Kraftwerk überbewertet

Markus Berzborn schrieb:
Ich nehme mal als Beispiel "Pictures at an Exhibition".
Wenn man das Originalwerk gut kennt - und ich kenne es, ich spiele es auf dem Klavier - fallen einem so einige Ungenauigkeiten, Auslassungen etc. auf. Was ja im Prinzip kein Problem wäre, aber man soll das Ganze halt dann nicht mehr als Komposition von Mussorgsky sehen bzw. bewerben. Tomita interpretiert nicht, er bearbeitet. Wie gesagt, kein Problem, aber das muss man wissen.
Aha, danke für die Aufklärung!
 
Tomita + Wendy Carlos zu vergleichen ist wie Apfel + Birnen und so.

Tomita war sehr frei in seiner Interpretation,
Wendy Carlos war recht penibel + notengenau.
Kurz ausgedrückt.
 
Zotterl schrieb:
Tomita + Wendy Carlos zu vergleichen ist wie Apfel + Birnen und so.

Tomita war sehr frei in seiner Interpretation,
Wendy Carlos war recht penibel + notengenau.
Kurz ausgedrückt.

Für mich war Tomita gleich Carlos, nur eben in einem deutlich opulenteren Klanggewand. Beide fand ich wiederum ungleich interessanter als die Originale, die ich entsprechend kaum hörte, was wiederum meine Ignoranz gegenüber den unterschiedlichen Interpretationsgraden zum Teil erklären mag. Aber ich gelobe Besserung!

[EDIT: Ein "ich" ergänzt.]
 
serge schrieb:
[Für mich war Tomita gleich Carlos,
Heute Abend probier ich mal Apfelbirnenkompott ;-)

Beide fand ich wiederum ungleich interessanter als die Originale,
Ging mir damals ähnlich. Durch Carlos (Bach), Emerson,Lake&Palmer + Tomita (Pictures...)
wurde ich erst auf die Originale aufmerksam und zog mir auch ebenselbe rein.
 
Was viele nicht wissen - auch Tomita komponiert selber und bearbeitet nicht nur klassische Stücke. Er hat z.B. viel fürs Fernsehen in Japan gemacht. Einiges davon ist auch veröffentlicht worden, es sind aber meistens nur japanische LPs und CDs, die gar nicht großartig exportiert wurden.
Er hat auch nicht elektronisch erzeugte Musik geschrieben, für Orchester zum Beispiel.
 
serge schrieb:
nur eben in einem deutlich opulenteren Klanggewand.

Ja, er arbeitete im Gegensatz zu Carlos ja sehr viel mit Hall, Echo, Phasern usw.
Und halt auch nicht nur mit Synthesizern, sondern auch oft mit Mellotron und anderen "Zusatzinstrumenten".
Dadurch ergab sich ein sehr dichter und voller Sound, unter dem andererseits natürlich die Durchhörbarkeit leidet.

Es gibt ein Doppelalbum "Sound Creature", war seinerzeit nur als Japan-Import erhältlich, und auch die sehr umfangreichen Liner Notes sind komplett japanisch.
Das ist ganz interessant, Tomita demonstriert dort, wie der Anfang von "Daphnis & Chloe" entstanden ist mit dieser charakteristischen aufsteigenden Phrase, vom rohen Moog-Oszillatorklang über Filterung, Envelopes und Effekte bis hin zum Endergebnis.
 
Die Anwesenden älteren Baujahres erinnern sich vielleich noch an die Zeichentrickserie "Kimba, der weisse Löwe", die 1977 im ZDF ausgestrahlt wurde und vor einigen Jahren (in teilweise erbärmlicher Bildqualität) auf DVD erhältlich war. Die nicht-elektronische Musik zur Serie – meines Wissens aber nicht das Titellied! – schrieb Isao Tomita.
 
So ist es.
Und ich habe die japanische LP davon, extrem liebevoll gemacht - mit vielen Bildern aus dem Film und sogar Notenbeispielen von Tomita.
 
Markus Berzborn schrieb:
Es gibt ein Doppelalbum "Sound Creature", war seinerzeit nur als Japan-Import erhältlich, und auch die sehr umfangreichen Liner Notes sind komplett japanisch.
Das habe ich hier, wer kann es übersetzen?
 
Markus Berzborn schrieb:
So ist es.
Und ich habe die japanische LP davon, extrem liebevoll gemacht - mit vielen Bildern aus dem Film und sogar Notenbeispielen von Tomita.
Klasse, die würde ich zu gerne mal sehen & hören!
 
serge schrieb:
Die Anwesenden älteren Baujahres ...
:opa: Wie damals, in den Ardennen...

Wichart_von_-Roell-Opa.jpg
 
Es gibt irgendwo eine Tomita-Seite im Netz, die suchten vor vielen Jahren (bestimmt 10 Jahre her oder noch länger) mal eine Sound Creature zwecks Übersetzung, weil sie da einen Japaner an der Hand hatten, daraufhin habe ich mein Exemplar eingescannt und ihnen zugeschickt.
Die haben es auch übersetzt, wenn ich mich richtig entsinne, es stand aber nichts drin, was die Leute hier im Forum nicht ohnehin schon wissen. Der ganze Text ist mehr oder weniger nur eine Abhandlung im Stil "Wie funktioniert ein Synthesizer", also was ist ein VCO, ein VCF usw.

