Ich glaube, es sind noch unendliche Klangwelten zu durchforschen.