Die vier Kriterien der Elektronischen Musik

Elektrokamerad schrieb:
Bisher bin ich davon ausgegangen, dass Leser den Zusammengang durch geistige Eigenleistung selber herstellen können. Hält besser.

Aber einmal musst du es (mindestens) vormachen, sonst glaubt dir keiner, dass du die ganzen gescheiten Sachen verstehst, die du zitierst.
 
Re: Das Maß aller Dinge immer noch Buchla + Pointi

Fetz schrieb:
Vielleicht können wir uns wenigstens darauf einigen, das man zumindest mal dem Link aus dem ersten Posting folgt und den Inhalt liest?

Klar.
Ich bin gerade z.B. da gestolpert:
"Was bewirken bestimmte Töne im Menschen? Die meisten glauben, daß es keine Rolle spiele, was sie hören. Man könne sich also Popmusik ein paar Jahre lang ohne Schaden mit 110 Phon um die Ohren jagen."

Der Mann konnte (oder wollte) also "was" und "wie" nicht unterscheiden. Diese unqualifizierten Seitenhiebe lenken leider von seinen ansonsten durchaus interessanten Theorien ab.
 
Elektrokamerad schrieb:
Selbstverständlich, da offensichtlich die Grundlage für eine Diskussion mangels Kenntnis von der Sache nicht gegeben ist. Danach gerne.

Es gab durchaus bereits qualifizierte Kommentare. Wenn deren Niveau Dir nicht ausreicht, sind Zitate ohne didaktische Aufarbeitung offenbar nicht zielführend. Lerne draus.
 
Sind dir dir elektronischen Kompositionen von Stockhausen und der Vortrag auf der Doppel-CD geläufig? Voraussetzung ist eine gemeinsame Diskussionsgrundlage. Sonst Dummgeschwätz, wofür mir meine Zeit zu schade ist.
 
fab schrieb:
dagegen erinnert der EK immer wieder an das, was komposition mit klängen erst ausmacht.

Das Anliegen finde ich sehr sinnvoll, und ich würde mir sehr Wünschen, wenn wir diesen Aspekt hier im Thread weiter beleuchten können.
Immerhin können sich hier die Leute raushalten, die das einfach gar nicht interessiert.

(Und ja, da kommt auch von mir noch was. Ich erlaube mir allerdings darüber vorher etwas nach zu denken, auch wenn das hinterher nicht so auffällt... )

fab schrieb:
alternative: das forum als vereinstreffen des örtlichen oldtimer-clubs ansehen und davon ausgehen, dass es hier nicht um musik geht,
Ach, das Forum ist groß und es gibt noch sehr viele Leer-Treads im Keller. Genug für jede Fraktion.
Gruß,
Fetz, Sektion Modelleisenbahn
 
Mein Angebot aus der gestrigen PN steht noch, könnte sogar noch was Sinnvolles drauflegen.
 
Elektrokamerad schrieb:
Sind dir dir elektronischen Kompositionen von Stockhausen und der Vortrag auf der Doppel-CD geläufig?

Nicht vollständig. Angesichts des hohen Anteils redundanter Information und sachfremder Nebenschauplätze ist das IMHO auch nicht notwendig.

Voraussetzung ist eine gemeinsame Diskussionsgrundlage.

Wenn Du exakt das gleiche Wissen bei jedem Diskussionsteilnehmer voraussetzt, kannst Du natürlich mit niemandem diskutieren. Bequeme Position, aber leider etwas einsam.
 
marv:

grundlagenkenntnis ist die voraussetzung für interessante diskussion. warum sollte zb fetz mit mir schaltungen diskutieren, wenn ich kondensatoren nicht zuverlässig von widerständen unterscheiden kann? ;-)

das gilt genauso für geisteswissenschaften. und: um zu beurteilen was redundant ist, müsstest du es wohl erst einmal lesen.

zu deiner bemerkung oben: es gibt eine zweistellige anzahl von musikstilen, deren anhänger meinen, sie kommen nur laut zur geltung. entsprechen konsumieren sie. es sind also die hörer, die das wie mit dem was verwechseln. darauf kann man schonmal pointiert hinweisen.
 
fab schrieb:
marv:

grundlagenkenntnis ist die voraussetzung für interessante diskussion.

