Melkor schrieb:
Ich finde auch ein ganz großes Problem an elektronischer Musik ist, dass der normale Zuschauer doch nicht weiß, was der Künstler da gerade auf der Bühne macht.
Bei einem Schlagzeuger sieht man sehr deutlich was er tut. Der Gitarrist setzt sich spätestens mit einem Solo ordentlich in Szene.
Was ein Sänder tut weiß auch jedes Kind.
Aber was macht der Typ da am Laptop?
Der dreht an iregendwelchen Knöpfchen an einem kleinen schwarzen Kasten?
Selbst wenn da jemand nicht hinterm Laptop sitzt, sondern vielleicht an einem ausgefeilten Controller rumspielt weiß kaum einer was nun der Tastendruck bewirkt.
Eben, da braucht's nicht mal 'n Laptop für. Das geht auch mit allen Arten von Hardware.
Elektronische Musikinstrumente haben dahingehend zwei Probleme: Zum einen sehen sie nicht danach aus, wonach sie klingen, und umgekehrt. Da fehlt praktisch jegliche Assoziation, zumindest bei denjenigen, die selbst keine Synthnerds sind. Zum anderen – und das spielt da mit rein – können sie zuviel, sie haben eine zu große klangliche Bandbreite, als daß es für Zuhörer, die eher akustisches oder elektrisches Besteck gewohnt sind, nachvollziehbar wäre. Selbst wenn ich in der Band spiele, ist es nicht immer klar, was bei mir in meiner kleinen Burg (100% Hardware, davon aber eine Menge) eigentlich abgeht – zumal unser Leadsänger auch noch Keyboard spielt.
ikonoklast schrieb:
Ja. Gutes Beispiel. Man kann zu Jarre stehen wie man will, aber die Shows haben schon ihren Unterhaltungswert.
JMJ setzt aber auch viel auf großflächige Projektionen. Das ist schwierig genug.
Jarre ist ein hervorragendes Beispiel dafür, daß er Shows in praktisch jeder erdenklichen Größe leben lassen kann.
Einerseits hatte er natürlich die gigantischen Cities In Concert, die ganze Stadtviertel und riesige Gebäude in die Show mit einbanden. Trotzdem gab's für die Leute, die nahe genug an der Bühne waren, auch da mehr zu gucken als ein paar "Soundtechniker", die an Synthburgen herumhantieren wie auf der Brücke eines auf Handbetrieb geschalteten Raumschiffs. Die Laser Harp eben, die diversen Keytars, die Jarre 1988 bis 1993 getragen hat, andere Spezialkonstruktionen von Lag (wie das "Meuble", in dem 1988 unter anderem ein D-550, ein Fairlight und mehrere Synthi AKS abgesoffen sind) oder so Sachen wie die beiden "Merry Monarch"-Marionetten.
Andererseits gab's die vergleichsweise kleinen Hallentourneen 2008 bis 2011, wo für Lightshow über das übliche Elektronikbesteck hinaus nicht viel Platz und an angestrahlte Gebäude, Skytrackers und Feuerwerk gar nicht zu denken war. Da hat er zum einen auf den massivsten Gearporn ever gesetzt (bis hin zu rechteckig individuell angestrahlten Synths) und zum anderen derart den Anheizer gemacht, wie selbst diejenigen Jarre-Fans es nicht kannten, die zu Hause ein ganzes Sortiment von Konzertbootlegs haben. Dadurch, daß er die größte Burg auf der Bühne hatte, ist er natürlich auch am meisten darin rumgeflitzt, was nochmal extra un-Kraftwerk-mäßig war. Daß ihn alle seine drei Bandkollegen vom Spielerischen her übertrumpfen, geschenkt, wenn der Meister für Stimmung sorgt, dann sorgt er für Stimmung. Wenn er auf dem Liberation rumfreakte – klar, Herbie Hancock könnte das besser, aber Jarre hatte seinen Spaß dabei. Außerdem: Er
kann inzwischen Theremin spielen.
Was bei diesen Gearporn-Tourneen natürlich auch gut mithalf, war, daß dadurch, daß locker die Hälfte der anwesenden Synths keinen Speicher hatten, jeder dieser Synths für genau einen Sound zuständig war. Paradebeispiel war etwa "Variation III", wo Jarre zwischen einem ARP 2600 mit "ausgelagertem" Cutoff-Knopf, Synthi AKS für Analogsopran (der einzige anwesende AKS mit Unterteil; ist das Ding jetzt seit fast 40 Jahren auf den Sound eingedreht?), CS80 (ersatzweise Ion) und anderen Geräten herumgerannt ist. Somit war oft sehr schön zu sehen, wie die Musik eigentlich gemacht wurde. Selbst "Knöpfchendreherei" war bei Jarre transparent. Okay, hooklinelastiges Material konnte Jarre dann wieder auf seinem Memorymoog (ersatzweise Nord Lead) spielen, den man kaum sah, aber dann gingen die Zuschauer eh mit der Musik ab.
Ihr könnt über Jarre sagen, was ihr wollt, aber er dürfte der einzige klassische Vollelektroniker sein, der es mit instrumentaler Livemusik in den letzten 20 Jahren zweimal in eine TV-Show im deutschen Fernsehen zur Prime Time geschafft hat.
Klar, Jarres Konzept für kleinere Shows ist schwierig zu kopieren. Ich meine, das ganze Gear zu haben, ist eine Sache – eine andere ist, daß man dafür auch Budget, Personal und Ersatzteile braucht, um das alte Zeugs in Schuß zu halten, wenn man damit tourt. Die meisten Musiker dürften schon an Jarres Hauptkeyboard scheitern, dem Memorymoog, mit dem man nun wirklich nicht durch die Gegend ziehen sollte.
A propos rumhampeln: Wer mich auch beeindruckt hat, ist Steve Porcaro von Toto. Der spielt nicht nur im Stehen, sondern gerade bei Nummern, wo er mehr Action hat, wirbelt er hinter den Tasten regelrecht rum.
Natürlich ist es nicht immer einfach, Elektronik ansehnlich auf die Bühne zu bringen. Aber Playback ist am wenigsten eine Lösung. Ich kann mich noch erinnern an Imagination ("Just An Illusion", "Music And Lights" usw., so'ne Art elektronischer Soul) letztes Jahr erinnern, die eigens für so eine Tour mit anderen Soulgrößen wieder zusammengeholt worden waren. Die standen zu dritt auf der weitestgehend mit einem roten Vorhang abgedeckten Bühne. Zu dritt hätten sie das natürlich nie live bringen können, also kam praktisch das ganze Backing als Zuspielung. Derweil wirbelte Leee John so rum mit seinem Funkmikro in der Hand und sang auch mal auf einen halben Meter Distanz da rein, daß man annehmen mußte, er playbackt auch nur, weil das Mikro die meiste Zeit hätte koppeln müssen – das funktionierte nur, weil Imagination mit In-Ear arbeiteten und die Monitore runtergedreht waren, war aber dennoch uncanny. Imagination hatten dann auch von fünf Gruppen in vier Stunden den mit Abstand kürzesten Auftritt. Andererseits, wie hätte es ausgesehen, wenn
die Musik live auf der Bühne gemacht worden wäre, und zwar im selben Sound wie bei den Studioproduktionen?
Gut, DAF dürfen wieder halbplaybacken, bei denen gehört das zum Konzept, daß die Drums von Robert Görl kommen, die Shouts von Gabi Delgado und die Synths vom (auch mal demonstrativ sichtbar aufgestellten) Tapedeck. Und DAF dürfen eh alles, die erlauben es sich einfach selbst.