1976
Im verblassenden Ruhm des tief purpurnen Glanzes vergangener Zeiten versucht John Lord neue Wege zu finden, die ihn zu neuen musikalischen Ufern führen. Erste Erfolge, die ihn in seiner Persönlichkeit als ernsthaften Musiker, der die Konfrontation mit den verschiedenen Stil- und Spielarten der Musik sucht, konnte er schon verbuchen.
"Sarabande", ein äußerst intensives musikalisches Muster, welches auf alten Tänzen basiert, den Rock nicht nur nicht verleugnet, sondern eher zum festen lntegrationsmoment hervorhebt, legt ein deutliches Erzeugnis für die Ernsthaftigkeit und hervorragende Qualität dieser Bemühungen ab. Doch, frei nach Goethe: "Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust", zieht es ihn wieder hin zum Rock.
Gegenwärtig arbeitet er mit einigen Kameraden aus Deep Purple-Tagen an einer neuen LP. Am Vorabend dieses Projektes wollten wir etwas über sein Equipment wissen.
FB: John, hat sich deine instrumentale Ausrüstung seit deinem Fortgang von Deep Purple verändert, hast du neue Keyboards dazu genommen, oder wirst du den Sound der anstehenden Rockproduktionen mit dem Deep Purple Instrumentarium fahren? Was hat sich verändert ?
J.L.: Eigentlich hat sich im Bezug auf mein Equipment gar nichts verändert. Nur die Musik wird sich von Deep Purple unterscheiden. Ich habe immer noch meine Hammond C 3, welche für mich speziell modifiziert wurde. Der Percussionteil wurde verstärkt, und außerdem habe ich ein RMI-Piano einbauen lassen. So kann ich auf der obersten Keyboardreihe durch einen Kippschalter die Hammond ausschalten und das RMI-Piano einschalten. Der Kontakt läuft dann über die gleichen Tasten. Ich kann aber nicht nur die Orgel oder das Piano spielen, ich kann auch beide zusammenschalten, so dass sie zusammenklingen.
FB: Hattest du spezielle Gründe für diese Bauweise, ich meine, wolltest du mehr als nur einen neuen Soundeffekt entwickeln?
J.L. Yeah, ich hatte schon ganz bestimmte Vorstellungen. Ich wollte den Klang einer Pfeifenorgel erzielen, und wenn ich die Abstimmung zwischen der Hammond und dem RMI-Piano ganz exakt darauf einstelle, ist der Sound auch nicht von einer Pfeifenorgel zu unterscheiden. Die Kontrolleinrichtungen für das Piano habe ich seitlich, zusammen mit den Steuerelementen für das Harpsichord angebracht.
FB: Ich habe bei einem deiner letzten Konzerte gesehen, dass du die Orgel nicht über Leslie spielst. Warum das?
J.L.: Ich habe einmal verschiedene Versuche mit anderen Möglichkeiten gemacht, aber sie waren nicht zufriedenstellend. Heute spiele ich wieder alles über Leslies, und die werden von zwei DC 300 angetrieben. Auch das Fender Rhodes und die beiden ARP-Odysseys laufen über Leslies.
FB: Mit Moog-Synthis habe ich dich noch nicht auf der Bühne gesehen, und augenscheinlich ziehst du die ARP-Synthis vor. Hast du besondere Gründe, warum du nicht mit Moog-Synthis spielst?
J.L.: Abgesehen davon, dass sich ein Moog schneller und leichter verstimmt als ein ARP, habe ich keine besonderen Gründe. Ich habe nur mit ARP angefangen, und es ist die Faulheit der Musiker, die mich an Bekanntem und Gewohntem festhalten lässt. Mit dem ARP habe ich mich eingespielt, und er bleibt auch wirklich viel länger eingestimmt.
Einmal haben wir ein Konzert in Tokio gegeben, und als wir dann vier Tage später wieder ein Konzert in Amerika gaben, war der ARP trotz Reise und klimatischen Veränderungen noch immer exakt eingestimmt.
FB: Gehen wir doch noch mal zurück zu den Leslies. Es war doch einmal eine ganze Zeit lang dein Markenzeichen, dein ganz spezieller Sound, ohne Leslies zu spielen. Warum spielst du heute wieder mit Leslies?
