ikonoklast schrieb:
Für mich als Zuschauer soll es interessant sein, mit welchen Bewegungen jemand sein Instrument spielt? Das können aber auch nur Musiker behaupten die extrem von sich überzeugt sind ...
Wer nicht extrem von sich überzeugt ist, hat auf einer Bühne sowieso nichts zu suchen.
Wer seinem Publikum Eintrittsgeld abknöpft, ohne extrem von sich und seiner Sache überzeugt zu sein, ist entweder ein abgrundtiefer Zyniker oder ein Gauner der sein Publikum verarscht. Ich kenne weltbekannte Künstler persönlich, die so drauf sind (and who therefore shall remain nameless
), weil sie ihre ursprünglichen künstlerischen Absichten zugunsten des kommerziellen Erfolges aufgegeben haben.
Man sollte auch nicht den Fehler machen, die eigenen Vorlieben und Interessen zu generalisieren. Auch Künstler, die z.B. ohne jeglichen Show-Schnickschnack rein nur auf ihre musikalischen Fähigkeiten (Virtuosität, Authentizität etc.) setzen, finden ihr jeweiliges, wenn auch entsprechend spezialisiertes und somit kleineres, Publikum. Allan Holdsworth kennt hier vermutlich niemand, aber wenn der irgendwo ein Konzert spielt, steht jedenfalls stets die gesamte lokale Gitarristenarmee (und zwar stilübergreifend) Schlange und findet sein Gitarrenspiel in sich hör- und sehenswert genug -ganz ohne Lightshow, Pyrotechnics oder tanzende Teddybären.
Andere stehen handkehrum lieber Schlange, um sich -sanft stimuliert von Lichtblitzen, Bassdonnern und seltsamen Substanzen- in einem EDM-Palast in Las Vegas von Herrn Aoki eine Erdbeertorte ins Gesicht drücken zu lassen. Horses for courses.
ikonoklast schrieb:
Und aus 10 m Entfernung siehst du eh nicht mehr was der da genau macht.
Selten ein Problem, denn die Künstler die auf diese Karte setzen, spielen meistens eh nur kleinere Venues. Haben aber damit meistens keine Probleme, da sie sich alldiese Überlegungen hier sehr wohl gemacht haben, und genau wissen wo ihr Platz ist.
Du begehst IMHO den alten Fehler die "Darbietung" a.k.a. "Show" aufzuspalten in ein musikalisches und ein wie auch immer genanntes "performerisches" Ereignis. Das sind zwei Sachen, die aber zusammengehören. Vielleicht ist "Performance" von vornherein der bessere Ausdruck, weil er alles umschließt.
Ich spalte garnichts auf, ich hab' ja geschrieben dass dies lediglich die Extremata sind und dazwischen ein breites Kontinuum, innerhalb dessen jeder Künstler sich heutzutage -in Rücksicht auf seine Ambitionen, persönliche Charaktereigenschaften und künstlerische Absichten- positionieren kann und muss.
Choose wisely.
ikonoklast schrieb:
Selbst die virtuosesten Künstler inszenieren ihre Performance, setzen sich "in Szene".
Ich bezweifle, das die hiermit unweigerlich verbundene Selbstobjektifizierung letztendlich vereinbar ist mit Authentizität. Letzteres muss aber auch nicht zwingend eine Priorität sein! (Bitte vorangegangenen Satz 3x lesen, bevor man auf die Barrikaden geht.
) Auch hier sehe ich ein Kontinuum, wo man sich als Künstler je nach Neigung positionieren kann/muss. An einem Ende dieses Kontinuums gibt es Protagonisten, die sich einen regelrechten Sport daraus machen, derart mit ihrem inszenierten Image zu spielen, bis dass dies zum Selbstzweck wird (z.B. Lady Gaga, die's als Performerin eigentlich sogar ziemlich drauf hat, nur spielt das leider keine wirkliche Rolle, woran sie eben genau wegen ihrem inszenierten Dauerzirkus selber schuld ist
). Am anderen Ende gibt es dann die, die einfach in Alltagsklamotten auf die Bühne gehen und singen, dass es das Publikum umhaut (z.B. Joni Mitchell, obwohl sie's ja nicht mehr tut weil sie u.A. eben die Schnauze voll hat von unserer medial gesteuerten Gesellschaft und dem daraus resultierenden Selbstinszenierungsimperativ). Und dazwischen gibt es auch hier ein riesiges Mittelfeld. Auch als Zuhörer/Konsument ist es persönliche Geschmackssache was einem gefällt.
Und was die "Nachvollziehbarkeit des direkten Musizierens" angeht: EM ist halt zu großen Teilen "Maschinenmusik" - mit voller Absicht, das braucht man auch nicht verstecken oder "kompensieren". Das maschinelle Element macht geradezu den Reiz aus. Wie man das in die Performance integriert, das ist das Problem.
Das "verstecken oder kompensieren" und "in die Performance integrieren" sind doch zwei Ausdrücke für ein- und dasselbe
, nur dass das erste pejorativ ist. Vielleicht bin ich falsch rübergekommen, aber ich meine dieses "Kompensieren" (nennen wir's mal so) nicht abwertend.
ikonoklast schrieb:
Es ist auch ein sehr modernes Problem: wenn man sich mal die K4 von Kraftwerk anhört, dann haben sich die Leute damals mit - aus heutiger Sicht - unglaublich wenig zufrieden gegeben - es war halt alles neu, ungehört, un-er-hört.
Heute konkurriert man aber mit einer unglaublichen Vielfalt an Performances: nur auf die eigene Virtuosität zu vertrauen wird in den meisten Fällen schiefgehen.
Absolute Zustimmung. Ich denke nicht dass es ein intrinsisches Problem der Sache an sich ist, sondern definitiv ein Ausdruck unserer medial zugedröhnten und entsprechend abgestumpften Gesellschaft. Für mich persönlich (wiederhole: für mich persönlich) ist es das darbieterische Äquivalent des 'Loudness Wars'. So wie die Musik heutzutage 'kesseln' muss, so muss die Performance 'flashen', sonst daddeln die Leute lieber wieder an ihren Smartphones rum. Obwohl -tun sie mittlerweile sowieso: denn wenn heutzutage eine Live-Show so richtig kesselt und flasht... wird gefilmt!
Naja, immerhin kann der Artist seine Show am nächsten Tag auf YT bewundern. Tja, jetzt müsste er nur noch was dran verdienen.
Sorry for the long lazy sunday post.