Das bestreite ich nicht. Für eine Diskussion über die Komposition mit Klängen ist aber IMHO keineswegs die vollständige Kenntnis der vom EK genannten Werke zwingend vorauszusetzen.
Neben der hohen Redundanz seiner Ausführungen sei als weiterer Grund dafür die Möglichkeit der Anregung und Bereicherung durch laienhafte Perspektiven genannt. Der wichtigste ist allerdings: Stockhausens Meinung zu dem Thema ist _nicht_ zwingend das Nonplusultra, und sie erfasst es auch nicht vollständig. Die Auseinandersetzung mit dem Thema ist daher m.E. auch dann möglich, wenn man seine Ausführungen nicht auswendig gelernt hat.

warum sollte zb fetz mit mir schaltungen diskutieren, wenn ich kondensatoren nicht zuverlässig von widerständen unterscheiden kann? ;-)

Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. ;-)

das gilt genauso für geisteswissenschaften. und: um zu beurteilen was redundant ist, müsstest du es wohl erst einmal lesen.

Ich erkenne die Redundanz beim Lesen.

zu deiner bemerkung oben: es gibt eine zweistellige anzahl von musikstilen, deren anhänger meinen, sie kommen nur laut zur geltung. entsprechen konsumieren sie. es sind also die hörer, die das wie mit dem was verwechseln. darauf kann man schonmal pointiert hinweisen.

Nein, es ist im Kontext, in dem Stockhausen diesen Hinweis platzierte, sachlich nicht relevant bzw. schlicht falsch.
 
fab schrieb:
- es gibt im forum wie auch im dazugehörigen fanzine eine große faszination für klänge an sich und
- an maschinen mit knöpfen, die klänge ausgeben können.

kann daran liegen, daß es sich um ein synthesizerforum handelt.

ich finde, du instrumentalisierst stockhausen für das, was du hier so oft andeutest: eine geringschätzung für knöpfchendreher.
die aussage, daß klänge erst organisiert zu einer komposition werden, ist banal.
daß ein klang aus dem anderen hervorgehen soll, ist eine vorstellung stockhausens, wie er sich elektronische musik vorstellt. er kritisiert ja auch in dem text, daß es bei vielen kompositionen anders sei.

für mich und andere ist es interessant, was stockhausen so meint und man kann daraus auch sicher etwas mitnehmen. aber es ist für meine musik nur von begrenzter relevanz, den a) bin ich nicht stockhausen und habe andere (geringere?) ansprüche an meine erzeugnisse und b) war stockhausen nicht jesus.

ich weiß übrigens nicht genau, ob du fab dir mal ein paar stockhausen-sachen reingezogen hast. die "faszination für klänge an sich" ist kaum zu überhören.
im handumdrehen zig genres gewisse qualitäten absprechen zu wollen, weil deren kompositionen nicht deinem geschmack entsprechen und gleichzeitig dafür stockhausen herzunehmen ist eine etwas anspruchsvollere (und etwas gemeine) version dessen, was man am stammtisch sagen würde: dat is doch keine musik!
 
bahnen schrieb:
für mich und andere ist es interessant, was stockhausen so meint und man kann daraus auch sicher etwas mitnehmen. aber es ist für meine musik nur von begrenzter relevanz, den a) bin ich nicht stockhausen und habe andere (geringere?) ansprüche an meine erzeugnisse und b) war stockhausen nicht jesus.

Ja. Man sollte bei allen Anwesenden durchaus so viel Reflektionsvermögen voraussetzen können, dass sie Stochkhausens Definition von elektronischer Musik nicht als die einzig Richtige (oder gar Mögliche) ansehen.
Diese Voraussetzung ist IMHO wichtiger, als die lückenlose Kenntnis von Stockhausens Ausführungen.

im handumdrehen zig genres gewisse qualitäten absprechen zu wollen, weil deren kompositionen nicht deinem geschmack entsprechen und gleichzeitig dafür stockhausen herzunehmen ist eine etwas anspruchsvollere (und etwas gemeine) version dessen, was man am stammtisch sagen würde: dat is doch keine musik!

Ja, diese Seitenhiebe Stockhausens meinte ich - es fällt mir durchaus teilweise schwer seine drumrumliegenden Aussagen ernst zu nehmen, obwohl sie mir sachlich richtig bzw. inhaltlich kongruent erscheinen.
 
marv und bahnen: welche texte neben stockhausen schlagt ihr vor? "soll doch jeder wie er mag" ist kein text zur komposition. im übrigen schätze ich knöpfchendreher nicht gering, mich stört aber objektophile maschinen-verehrung. da geht es mir wie dem EK: es interessiert mich als hörer nicht. als musik-macher nur, soweit es maßgeblich zur musik beiträgt.

von einem synthesizerforum erwarte ich: texte über 1. musik, in der synthesizer vorkommen und 2. darüber, wie man synthesizer zum musikmachen einsetzen kann.
 
fab schrieb:
marv und bahnen: welche texte neben stockhausen schlagt ihr vor?