J.L.: Dass ich damals mit den Leslies aufhörte, hatte einen ganz bestimmten und persönlichen Grund. Ich wurde faul, die Leslies verführten mich zur Faulheit. Ist es doch ein altbekannter Trick der Keyboardspieler, eine Note zu drücken und die Leslies zu bedienen. Dann geht es zwar waaahuuuwaaahhuuuwaah, aber man muss nichts dafür tun. Es fordert vom Spieler keine Fertigkeiten. Und mit der Zeit tendiert man leicht dahin, es nur noch so zu machen. So habe ich einfach mit den Leslies Schluss gemacht, und dadurch wurde ich gezwungen, meine Technik laufend zu verbessern. Dann fand ich aber, dass mein Spiel, mein Sound zu brutal wurde, und daher begann ich wieder, über Leslies zu spielen. Nur habe ich die Leslies so verändern lassen, dass ich die Hörner auf eine wirklich große Geschwindigkeit bringen kann. So kann ich immer noch zwischen dem brutalen und dem wunderschön weichen Sound der Leslies hin- und her wechseln. Durch diese regelbaren, unterschiedlichen Geschwindigkeiten klingt nicht nur das Fender Rhodes viel besser, auch die Synthis bekommen einen schönen Space-Sound.
Und erst das Hohner Clavinet: Es klingt so erstaunlich und so schön, dass man nur den Rat geben sollte, Leute versucht, die Leslies zu modifizieren, denn darin liegen noch ungeahnte Möglichkeiten.
FB: Wie sieht es mit Effekten aus? Hast du auch hier eigene Vorstellungen wirken lassen, ich meine, hast du verschiedene Effektgeräte auch wieder modifiziert eingesetzt?
J.L.: Ich glaube, die Bestimmung der Effektgeräte ist nicht die, dass sie jeder auf die gleiche Art und Weise einsetzt. Ich bin überzeugt, Effektgeräte sind nur Hilfen, und jeder sollte sie so einsetzen, dass er seinen eigenen Soundvorstellungen so nahe als möglich kommt.
Aber zurück zu deiner Frage. Ich habe einen Ringmodulator und einen Phase-Shifter, die beide auf alle Instrumente einwirken können. Einzeln oder alle zusammen. Was ich besonders liebe, ist, einen Akkord zu halten und dann so richtig mit dem Phaser zu fahren. Mann, das ist happiness! Aber in diesen Dingen steckt auch eine große Gefahr. Man gerät leicht auf den Weg, dass man besondere Leistungen nur noch mit "Scherzartikeln" produzieren möchte. Diese Effektgeräte sind zwar alle wunderschön, aber sie sind auch sehr gefährlich, und plötzlich beginnt man, billige Scherzartikel-Musik zu machen wie, besser, wir nennen keine Namen wie Kraftwerk, nein, das möchte ich wirklich nicht machen!
Um dir ein Beispiel zu geben, was ich meine, möchte ich dir folgende Story erzählen: Vor einigen Tagen habe ich in München ein Jazzkonzert gesehen. Die Band hatte einen wahnsinnig guten Saxophonspieler dabei, und er spielte auch einige Soli. Plötzlich, mitten in einem dieser Soli ging er über einen Oktave-Divider und Phaser und begann damit zu arbeiten. Der Effekt war einfach wunderbar, nur, wenn er es immer machen würde, bei jeder Nummer, wäre es lächerlich. Man muss schon wirklich sehr vorsichtig mit diesen Effektgeräten umgehen.
Anders ist es mit Modifikationen, die nicht auf Effektgeräten beruhen. Zur Zeit lasse ich mir gerade eine kleine elektronische Pfeifenorgel in die Hammond einbauen. Es ist eine kleine amerikanische Orgel von einer Firma in San Jose in Kalifornien, die diese erstaunlichen Dinger macht. Sie wird so eingebaut, dass ich sie ebenfalls über die oberen Manuale der C3 spielen kann. Für diese Orgel aber brauche ich einen separaten Amp. Diesen Sound kann ich nicht über die Leslies schicken, sie würden nur den Effekt zerstören. Ich denke, ich werde mir etwas ähnliches wie das Hammond-Tonkabinett machen lassen.
FB: Ein großes Problem ist immer, Lautstärke und Klang der Orgeln so abzustimmen, dass sie während eines Konzertes immer genau in den Sound der Band passen. Kontrollierst du den Sound direkt bei dir, oder wird dein Sound am Hauptmixer gesteuert?
