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@Moogulator: Gelesen, verstanden, weitgehende Übereinstimmung. Nachfolgend frische Gedanken dazu ...
Zu „Nicht mehr“:
Danke für deine Erläuterung. Aus meiner Sicht reden wir über zwei Themen:
1. Du sprichst u. a. die Veränderungen an, die du anhand deines eigenen Erfahrungswissens (früher/heute, inkl. Forum) beschreibst und nimmst damit auch eine Wertung vor. Wenn ich auf dieser Ebene mit dir diskutieren wollte, würde ich deine Erfahrungen weitgehend teilen können. Wir dürften etwa derselben Generation angehören.
2. Beide reden wir darüber, dass ohne das Erfahrungswissen eine Bewertung ungleich schwieriger ist.
Meine These zu 2 ist die, dass möglicherweise die jüngere Generation, d. h. die nach uns geborenen, aufgrund des fehlenden Erfahrungswissens nicht in der Lage sind, Kraftwerk – zumindest ohne tiefergehende Einarbeitung in die Verhältnisse der damaligen Zeit – zu verstehen. Der Unterschied zu dem von dir gewählten Beispiel 1720 besteht darin, dass unsere Generation und die nach uns mit 1720 in derselben Ausgangssituation wäre: Wir müssten quasi zusammen bei Null anfangen. Das wäre ein Generationen verbindendes Element.
Da du aber nach Gründen der Polarisierung gefragt hast, hilft uns das nicht weiter. Oder anders gesagt: Die Polarisierung durch Kraftwerk, so meine These, könnte dadurch entstehen, dass (im Gegensatz zu 1720) die eine Generation über Erfahrungswissen verfügt, die andere Generation hingegen nicht. Dies wäre dann ein trennendes Element (von mehreren wie beschrieben), welches möglicherweise Probleme bereitet.
Zu „Erwartungen“:
Menschen ohne Erwartungen gegenüber zu treten, ist eine Möglichkeit, sich selbst das Leben angenehmer zu gestalten. Ich mache mir nichts vor: Ein Forum ist wie ÖPNV. Ich steige ein, fahre ein Stück mit, nehme die Leute wahr und bin froh, wenn ich unversehrt wieder draußen bin. Im besten Fall habe ich etwas (über Menschen) gelernt.
In Bezug auf die von dir gestellte Ausgangsfrage bin ich, auch im Hinblick auf eine erneute Diskussion, z. B. in zwei Jahren, skeptisch. Der Grund dafür liegt in der Fragestellung. Die findet, dass siehst du an den Beiträgen von 12 Seiten, auf einer anderen Ebene statt. Möchte sagen: Der überwiegende Teil der Menschen kann zwar deskriptiv zum Ausdruck bringen, was an Kraftwerk gefällt oder missfällt. Für den Schritt darüber hinaus, fehlt mindestens das Können, z. T. aber auch der Wille, möglicherweise auch die Anlage.
Beispiel: Jemand berichtete davon, dass in seiner „Erfahrungswelt“ Kraftwerk als „Nazis“, usw. bezeichnet werden. Die übliche Reaktion darauf ist, dass man dieser Aussage entweder zustimmt oder widerspricht. Weitaus seltener hingegen ist, dass man sich mit den Wesenszügen von Nazis und denen von Kraftwerk beschäftigt und nach Übereinstimmungen und Unterschieden sucht, um seine eigene Meinung zu bilden. Darüber hinaus könnte man bei der Gelegenheit selbstkritisch klären, inwiefern das Umfeld adäquat ist, mit dem man solche „Erfahrungswelten“ teilt. Auf Kunst im Allgemeinen bezogen hieße das: Man findet ein Werk anziehend oder abstoßend und lässt es nicht darauf beruhen, sondern fragt danach, weshalb das so ist.
So ist das auch mit deiner Ausgangsfrage. Interessanterweise ist es im Grunde eine – im positiven Sinne – kindliche In-(Fragestellung), die Ausdruck deiner Wissensbegierde ist. Die Überforderung findet – mal abgesehen von den o. g. Gründen – auch dadurch statt, dass deine Frage in der Konsequenz eine Infragestellung der eigenen Position bedeuten könnte.
Möglicherweise, dies als letzte These, ist ein Forum, in dem eine gewisse Anonymität gewünscht und praktiziert wird, für tiefergehende Fragestellungen auch schlicht und ergreifend nicht geeignet. Der Austausch findet in einem beachtlichen Tempo statt, was kaum Raum für ausgiebiges Nachdenken lässt, zumal die Diskussion dann, wenn man soweit ist, möglicherweise bereits einen ganz anderen Verlauf genommen hat. Für den tiefgründigen Austausch bedarf es – neben den entsprechenden Gesprächspartnern – auch der Zeit. Für den Fall, dass du diese These teilst, müssten wir uns beide dann an der Nase packen und eingestehen, dass wir das falsche Werkzeug für die Diskussion genutzt haben.