Bei Wolfgang Müller mußte ich erst an
Die Tödliche Doris denken, aber dem ist wohl nicht so.
In der Sache hat er recht, aber der Brief ist so unmöglich schlecht geschrieben, dass ich ihn nicht irgendwo posten mag.
Da habe ich schon wesentlich Schlechteres gelesen. Der Brief ist persönlich, weil ein persönliches Anliegen darin zur Sprache kommt. Daß man mit dem einen oder anderen Punkt nicht d'accord ist, liegt in der Natur der Sache. Unschachlich oder
mimimi ist was Anderes. Wer es allerdings darauf hinunterbricht, macht sich das Leben leicht, erspart sich lästiges Nachdenken und kommt viel eher zu einem Urteil -- ist also nicht viel besser als der in dem offenen Brief angeschriebene Boss von irgendeinem Plattenunternehmen: Die Welt ist ganz einfach. In meiner Realität.
Allerdings glaube ich nicht, daß der Adressat des Briefes auch nur ein Jota von seiner Haltung abweichen wird, denn -- wie schon geschrieben -- solche Leute sitzen auf einem so hohen Ross, daß sie schon längst vergessen haben, wie sich der Dreck ganz weit unten unter dem Arsch des Gauls anfühlt.
Allerdings fällt man leichter von einem hohen Ross, als man dort hinaufgekommen ist. Das hat der Angesprochene wohl vergessen, aber da ich das Interview nicht kenne, kann ich mir dazu kein Urteil erlauben. Fakt ist, daß viele, die sich sicher im Sattel wähnten, mittlerweile zusehen mußten, wie ein Konzern wie die EMI den Arsch zukneifen mußte und abgewickelt wurde.
So schnell kann es gehen, wenn man zu überheblich und zu selbstsicher an eine Sache herangeht.
Am Ende entscheidet eh das Finanzamt, wer ein Profi ist und wer nicht. Da können die Mimimis und die Mimimiausbeuter so viel rumlabern, wie sie wollen.
Da entscheidet nicht nur das Finanzamt, sondern auch die Gemeinde, in der man wohnt: Kriegen die nämlich spitz, daß man mit einem kleinen Gewerbe ein paar Euros Taschengeld verdient, könnte es sein, daß jemand, der sich noch ein paar Sporen verdienen will, mal ganz pauschal schätzt, was da so an Geld fließen könnte, und schon stehen Nachforderungen für nicht gezahlte Gewerbesteuern an, und ein Strafverfahren wegen Hinterziehung von Geldern steht einem auch noch ins Haus.
Deswegen habe ich seit 15 Jahren einen Gewerbeschein und einen Buchhalter, der den ganzen Finanzkram für mich erledigt. Was mich dann wohl zu einem Profi macht, der Einkommen generiert, welches es zu versteuern gilt.
Trotzdem brauche ich mir den Dummblah irgendeines Industriebonzen nicht anzuziehen, denn was der da absondert, hat mit meiner Lebensrealität nur sehr beschränkt etwas zu tun. Den interessiert es im Umkehrschluß auch nicht, was irgendein kleiner Krauter wie ich in seinem Schlafzimmerstudio macht -- wollen wir ihn also nicht mit Tatsachen verwirren. Das ist Zeitverschwendung, und Zeit ist kostbar.
Solche Leute katapultiert es i. d. R. sehr schnell aus ihrem vollepupsten Sessel, da sie gar nicht ahnen, daß auch sie nur verzichtbare
Human Resources in einem immer gnadenloseren System sind. Stimmen die Bilanzen nicht -- und nur darum dürfte es dem Herren gehen --, rollt ganz schnell der Kopf von den Schultern.
Warten wir also ab, bis auch er eines Tages über seine Arroganz stolpern und mit der Fresse in den Dreck fallen wird, über den er sich jetzt noch so erhaben fühlt.
Warum siehst Du das als Grundfehler? Es mag "Hobby-Musiker" geben, die tatsächlich keine Geld wollen.
Die gibt es tatsächlich.
Die treten dann auch für lau bei irgendwelchen Veranstaltungen auf -- Hauptsache, es hört ihnen endlich mal jemand zu und schenkt ihnen 15 Minuten Aufmerksamkeit.
Aber das als Bezeichnung für alle zu nehmen, die nicht Prostitution für den "Zuhälter" Plattenfirma betreiben wollen, finde ich halt auch nicht gerade geschickt. Jedenfalls sollte die Grundprämisse von Überlegungen nicht "Hobby-Musiker" oder "Taylor-Swift-Profi" sein. Die Welt ist nicht schwarz/weiß sondern besteht in erster linie aus den vielen Grautönen dazwischen.
Das sagst Du, aber ein erfolgreicher Manager kann sich kaum mit so Nebensächlichkeiten wie der Ausdifferenzierung des eigenen Weltbildes aufhalten. Damit würde er sich ja u. U. selbst einen Kündigungsgrund liefern oder seine eigene Existenzberechtigung infragestellen.
Ich interpretiere Deine Aussage so, daß sie sich auf den Plattenonkel und nicht den Herrn Müller bezieht, ist das richtig?
Insofern stimme ich dem Mann zu, dass man zunächst mal einfach nur von "Musikern" reden sollte.
Ich glaube, in einem betriebswirtschaftlich durchorganisierten System besteht kein Platz für Musiker, die erstmal nur kreativ sein und sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln ausdrücken wollen.
Damit läßt sich keine Kohle verdienen, schon gar nicht auf Anhieb und in großen Mengen. So funktioniert die Industrie einfach nicht. Kann man scheiße finden, ändert aber nichts an der Industrie. Ändern kann man nur sich selbst und die eigene Haltung.
Bevor ich hier noch mehr Zeit opfere, komme ich (voreilig, wer weiß?) zu dem Schluß, daß hier wieder einmal die Diskussion losgetreten wurde, wer denn überhaupt Profi ist und wer Musiker, und was einen eigentlich zu dem macht, für das man sich hält und wieviel Geld man verdienen muß, um als Profi zu gelten usw. usw.
Das läuft dann wieder auf gegenseitige Zerfleischung hinaus, die Lager sind gespalten, und statt Einigkeit zu zeigen und solchen Idioten wie dem zitierten Bonzen die Stirn zu bieten (oder ihn einfach zu ignorieren), vergeudet man Zeit, Energie und Aufmerksamkeit für Scharmützelsiege in Nebenkriegsschauplätzen.
Setzt Euch hin, macht was, seid kreativ, erfreut Euch an dem, was Ihr macht, und legt Euch ein dickes Fell zu: Es darf die Eiche nicht stören, daß sich wieder mal irgendein Borstenviech an ihr scheuert.
Erfolg ist, es überhaupt machen zu können.
Alles sonst ist ein riesiger Bonus -- für den man einen Preis bezahlen muß.
Ob dieser Preis den Bonus wert ist, kann, will und werde ich nicht beurteilen.
Stephen