J.L.: Ja und nein. Beim Soundcheck vor den Konzerten wird der gesamte Orgelsound fest eingestellt. Beim Konzert selbst habe ich dann einen speziellen Mixer bei mir auf der Bühne, mit dem ich den Sound von mir aus korrigieren kann. Zusätzlich habe ich alle Instrumente so schalten lassen, dass ich sie mit dem Volume-Pedal der Orgel steuern kann. So wie ich die Dinge jetzt habe, sind sie sehr leicht zu bedienen, aber frag' mich nicht, wie lange es gedauert hat, bis alles exakt so arbeitete, wie ich es haben wollte.
Dadurch hat sich auch vieles verändert. Wenn ich heute ein Konzert gebe, brauche ich für mich nur einen Roadie, nur - ohne den Roadie wäre ich auch so ziemlich aufgeschmissen, denn die Technik ist mittlerweile so umfangreich und kompliziert geworden, dass ich kaum mehr folgen konnte.
FB: In deinen Stücken beziehst du alle Instrumente ein. Wie sieht es denn mit dem Komponieren aus? Schreibst du die Nummern unter den Bedingungen, wie du sie auf der Bühne hast, oder schreibst du nur für ein Instrument?
J.L.: Die meisten Sachen schreibe ich direkt aus dem Kopf aufs Papier. Wenn ich schon mal ein Instrument benutze, dann ist es das Piano. Aber normalerweise ist es so, dass ich die Noten direkt aus den Vorstellungen, die ich im Kopf habe, schreibe. Was ich als sehr nützlich empfinde, und deshalb greife ich auch immer auf dieses Ding zurück, ist ein Casettenrecorder. Wenn mir eine Melodie einfällt, dann kann ich sie zwar sofort in Noten aufschreiben, aber je nachdem wo ich mich befinde, in einem Hotel, im Auto oder wo, kann ich sie nicht ausarbeiten. Deshalb singe ich sie einfach mit Lauten wie "da da di da dum da da" auf den Cassettenrecorder, und so bleibt mir die Atmosphäre besser erhalten, wenn ich mich vielleicht nach Tagen erst wieder mit dem Gedanken beschäftigen kann. Manchmal überfallen mich Harmonien und Melodien mitten in der Nacht, dann renne ich die Treppen runter, singe sie auf den Cassettenrecorder und gehe wieder schlafen. Am nächsten Morgen höre ich mir die Dinge dann wieder an, und manchmal entsprechen die Sachen, die man dann hört, auch wirklich noch der Imagination, die man des Nachts hatte. Manchmal ist es jedoch auch völlig anders, dann wundert man sich über den "crab", den man aufgenommen hat, und man ist versucht, dem Band zu sagen: Hey, come on, das war doch viel besser!
Deshalb ist es gut, wenn man alle Einfälle direkt in Noten aufschreibt. Besonders gut aber wäre es, immer eine Hohner Melodica zur Hand zu haben. Das Ding ist außerdem sehr gut, um die rechte Hand zu trainieren. Ich habe immer eine Melodica in der Garderobe, und damit habe ich Ritchie manchmal wahnsinnig gemacht, wenn ich damit immer wieder einfache Melodien und Riffs übte.
FB: Bei anderer Gelegenheit hast du mir einmal erzählt, dass deine ersten musikalischen Schritte, ja eigentlich die ersten Jahre, in denen du Musik machtest, total von der Klassik bestimmt wurden. Es wäre sicher sehr interessant, einmal zu erfahren, wie du zum Rock gekommen bist?
J.L.: Ich kann mich noch ziemlich genau erinnern. Ich weiß zwar nicht mehr, welches Stück es war, aber ich weiß noch ganz genau: die erste Rock'n'Roll-Platte, die ich hörte und die mich motivierte, es einmal mit Rock zu versuchen, war von Jerry Lee Lewis. Ich glaube es war "Great Ball of Fire".
Kurz nach diesem Ereignis habe ich dann mein Zuhause verlassen und bin nach London gezogen; dort habe ich mit verschiedenen Leuten Jazz gespielt. Für Rock habe ich mich eigentlich nicht interessiert. Irgendwann habe ich Mark Stein von Vanilla Fudge gehört, der mich so beeinflusste, dass ich anfing, mich mit der Klassik zu beschäftigen. Einige Monate später traf ich einen Organisten, der sich mit den gleichen Sachen beschäftigte; er hieß Keith Emerson. Zu dieser Zeit muss mich auch Ritchie Blackmore zum erstenmal gesehen haben, denn er beauftragte Tony, unseren späteren Manager, mich mit ihm zusammenzubringen.
Für mich war Ritchie der faszinierendste Gitarrist, den ich kennengelernt habe!
Interview aus dem Fachblatt 11/1976, Interviewer: Merlin W. Frank