Wieso kommt eigentlich bei Diskussionen über Musik, sobald es in Richtung Geschmack, Gewohnheit geht, *immer* und *reflexartig* der Hinweis auf die 'Sozialisation'? Aber nie, wenn es um Malerei, Literatur, auch Mode, Inneneinrichtung etc. geht?
Keine Ahnung. Vielleicht, weil Musiker sich dessen eher bewusst sind? Oder bewusst sein sollten?
Ist mir unverständlich, weil es so klippklapp wie falsch ist.
Wenn ich mit klassischer arabischer Musik aufgewachesen wäre, würde ich vielleicht andere musik bevorzugen.
Wenn ich bei den Aborigiens aufgewachen wäre, würde ich die riesige Käfermade als Deliketasse bezeichnen.
Bin selbst mit Bach, Mozart, Beethoven aufgewachsen, finde aber letztere beiden langweilig, während ich Bach liebe. Höre inzwischen zu einem großen Teil Modern Jazz, mit dem ich als Kind + Teen gar nichts zu tun hatte; ebenso Skriabin, Reger, Messiaen.
Sozialisierung bedeutet ja nicht, dass man ewig auf diesem Level bleibt. Sonst müsste meine Freundin WDR4 und Schlager hören.
Umgekehrt kenne ich Leute der älterer Generationen, die würden nie Lasagne probieren. Kennen sie nicht, wollen sie nicht. Zitat eines Arbeitskollegen: "Für mein Vater besteht ein Mittagessen aus Fleisch, Kartoffeln, Gemüse. Lasagne oder so würde der nie anrühren."
"Was der Bauer nicht kennt ..."
Von den Popbands, die ich als 8-14-Jähriger toll fand, sind 90% meiner Entwicklung zum Opfer gefallen, bei denen aus der Adoleszenz etwa die Hälfte.
Die fand ich nie toll, auch damals nicht.
So, was ist nun 'Sozialisation' an meinen Hörgewohnheiten!? Rein gar nichts. Abgesehen natürlich von 'westlicher Kulturkreis'.
Aha! Westlicher Kultukreis, Bingo!
Wenn ich "Alle meine Entchen" auf lydisch singe, könnte es folgende Reaktionen geben:
- hört keinen Unterschied
- hört, dass irgendetwas anders ist
- hört, dass der vierte Ton falsch ist
- hört, dass der vierte Ton zu hoch ist
- weiß, dass das die 'lydische' Quarte ist
Schon Kinder, die Musiktheorie noch gar nicht in Berührung gekommen sind, werden wohl mindestens 'hört sich komisch an' mitbekommen. Da - wie ich immmer so gerne sage - die Durtomleiter nicht in unserer DNA kodiert ist, können wir durachaus annehmen, dass das ein Ergebnis eines Sozialisationsprozesses ist.
Bin allerdings kein Musikwissenschaftler oder Psychologe.
Deinen Hinweis auf 'angeboren', geschätzter Kollege Omega Minus, halte ich für verfolgenswerter. Zur Komplexität würde ich noch die 'Endorphinstelle' (welche ja auch unterkomplex sein kann) hinzufügen.
Ich bin da ja immer hin- und hergerissen, wenn es um beliebige Fähigkeiten geht: Was ist angeboren, was ist erworben? Die Wahrheit liegt irgendwo in der Mitte.
Fakt ist allerdings, das zur Selbst-Sozialisierung bzgl. Musik Hören auch die Neugier da sein muss. Und man muss seine initiale Reaktion "Das ist unbekannt, das passt nicht zu meinen bisherigen Gewhonheiten, das mag ich nicht!" mal bei Seite packen und sich auf etwas einlassen können.
Eine der ersten Platten, die Richtung Free Jazz gingen, musste ich mir regelrecht erarbeiten, aber nun kann ich mit damit was anfangen.
Grüße
Omega Minus