Ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Leute hier streiten wie kleine Kinder. Soweit hier Extrempositionen vertreten werden, wird wohl der eigene Weg als der einzige absolut gesetzt. Zum Beispiel:
Ich denke daß man z.b. auf "klassische Lehre" scheißen kann (sorry) und geniale Konstruktionen heutzutage aus dem Gefühl des Bauchs über die Tasten direkt in den Sequenzer geraten können.(meine Meinung sorry).
Da sind ja zwei Aussagen drin: zum einen: „geraten
können“. Natürlich
kann das passieren. Es passiert oft, glücklicherweise.
Zum anderen: die Bauchlehre. Damit wird ein Gegensatz unterstellt, der so m.E. am Problem vorbeigeht. Dass man sich vom „Bauch“ leiten lässt, ist nun wirklich kein Vorrecht derjenigen, die nichts anderes als den Bauch zur Verfügung haben. Kaum vorstellbar, aber: auch diejenigen, die wissen, was sie tun, werden sich im wesentlichen von ihrem „Bauch“ leiten lassen. Da entsteht in der Regel eben keine „Kopf“-Musik, nichts intellektuell-brasiges, bei dem man sich zunächst drei Wochen einlesen muss, um dann gebildeten Respekt zu heucheln. Zu den schönsten, intensivsten romantischen Stücken gehören diejenigen von Bruckner. Man höre sich zB mal seine 4. Sinfonie, oder die 7, an. Das ist endlos oft von den Filmusikkomponisten geklaut worden. Bruckner war Professor.
Es ist ein schwerer Irrtum anzunehmen, mehr Kenntnisse würden die Kreativität beschneiden. Natürlich besteht, wie summa ausgeführt hat, auch die Gefahr, dass man durch Kennntis eines „Regelwerks“ sich fürderhin nur noch in demselben bewegt. Aber das ist kein Problem des Wissens, sondern ein Problem des Umgangs damit und damit ein Problem des Selbstbewusstseins. Derjenige, der immer in die Hose kackt, wird auf wenig Verständnis stoßen, wenn er vorträgt: „ich möchte nicht lernen, wie man aus Klo geht, denn: hab ich’s einmal gelernt, besteht die Gefahr, dass ich niemals wieder das unmittelbare Gefühl des In-die-Hose-Kackens erlebe. Ich würde immer ein schlechtes Gewissen dabei haben. Oder es gar vollständig verlernen.“
Was in so gut wie jedem Bereich passiert, ist etwas anderes: es ist der Weg vom Dilettanten über den Novizen zum Experten. Der Novize hat die Regeln gerade gelernt und er wendet sie sklavisch an. Das sieht man in der Ausbildung zur den Medizinern, den Juristen, den Schachspielern, auch manchen Musikern. Aber irgendwann wird man souverän im Wortsinne. Man sieht wieder den Zweck, das Ziel, des Wesentliche. Das Erlernte fließt ganz unbewusst ein, man arbeitet intuitiv, aber die Palette an unmittelbar zur Verfügung stehenden Farben hat sich gewaltig vermehrt. Jeder kann das ganz einfach ausprobieren, wenn er mal probiert, eine simple 1, IV, V-Durkadenz (ich bekomme einen Ausschlag davon) aufzuweiten mit 5 weiteren Harmonien. Man lernt harmonische Zusammenhänge, die man teils schon intuitiv verwendet hat, teils aber eben auch nicht. Wenn man sich damit beschäftigt, dann ist das Ergebnis am Ende eben nicht „Kofprechnen“, sondern die Chance, eine Stimmung, in der man ist, noch adäquater rüberzubringen. Darum jedenfalls geht es mir: meine Musik soll so klingen, wie ich das im Kopf und im Herz fühle. Ich will meine Stimmungen hören, das, was ich nicht mit Worten ausdrücken kann, zum Klingen bringen. Nun habe ich aber festgestellt, dass meine Freude, mein Leid, meine Melancholie, meine Sentimentalität, meine Wut sich nicht zum Klingen bringen lässt mit einer einzigen Volksmusikkadenz. Ob das am Ende dann modern oder altbacken klingt, ist mir dagegen völlig egal. Es muss so klingen, wie ich es fühle. Nicht aber will ich so fühlen müssen, wie es halt klingt.
Jeder muss natürlich selbst wissen, was er mit seiner Musik erreichen will. Daher gibt es viele Wege, die nicht abstrakt als falsch oder richtig bezeichnet werden können. Den eigenen als den einzig denkbaren zu bezeichnen, ist daher ebenso verfehlt wie der Versuch, anderen den vermeintlichen Königsweg aufzuschwatzen.
Was die Ergebnisse anbelangt: Auch Selbstzufriedenheit auf niedrigem Niveau ist völlig in Ordnung. Was mir wichtig ist: Offenheit für andere Wege, Neugier für Neues, Ungewöhnliches. Wer diese Offenheit nicht hat, sondern jeden anderen Weg von vornherein als überflüssig, hemmend, etc ansieht, der wird mit großer Wahrscheinlichkeit immer wieder dasselbe produzieren. Und diese Offenheit kann alles erfassen: neue Instrumente, neue Sounds, neue Syntheseverfahren, neue Musikstile, neue Kenntnisse in Harmonielehre, in Orchestration, neue Musiker, mit denen man zusammenspielt etc. Manche machen das ganz bewusst. Bei manchen fließt es einfach so von „hinten durch das Herz“, also durch das Leben in die Musik hinein. Nur wenn gar nix fließt, dann bleibt es halt statisch.