Eigene! Für eine Diskussion _hier_ ist IMHO viel interessanter, was die Teilnehmer _hier_ zum Thema Komposition mit Klängen beitragen können. Natürlich ist es auch interessant zu lesen, warum jemand mit Stochkhausens Meinung übereinstimmt, oder warum er das nicht tut.
 
Vielleicht sollte man die Diskussion über die "Elektronische Musik" hinaus auf den Kunstbegriff im Allgemeinen ausweiten. Dann kann ich auch einmal Stockhausen zitieren:

[...]Also – was da geschehen ist, ist natürlich – jetzt müssen Sie alle ihr Gehirn umstellen – das größtmögliche Kunstwerk was es je gegeben hat, dass also Geister in einem Akt etwas vollbringen, was wir in der Musik nie träumen könnten, dass Leute zehn Jahre üben wie verrückt, total fanatisch für ein Konzert und dann sterben.

Das ist das größte Kunstwerk, was es überhaupt gibt für den ganzen Kosmos. Stellen sie sich das doch vor, was da passiert ist, das sind Leute, die sind so konzentriert auf das, auf die eine Aufführung und dann werden 5000 Leute in die Auferstehung gejagt in einem Moment. Das könnte ich nicht. Dagegen sind wir gar nichts als Komponisten[...]
(Der Meister selbst zu 09/11 im selben Monat im Norddeutschen Rundfunk)
 
marv42dp schrieb:

bin gespannt.

bitte jetzt nicht "jeder halt wie er mag" , "ich finds cool", " so ist das im genre x halt", "geiler sound".

das hat nicht mal das niveau der schaltung: blockblatterie, zwei kabel, glühlampe.
 
fab schrieb:
salternative: das forum als vereinstreffen des örtlichen oldtimer-clubs ansehen und davon ausgehen, dass es hier nicht um musik geht, sondern um lötzinn sowie auswahl und tuning der geilsten heißen kisten von etwa 1965-1983. wär vielleicht klüger.
Schön, dann schreib mal was zur Komposition von aktueller Unterhaltungsmusik. Das würde dedm Publikum hier deutlich mehr bringen als der bisher übliche Verweis auf den Krach-und-Tüüt Stockhausen.
 
Zitat K.H. Stockhausen über das musikalische Ergebnis der Trompetenkäfer:

"Wenn Du Dir beim Abwischen Deines Poppos Papier zu Hilfe nimmst, geben Dir die Nachbarn auch wieder die Hand"
 
marv42dp schrieb:
dass sie Stochkhausens Definition von elektronischer Musik nicht als die einzig Richtige (oder gar Mögliche) ansehen.

Da muss man ein wenig aufpassen. Denn die "Elektronische Musik™" ist ja sehr wohl recht dicht an seiner Definition, schlichtweg, weil er sie maßgeblich entwickelt hat. Dummerweise hat er den Begriff dafür aber weder als Marke registriert, noch eine Marke mit erheblicher Unterscheidungskraft gewählt, so dass es immer wieder zu Verwechslungen mit "elektronischer Musik" kommt, also einem vorangestellten Adjektiv.

(Ähnlich bekloppt ist "die Moderne" und noch schlimmer "Neue Musik". Neu ist etwas nur so lange es neu ist, es wird immer von dem nächsten Neuen abgelöst. Daraus eine Marke zu machen, ist mir jenseits eines überheblichen Anspruchs, die finale Entwicklungsstufe erreicht zu haben, einfach nur unverständlich. Trotzdem müssen wir damit leben, wenn wir von "Neuer Musik" reden ist damit eben nicht die CD-Neuvorstellung der Woche gemeint. )

tulle schrieb:
Schön, dann schreib mal was zur Komposition von aktueller Unterhaltungsmusik.
Auch das würde mich sehr interessieren. Zum Glück sind wir hier ja nicht in einem elitären Zirkel, in dem es um möglichst aufgeblasene Selbstbeweihräucherung geht, mir ist zumindest jede Idee, die über "ach das hört man doch", "ist doch eh alles primitiver Murks" und "nachbauen ist doch doof" hinausgeht, willkommen. Wie gesagt, es gibt noch ganz viele frische leere Threads im Forenkeller, einfach einen neuen Aufmachen und Posten.
 