Die Kimba-LP kann ich gerne mal fotografieren und hier einstellen.
 
serge schrieb:
Die Anwesenden älteren Baujahres erinnern sich vielleich noch an die Zeichentrickserie "Kimba, der weisse Löwe", die 1977 im ZDF ausgestrahlt wurde und vor einigen Jahren (in teilweise erbärmlicher Bildqualität) auf DVD erhältlich war. Die nicht-elektronische Musik zur Serie – meines Wissens aber nicht das Titellied! – schrieb Isao Tomita.

Ja, habe ich geliebt die Serie - allerdings immer nur in SW - Farbfernseher hatten wir erst seit 1980.
Leider nie wieder gesehen. Auf schlechte DVD-Qualität habe ich allerdings keine Lust ...
 
Markus Berzborn schrieb:
Und wo wir gerade von Bewertungen reden: Wendy Carlos ist für meine Begriffe von diesen ganzen Synthesizer-Urgesteinen eindeutig am meisten UNTERbewertet. Sie arbeitet auf einem kompositorisch-musikalischen Niveau, von denen die meisten "Elektroniker" nur träumen können, da hört man ganz eindeutig die klassische Ausbildung.

Das stimmt, aber dafür fehlt Carlos auch der abstruse Sinn für Humor, wie ihn z. B. Tomita auszeichnet.

Carlos ist der Inbegriff eines Rhode Island Yankee, der sich jetzt zur kunstsinnigen Kommune der Upper East Side rechnet, am Wochenende ins MoMA geht und stundenlang vor einer blauen Wand von Yves Klein über den bildimmanenten Ausdruck und die ikonographische Prägnanz aus Kleins Blauer Periode parliert.

Nichtsdestotrotz verehre ich Carlos, und "A Clockwork Orange" wird für mich immer ein besonderes Album bleiben -- neben "Autobahn", um wieder auf das Thema zurückzukommen.

Stephen
 
ppg360 schrieb:
Das stimmt, aber dafür fehlt Carlos auch der abstruse Sinn für Humor, wie ihn z. B. Tomita auszeichnet.

Nicht ganz, kennst Du die LP "By Request" von 1975? Hör Dir da mal "Pompous Circumstances" an oder die Hochzeitsmarsch- und Pussycat-Persiflagen. Stimmt, bei Tomita musste ich oft lachen. Wobei ich mir da aber bis heute in manchen Fällen nicht sicher bin, ob das eine unfreiwillige oder gewollte Komik ist.

Carlos ist der Inbegriff eines Rhode Island Yankee, der sich jetzt zur kunstsinnigen Kommune der Upper East Side rechnet, am Wochenende ins MoMA geht

So ungefähr.
 
ppg360 schrieb:
Das stimmt, aber dafür fehlt Carlos auch der abstruse Sinn für Humor, wie ihn z. B. Tomita auszeichnet.
Amerikaner sind nicht gerade für tiefsinnigen Humor bekannt, im Gegensatz zum z. B. britischen Humor...

Carlos ist der Inbegriff ...
Personenkult um die Musik - egal bei wem - konnte ich noch nie nachvollziehen. Erinnert mich an BRAVO.
Messen wir W.C. - und andere Künstler - doch lieber an ihrer Musik.
 
Da gibt es übrigens eine interessante Geschichte mit der "By Request" - auf der britischen Version der LP fehlt der Track "Pompous Circumstances", angeblich weil die britische Plattenfirma befürchtete, das englische Publikum könnte sich da verarscht vorkommen. Carlos verwendet/verwurstet da nämlich am Anfang des Stücks die "inoffizielle britische Nationalhymne" Land of Hope and Glory.
Wobei mir das aber seltsam vorkommt, denn wer hätte sich das schon angehört, Carlos war ja kein Charts-Act oder im Fernsehen präsent.
Und wer es gehört hätte, hätte es m.E. eher lustig gefunden.
 
Markus Berzborn schrieb:
ppg360 schrieb:
Das stimmt, aber dafür fehlt Carlos auch der abstruse Sinn für Humor, wie ihn z. B. Tomita auszeichnet.

Nicht ganz, kennst Du die LP "By Request" von 1975? Hör Dir da mal "Pompous Circumstances" an oder die Hochzeitsmarsch- und Pussycat-Persiflagen. Stimmt, bei Tomita musste ich oft lachen. Wobei ich mir da aber bis heute in manchen Fällen nicht sicher bin, ob das eine unfreiwillige oder gewollte Komik ist.

Klar, von der "By Request" gibt es sogar zwei verschiedene Pressungen mit unterschiedlichen Kopplungen (und zusätzlich noch "The greatest show on records" EP). Das Stück "Pompous Circumstances" ist natürlich sehr humorig, aber auch gleichzeitig sehr old-fashioned. Carlos ist in ihren Interviews auch immer sehr geistreich, aber auf eine leicht altertümliche Weise.

