Der von mir vorgeschlagene Text von Herbert Brün auf meiner Homepage ist die Mühe des Lesens wert.
Hier der letzte Teil des Textes:
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Häufig sagen solche professionellen Hörer, die einen guten Komponisten nicht von einem schlechten unterscheiden können, beiden nach, daß sie versucht hätten, um jeden Preis neu zu sein. Offenbar haben beide Werke nicht dem Anpassungsvermögen der Nachsager entsprochen. Tatsächlich versucht ein guter Komponist, eine Musik zu schreiben, die um jeden Preis da ist, und sei der Preis auch der Verzicht auf alles, was, auch von ihm geliebt, schon da war. Was neu gefunden wird, ist oft der Preis, um den es überhaupt gefunden werden kann.
Vor bald 200 Jahren schrieb Mozart an seinen Vater einen Geburtstagsbrief:
„Allerliebster Papa!
Ich kann nicht poetisch schreiben; ich bin kein Dichter. Ich kann die Redensarten nicht so künstlich einteilen, daß sie Schatten und Licht geben; ich bin kein Maler. Ich kann sogar durch Deuten und durch Pantomime meine Gesinnungen und Gedanken nicht ausdrücken; ich bin kein Tänzer. Ich kann es aber durch Töne; ich bin ein Musikus... Nun muß ich mit einer musikalischen Gratulation schließen. Ich wünsch Ihnen, daß Sie so viele Jahre leben möchten, als man Jahre braucht, um gar nichts Neues mehr in der Musik machen zu können.“
So heiter und launig der Brief wohl ist, so schwer dürfte es auch dem gierigsten Ohre sein, darin Schwingen des Genies rauschen zu hören. Der Brief wurde hier zitiert, um zu zeigen, mit welcher Selbstverständlichkeit für Mozart ein Musikus der Mann ist, der Neues in der Musik machen will und kann. Und mit welcher Selbstverständlichkeit Mozart Neues in der Musik erwartet, indem er sie zum Maße der Lebensdauer nimmt, die er seinem Vater wünscht. Derselbe Mozart, auf den sich viele Musikfreunde berufen, die heute in der Musik nichts Neues mehr für möglich und erträglich halten.
Ein brauchbarer Befund, dessen Richtigkeit sorgfältig und geduldig zu prüfen wäre, könnte etwa so lauten: Die wesentlichen Probleme der Verständigung zwischen Hörer und Komponisten sind beabsichtigte und planend durchdachte Störungen einer Kommunikationskette, die bliebe sie ungestört, leerlaufen oder zerreisen würde. Die wesentlichen Probleme der Verständigung verbauen nirgends, auch in der Musik nicht, den Zugang zu beabsichtigten Mitteilungen, sonders sie sind der Zugang selbst. Jede Kultur mißt sich an der Menge und Bedeutung der Probleme der Verständigung, die sie als solche erkennen und lösen konnte. Jede Musik, die ein solches Problem stellt, ermöglicht einen weiteren Akt der Erkenntnis und der Lösung, ermöglicht eine neue und das gegenwärtige Leben betreffenden Verständigung, und somit eine Vermehrung dessen, woran der Gesellschaft es noch allenthalben zu fehlen scheint. Die unwesentlichen Probleme der Verständigung, die mehr privaten und emotionellen, sind lediglich Symptome des Fehlens.
http://www.elektropolis.de/ssb_story_bruen.htm
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Herbert Brün (* 9. Juli 1918 in Berlin; † 6. November 2000 in Urbana, Illinois) war ein deutsch-amerikanischer Musiktheoretiker sowie Komponist und lieferte einen wesentlichen Beitrag zur Theorie der Synthese von Musik.
Nachdem er in einem ersten Lebensabschnitt in Deutschland gelebt hatte, wegen des Nationalsozialismus nach Palästina emigriert war und dort am Jerusalemer Conservatorium Musik studiert hatte, wanderte er schließlich 1963 in die Vereinigten Staaten aus und war dort an der Universität von Illinois tätig. Mit den sich in den vierziger und fünfziger Jahren stark etablierenden Ansätzen der Systemtheorie und der damit einhergehenden Entwicklung erster leistungsfähiger Computer beschäftigte er sich sehr intensiv.
Er versuchte die Musik zu kategorisieren und deren Elemente, einzelne Bestandteile unter der Voraussetzung einer harmonischen Idee zu charakterisieren und zu zerlegen. Einer seiner sehr häufig betrachteten Komponisten war dabei Gustav Mahler. Die systemtheoretischen Grundgedanken versuchte er in der Musik umzusetzen und trug zum theoretischen Ansatz der Verknüpfung von Musik und Information bei. Sein Versuch war es, das Wesen der Musik und deren Wirkung auf die Befindlichkeit von Menschen nicht nur auf Grundlage der medizinischen Psychologie zu untersuchen. Aufgrund dieser Bestandteile war er einer der Pioniere in der Synthese von elektronischer Musik und lieferte einen wesentlichen Beitrag zur Theorie der Musik und deren Synthese.
Die Möglichkeit und Idee dazu schöpfte er aus den in dieser Zeit aufkommenden leistungsfähigeren Computern und deren Bedeutung für die Information und damit auch der Musik. Er schrieb und arbeitete an dem Verhältnis der Musik zu Computern und gilt daher als ein Wegbereiter der Computerkunst, welche als Bestandteil der bildenden Kunst zu verstehen ist. Die Idee mathematischer Synthese von geometrischen Objekten mittels Entwicklungssätzen am Ausgabebildschirm des Computers hat ihn viele derartige Bilder schaffen lassen. In der Zeit um 1960 stellte er sich für mehrere Reihen von Radiofeatures in der Bundesrepublik Deutschland zur Verfügung, welche einzigartige wissenschaftliche Dokumente zu seinem Schaffen darstellen.
In der Berliner Zeit vor der Emigration war durch die Eltern eine Familienfreundschaft der Brüns mit den Levins begründet worden, deren Sohn Walter als späterer Primarius des LaSalle Streichquartetts ebenfalls berühmt werden sollte, und der mit Herbert Brün lebenslang befreundet blieb.
2001 wurde er postum mit dem SEAMUS Lifetime Achievement Award ausgezeichnet.
Quelle: Wikipedia