Hatten wir sicherlich schon, dennoch hier im Zusammenhang interessant, wie Stockhausen "vordenkt".
In den letzten beiden Abschnitten sieht er eine Perspektive.
---
Karlheinz Stockhausen – Texte zur Musik, Band 1

Arbeitsbericht 1952/53: Orientierung
(erschienen in Structure 1958/1, Amsterdam)

Auf die unmittelbare Klangvorstellung kann man sich nicht mehr verlassen.
Die Klangvorstellung ist durch alle Musik bestimmt, die man bisher gehört hat.
Wenn sie weiterhin Gültigkeit hätte, müßte man sich auch weiterhin der klassischen Ordnung fügen. Materialgerecht denken: Übereinstimmung der Formgesetze mit den Bedingungen des Materials. Die Idee der neuen Form läßt sich aber nicht mit den Bedingungen des alten Materials vereinbaren. Also muß man ein neues Material suchen. Dann muß man rein gedankliche Tonkonstruktionen mit neuem Material zu verwirklichen trachten auf die Gefahr hin, zunächst sehr viel mehr negative als positive Ergebnisse zu erzielen. Man wird sehr viele Klangexperimente und die dazu nötigen Studien machen müssen.
Die annehmbaren Ergebnisse werden eine neue Klangvorstellung bilden, auf die man sich bei der Komposition dann wieder stützen kann. Komponieren wird auf lange Sicht gleichzeitig Forschen sein müssen.
Wo kann man sich orientieren? Edgar Varese hat unter anderem das Werk 'Ionisation' geschrieben. Darin gibt es nur Schlaginstrumente.

Melodien und Harmonien im geläufigen Sinne kann es also nicht geben. Aber Schlaginstrumente erzeugen doch auch mehr oder weniger klar erkennbare Tonhöhen, und wenn 6 verschieden hoch gestimmte Trommeln nacheinander angeschlagen werden, so ergibt das auch eine Melodie; und werden sie gleichzeitig angeschlagen, so ergibt das einen Akkord. Warum klingen denn entstechende Trommellharmonien niemals dissonant, auch wenn die Intervalle der Trommeltöne nach Maßgabe der Naturtonreihe seht kompliziert sind? Weil die Trommeltöne und die Töne der meisten Schlaginstrumente überhaupt keine >Obertonreihe<, keine >harmonischen Spektren ( haben, die sich miteinander reiben könnten, wenn sie in, >dissonanten < Intervallen gleichzeitig erklingen; ihre Schwingungsform ist also nicht periodisch, sondern mehr oder weniger unregelmäßig, es sind >Geräusche<.

Diese Musik von Varese muß also mit anderen Ohren gehört werden. Man beobachtet von jetzt ab mit größerer Aufmerksamkeit Schallvorgänge in der Natur: Melodien, Harmonien, Rhythmen des Windes, des Wassers, der Glocken, Hämmer, Autos, Maschinen; Schallereignisse, die in unserer Musik bisher nur eine ganz untergeordnete Funktion hatten und meist illustrativ im Orchesterschlagzeug verwendet wurden. In anderen Musikkulturen spielen sie eine viel wichtigere Rolle.

Das durch Varese ausgelöste Erlebnis wäre unwesentlich, solange derartige Schallereignisse nicht vom Menschen in eine für ihn sinnvolle Ordnung gebracht würden. Was man also bisher unter dem Sammelbegriff >Geräusch< umschrieb, diese unermeßliche Vielfalt an Schallformen, könnte ebensogut wie ein Violinton einer Kornposition als Material dienen, wenn es der Vorstellung des Komponisten und den Bedingungen des Hörens seiner Musik angemessen wäre. Vor allem würde ein solches Klangmaterial viel besser mit den neuen harmonischen und melodischen Vorstellungen vereinbar sein, wobei alle Intervalle gleichwertig behandelt werden könnten und die Hierarchie der Naturtonintervalle in den Klangspektren der bisher üblichen Instrumentaltöne nicht mehr respektiert zu werden brauchte.

Und noch etwas wichtiges fällt an 'Ionisation' auf: da traditionell übliche melodische und harmonische Wendungen von anderen abgelöst werden, die weniger präzise formuliert sind, scheint die rhythmische Ordnung das Wesentliche zu sein. Aber auch diese ist in Formen vorgestellt, die betont von den symmetrischen und vorwiegend geradzahlig-periodischen Taktschemata der bisherigen Musik abweichen.