Tomitas Komik ist sicher mehr als nur einmal unfreiwillig... aber die Art und Weise, wie er klassische Vorlagen umarrangiert, ist unendlich viel fantasievoller. Carlos ist da mehr der traditionelle Klassikinterpret, wie er im Buche steht; Tomita macht z. T. völlig unorthodoxe Dinge -- die manche kompositorische Ideen erst hörbar machen. So hatte Ravel z. B. nicht die finanziellen Mittel, "Daphnis et Chloe" mit einem Chor aufzuführen, was Tomita mal eben in die Tat umgesetzt hat.

Wobei Tomita für mich auch nur in den 1970ern wirklich spannend ist; danach wurde er ein wenig zu kitschig.

Stephen
 
ppg360 schrieb:
Carlos ist in ihren Interviews auch immer sehr geistreich, aber auf eine leicht altertümliche Weise.

Ja, das ist so. Allerdings ist Wendy Carlos auch schon 72 Jahre alt, das vergisst man leicht. OK, Roedelius ist auch schon 76 und kommt irgendwie jünger rüber, aber die haben ja wirklich einen völlig anderen Background, wie Du schon richtig gesagt hast.

So hatte Ravel z. B. nicht die finanziellen Mittel, "Daphnis et Chloe" mit einem Chor aufzuführen, was Tomita mal eben in die Tat umgesetzt hat.

Stimmt nicht ganz, der Chor war schon bei der Uraufführung 1912 dabei und steht in der Partitur. Das ist die lange, ursprüngliche Version, die Ballettversion. Daraus hat Ravel später zwei kürzere Orchestersuiten zusammengestellt (die Vorlage für Tomita), die man mit oder ohne Chor aufführen kann.
Aber in der originalen Partitur ist der Chor zwingend vorgeschrieben.
 
Hier also noch ein paar Bilder der besagten Kimba-LP. Wie man sieht, wirklich sehr aufwendig gestaltet.

671510_yceqg7kwpc.jpg


671511_275z5zu7sv.jpg


671512_kfdn74crba.jpg
 
Ja, bunt mögen sie gern, die Japaner ...

Hab da auch noch 'n Schätzchen aus den 80ern:

6499841463_cf9a0428b5.jpg

6499843167_af3ef766e7.jpg

6499839867_53d9841cb0.jpg
 
musik generell wird total überbewertet .... :mrgreen:

... kommt wie man sieht auch darauf an was man draus macht/was es einem sagt _ ich hab schon zu den robots getanzt das war schon nicht mehr wirklich - kraftwerk als symbol ist da noch was anderes _ würde ich mir zu hause nie anhören _ mucke wie unten auch nicht :mrgreen:






edit: 2 reichen auch ...

_ so und wieder auf tauchgang ... :floet:
 
Markus Berzborn schrieb:
Hier also noch ein paar Bilder der besagten Kimba-LP. Wie man sieht, wirklich sehr aufwendig gestaltet.
Danke, das sieht ja wirklich sehr vielversprechend aus!

Meine Leidenschaft für den Komponisten Isao Tomita geht allerdings nicht so weit, als dass mich auf die Suche nach diesem von ihm geschriebenen Soundtrack machen werde:
capt01bi.jpg

4526180011033.jpg

Wobei…je länger ich die Bilder betrachte…ich könnte schwach werden. Details finden sich hier:
http://laesferamusical.wordpress.com/2009/12/07/isao-tomita-captain-ultra-1967/
 
Hier ein Überblick über Isao Tomitas Arbeit für "Captain Ultra":


Ich bleibe dann wohl doch besser beim "Bermuda Triangle".
 
"Kraftwerk" werden nicht überbewertet. Man hört bei Künstlern von A bis Z aus verschiedenen Genres nicht nur ihren Einfluss musikalisch heraus. Durch ihr Image haben sie inspiriert, durch ihre Bühnenpräsentation, beim Sampling, durch Instrumentenbau, Arbeitsweise und Design ebenso. Das Konzept "Mensch-Maschine" ist unsere heutige Welt und Gesellschaft, wenn man beleuchtet, worum es dabei geht. Schon "Ruckzuck" von 1970 von ihnen klingt wie "Techno" mit weitesgehend akustischem Instrumentarium. "Kristallo" von 1973 gilt als Form von "Intelligent Techno". Die Blaupause "Autobahn" - Electropop mit Gesang - war auch sicherlich Grundlage für Disco im Stile von Moroder - Techno durch Derrick May, Juan Atkins und Kevin Saunderson und Hip Hop haben auch den nötigen Anschub durch sie bekommen. Das haben auch Bambaata, Baker, Grandmaster Flash u.a. oft zu Protokoll gegeben. Inspiration für "Mainstream Pop" bei Madonna und Minogue, Robbie Williams, Depeche Mode, Daft Punk u.a. ist hörbar. Pharell Williams hält z.B. "Nummern"/"Numbers" von "Kraftwerk" für einen der besten Songs aller Zeiten und sagt, dass die ganze "schwarze Community" damals verrückt danach war ...
 


News

Zurück
Oben