Wie die Dissonanzen so wirken ganz entsprechend die Synkopen bei den übrigen Komponisten der ersten Jahrhunderthälfte als kompliziertere Verhältnisse im Vergleich zu konsonanten Intervallen und periodischen Rhythmen, auch dann, wenn Dissonanz und Synkope überhaupt nicht mehr >aufgelöst< werden ; denn unvermeidlich dienen nach wie vor die harmonischen Spektren der Instrumentaltöne als Empfindungsmaßstab, und zwei Violintöne, im Verhältnis der großen Septime gleichzeitig gehört, werden immer als eine kompliziertere Verbindung empfunden, als die gleichen Töne im Verhältnis der Oktave, da im Falle der großen Septime mehr verschiedene Teil-Töne und Kombinationstöne gehört werdcn, als im Falle der Oktave, die sehr viele gemeinsame Teil-Töne der beiden harmonischen Spektren ergibt.

Was zur Komposition von Edgar Varese bemerkt wurde, gilt in differenzierterem Maße für einige Kompositionen des Amerikaners John Cage.

Z. B. 'music festival for 2 prepared pianos'. Um bestimmte Klangfarben auszuwählen, die nur diesem Stück zu eigen sein sollen, schreibt Cage vor, was man tun muß, bevor man diese Komposition auf 2 Klavieren spielen kann: bei der Tonhöhe e muß ein Stück Kautschuk zwischen die Klaviersaiten gesteckt werden (das ergibt einen dumpfen, harten Ton, wenn man auf die Tastc schlägt); zwischen den Saiten von C wird eine Metallschraube befestigt; fis wird mit einem Korken gedämpft usw.

So stellt der Komponist die >Klangfarben< für ein Werk zusammen; aber nicht in Form der üblichen Orchestration, wo aus einem allgemein gebräuchlichen Instrumentarium ausgewählt wird; vielmehr komponiert Cage die Klänge eigens für jedes Stück und seine Teile, er >präpariert< sie. Daraus ergibt sich mit Notwendigkeit, daß immer nur bestimmte Saiten für eine Komposition präpariert werden, und die Tonhöhen dieser Saiten dann immer die gleiche Klangfarbe haben, wenn sie im Verlauf des Spiels angeschlagen werden.

Ferner gelten für einen Abschnitt des Werkes bestimmte präparierte Töne; dann ändert sich die Form und andere präparierte Saiten werden benutzt, das heißt andere melodische und harmonische Formeln und damit ganz andere Klangfarben.

Die Klangfarbe ist also in viel größerem Maße als bisher am Formprozeß beteiligt. Bestimmte Präparationen verlangen eine ganz bestimmte Dauer des Anschlages und Klingenlassens; manche müssen sehr lange klingen, damit sich die präparierte Saite richtig einschwingen kann, und andere sehr hart und trocken präparierte Saiten können sehr rasch nacheinander angeschlagen werden.
Also wird auch die Rhythmik und die Lautstärkeordnung für eine solche Komposition und ihre Teilstrukturen schon allein durch die Präparationen verschieden sein.

Der Komponist macht also bei den gegebenen Instrumenten nicht mehr Halt und verwendet sie nicht als etwas Fertiges, unabhängig von der einzelnen Komposition Vorgeformtes, sondern er beginnt, auch den Klang in die Struktur eines Werkes einzubeziehen, die Klangfarben ihrer physikalischen Natur nach zu kom-ponieren in Hinsicht auf die Funktion, die sie in der Form des geplanten Werkes haben sollen.

Im Werk 'Construction in metal' ist die Präparation der Klangfamilie von anderer Art: Cage hat ein Orchester nur mit Metallinstrumenten zusammengestellt, die er aus allen Erdteilen zusammensuchte; es wird also kein bestehendes Instrument >präpariert<, sondern speziell für dieses Werk ein neuer Klangkörper aus bestehenden Klanggebern zusammengestellt. Durch die Eigenart der Klangfarben-Komposition und der damit korrespondierenden musikalischen Form erhält dieses Stück eine unverwechselbare Einheitlichkeit, eine nur ihm eigene Struktur; es kündigt sich eine Vielfalt von Beziehungen und Wechselwirkungen zwischen Material und Materialformung an, wobei das Kleine mit dem Großen und das Detail mit dem Ganzen innig verbunden sein könnten.

Pierre Schaeffer begann 1948 in Paris, mithilfe elektroakustischer Apparaturen auf Tonband gespeicherte Schallvorgänge zu deformieren, transformieren und zu ungewöhnlichen Schallmontagen zu mischen. Als Ausgangsmaterial dienten immer mit dem Mikrophon aus der Natur aufgenommene Schallvorgänge. Im Prinzip geht es also um das gleiche, was Cage mit seinen Präparationen machte.

Obwohl die Arbeiten in der Gruppe der Mitarbeiter Schaeffers allzu unsystematisch betrieben wurden, um Voraussetzungen für eine 'Musique concrète' zu schaffen, entstanden doch einige kurze Etüden, die mit den differenzierteren Mitteln der Radiotechnik den von Varese und Cage mitbestimmten Weg weiterverfolgten. Darunter befindet sich die zweite Etüde von Pierre Boulez .
Er wählte 6 Klang-Objekte aus; Schallkomplexe, die er mithilfe elektroakustischer Apparaturen aus aufgenommenen Schlagzeuggeräuschen gewonnen und in Hinsicht auf das zu komponierende Stück >präpariert< hat.

Die Zusammenstellung und innere Zusammensetzung des Klangmaterials geht also bereits einen Schritt weiter, als bei den bis dahin bekannten Beispielen ;
die Unterwerfung des Materials unter die ordnende Vorstellung des Komponisten und die Anpassung eines gegebenen Materials an die neuen Forderungen musikalischer Form könnten das Unheil abwehren, daß umgekehrt der Komponist von den Bedingungen des Materials beherrscht würde und aus den Widersprüchen von Material und Kompositionsmethode der ersten Jahrhunderthälfte nicht mehr herausfände.

Prinzipiell geht es überhaupt nicht um die Verwendung ungewohnter, unbedingt neuer Klänge - derart modische Chocs verbrauchen sich sehr schnell-, sondern darum, daß die musikalische Ordnung in die Schwingungsstruktur der Schallvorgänge hinein getrieben wird, daß die Schallereignisse in einer Komposition integraler Bestandteil dieses und nur dieses Stückes sind und aus seinen Baugesetzen hervorgehen: Textur des Materials und Struktur des Werkes sollen eins werden; mikrotonale und makrotonale Form müssen gemäß der Formidee für jedes Werk wieder neu in Übereinstimmung gebracht werden.
Dabei sind die bisherigen Vorstellungen von musikalisch >tauglichen< Schallvorgängen zu revidieren: Jeder überhaupt nur vorstellbare Schall kann, wenn er aus der komponierten Struktur eines Werkes notwendig hervorgeht, musikalisch verwendet werden. Klänge, Geräusche - wie immer sie beschaffen sein mögen - sind zunächst bloßes Material, und nichts veranlaßt dazu, gewisse Schallvorgänge von vorneherein für den musikalischen Prozeß auszuschalten.


Neben diesen Versuchen, Geräusche in die Komposition maßgeblich einzubeziehen und bekanntes Klangmaterial durch Umwandlungsprozesse den neuen kompositorischen Anforderungen gefügig zu machen, gibt es die Kompositionen des Schönbergschülers Anton Webern. Sie sind die besten Beispiele für das geistige Niveau des Komponierens, das innerhalb der rein instrumentalen Musik gebräuchlicher Art erreicht wurde.

Kurz und deutlich zeigt ein Beispiel aus dem Jahre 1910 das jetzt Wesentliche. Das erste der
5 Stücke für Violine und Klavier hat in der Violine 5 Tongruppen: einen langgezogenen Ton, Flageolett gespielt, dann 5 Töne normal gestrichen, dann 2 Töne, 10 mal wiederholt, con legno weich gezogen, und endlich 2 Pizzicato-Töne. Eine Gruppenreihe wird durch die verschiedenen Klangfärbungen eines Instrumentes klar gemacht, und die >Präparation< der Töne bekommt die Funktion, Form zu verdeutlichen.

Keimhaft liegt hier verborgen, was 40 Jahre später so große Bedeutung erlangen sollte.
>Farbe< ist nicht länger ein Gewand, Stuck, Verkleidung, sondern sie ist Form.
Was das bedeutet, kann man ermessen, wenn man bedenkt, daß noch heute die allermeisten Komponisten bei einem Orchesterwerk zuerst die >Noten< womöglich in einer Klavier-fassung schreiben - also die Tonhöhen und Zeitwerte und vielleicht noch einige allgemeine Anmerkungen über die Lautstärke - und daß sie dann zur > Palette< greifen und >instrumentieren<.

Wie sich bei Webern gleichberechtigte Funktion jeder Dimension des Klanglichen in der neuen musikalischen Form anbahnte, so wurde auch der Unterschied von Haupt- und Nebensachen aus der musikalischen Form ausgeschieden: Alles wird Hauptsache, kein Formglied soll über das andere herrschen.

Wenn es auch einstweilen nicht möglich ist, die Textur des Klangmaterials widerspruchslos in die Struktur des Werkes einzubeziehen, muß man doch die neuen Formprinzipien so klar wie möglich herausarbeiten. Also möglichst wenige und ganz übliche Instrumente und von jeder typischen Familie nur eines.

Alle Form soll zunächst vom Punkt, vom einzelnen Ton ausgehen und in ihn münden:

Als Werk Nr. 1 'Kontra-Punkte'. Werkidee: Die 'Kontra-Punkte' für 10 Instrumente sind aus der Vorstellung entstanden, daß in einer vielfältigen Klangwelt mit individuellen Tönen und Zeitverhältnissen die Gegensätze so gelöst werden sollen, daß ein Zustand erreicht wird, in dem nur noch ein Einheitliches, Unverändertes hörbar ist.

Im eigentlichen Sinne kontra-puktiert werden in diesem Werk die Klangdimensionen, auch >Parameter< genannt, und zwar im umschriebenen vierdimensionalen Raum: Längen (Dauern), Höhen (Frequenzen), Volumina (Lautstärken), Schwingungsformen (Klangfarben).


Was in drei durchorganisierten Kompositionen galt, die unmittelbar vor den 'Kontra-Punkten' entstanden sind, wird allmählich überzeugender: Immer das gleiche gesucht und versucht: die Kraft der Verwandlung - ihre Wirkung als Zeit: als Musik. Also keine Wiederholung, keine Variation, keine Durchführung, kein Kontrast. All dies setzt >Gestalten< - Themen, Motive, Objekte voraus, die wiederholt, variiert, durchgeführt, kontrastiert werden; zergliedert, bearbeitct, vergrößert, verkleinert, moduliert, transponiert, gespiegelt oder als Krebs geführt werden. All das ist seit den ersten rein punktuellen Arbeiten aufgegeben worden. Unsere Welt - unsere Sprache - unsere Grammatik.

Kein Neo. . . ! Aber was denn? Kontra-Punkte: eine Reihe verborgenster und sinnfälligster Wandlungen und Erneuerungen - kein Ende abzusehen.
Man hört niemals das gleiche. Doch spürt man deutlich, aus einem unverwechselbaren und äußerst einheitlichen Gefüge nicht herauszufallen. Eine verborgene Kraft, die zusammenhält, verwandte Proportionen: eine Struktur. Nicht gleiche Gestalten in wechselndem Licht. Eher das: verschiedene Gestalten im gleichen Licht, das alles durchdringt.

Wie aber ist die Forderung nach einer Übereinstimmung von Materialstruktur und Werkstruktur zu verwirklichen ? Wie kann man in die mikrotonale Welt des Klanglichen eindringen? Die Instrumentaltöne, alle >natürlichen< Schallvorgänge sind bereits mehr oder weniger komplexe Schwingungsformen, sie sind >von Natur aus< vorgeformt, und darauf müßte man immer Rücksicht nehmen.

Die Schwingungsformen von Instrumentaltönen und verschiedensten Geräuschen werden mit elektro-akustischen Hilfsapparaturen eingehend analysiert: Wenn man den Analyseprozeß zeitlich umkehren, also Schwingungsformen gemäß den analytischen Daten synthetisch herstellen könnte ? Dann müßte es so etwas geben wie einfache Schwingungen, die man zu differenzierteren Schwingungsformen kombinieren könnte. Oder man müßte ein so dichtes Schwingungs->Band< zur Verfügung haben, aus dem man mithilfe von verschiedensten >Filtern< die unterschiedlichsten Schwingungsformen herausfiltern könnte.

In Bonn experimentiert Meyer-Eppler im Bereich der elektronischen Klangerzeugung. Dort und am Westdeutschen Rundfunk, wo Eimert Experimente mit rein elektrisch erzeugten Schallformen macht, wird man vielleicht eine Lösung der kompositorischen Schwierigkeiten finden.
 
fab schrieb:
marv und bahnen: welche texte neben stockhausen schlagt ihr vor? "soll doch jeder wie er mag" ist kein text zur komposition.

welchem zweck sollen die texte denn dienen? der hier wieder und wieder zitierte text "vier kriterien der elektronischen musik" wird in der regeln vom elektrokameraden in den raum geworfen, wenn geürtz wurde.
für mich geht es da nicht darum, irgendetwas zu erklären oder zu diskutieren, sondern der text wird verwendet, um einem einfachen "find ich echt blöd und peinlich, was du hier treibst" einen etwas objektiveren anstrich zu verleihen.

wer anregungen sucht zu einer bestimmten form der elektronischen musik, wird die passende lektüre sicher finden.
aber man muß sie niemandem penetrant vor die nase halten.

ich frage dich nun, warum soll denn nicht jeder wie er mag? gehts hier um rocketscience oder darum, daß ein paar typen ihren geräten töne entlocken. das macht spaß, das ist kindisch, sich an den blinkenden lämpchen zu erfreuen und sogar dämlich, wenn man da seine ganze kohle reinsteckt. und jetzt?
ganz ehrlich: ich könnte auch gut angeln gehen oder in der nase popeln oder minigolf spielen... gibt es dazu auch wissenschaftliche abhandlungen? :fawk:
 
Das vorletzte Posting vom Kamerad nimmt ja schon Moogulatorische Ausmaße an. :mrgreen:
 
Einige Erläuterungen zur Elektronischen Musik™ hat EK ja hier noch mal gepostet ( :nihao: - und mit der herzlichen Bitte an die am Thread interessierten, das auch mal zu lesen. Hier im Thread dürft ihr mal und braucht euch auch gar nicht über das viele gepaste Ärgern, das *soll* hier nämlich mal rein - und es geht (mir) um den Inhalt. ).

Ich hatte oben ja schon die Bezeichner aufgedröselt, weiter geht es mit den Attributen, die Identitätsstiftend für die Elektronische Musik™ waren, aber für heutige Musiker, die elektronische Musik machen, keineswegs zwingend sind.

Die Dekonstruktion des Instrumentes ist sicher so ein Punkt, das war seinerzeit die konsequente Fortführung der antiautoritären Auflehnung gegen das "letzte Diktat" der klassischen Musik, von der harmonischen Notenstapelei hatte man sich ja schon ein paar Jahrzehnte zuvor gelöst.

Das erscheint mir aus heutiger Sicht durchaus befremdlich, man muss diesen Abnabelungsprozess wohl als "es war damals wohl nötig" ansehen, heute "darf" man (vielleicht deshalb?) alles und hat ein entspanntes Verhältnis zu beiden Perspektiven.

Einer der Gründe, warum dieses Mem sich praktisch nicht dauerhaft durchsetzen konnte, ist schlichtweg der Realitätsabgleich. Der Komponist ist mit der vollständigen Erschaffung eines komplett aus "Klangatomen" aufgebauten Werkes einfach überfordert, die nötige Datenrate ist von einem einzelnen Menschen nicht zu erzeugen.
Anschaulich: er kann sich aussuchen, ob er mittelmäßige (bzw. teilweise zufällige) Klänge selber strickt, oder Kompetenz einkauft. Die in einigen Schriften durchschimmernde Hoffnung, der Fortschritt der Technik würde eine solche vollständige Kontrolle ermöglichen, ist von dem Fortschritt der Wissenschaft falsifiziert worden, dass es nie möglich sein wird.

Eine geschichtliche Koinzidenz ist, dass diese antiautoritäre Auflehnung auf eine entsprechende Jugendkultur traf. Die hat dann recht begeistert viele Ideen aufgesaugt - und sie in den Kontext der Populärmusik eingebracht. (Der geschichtliche Treppenwitz ist dann wohl, das es ohne KHS keine NDW gegeben hätte ... )
 
Elektrokamerad schrieb:
Hatten wir sicherlich schon, dennoch hier im Zusammenhang interessant, wie Stockhausen "vordenkt".
In den letzten beiden Abschnitten sieht er eine Perspektive.
---
Karlheinz Stockhausen – Texte zur Musik, Band 1
[Moderation: Full-Quote entfernt ...]
In Bonn experimentiert Meyer-Eppler im Bereich der elektronischen Klangerzeugung. Dort und am Westdeutschen Rundfunk, wo Eimert Experimente mit rein elektrisch erzeugten Schallformen macht, wird man vielleicht eine Lösung der kompositorischen Schwierigkeiten finden.

oh man dirk das liest doch keine sau
 
Fetz schrieb:
Wo ich mitreden kann ist der technische, psychoakustische und logische Teil. Und da finde ich eine Menge seiner Ideen philosophisch durchaus überzeugend, aber sie sind merklich auf einem Wissensstand von vor vielen Jahrzehnten.
Das heute unkommentiert zu zitieren finde ich einfach grenzwertig. So einfach ist das dann alles doch nicht.

Hi, Fetz!

Mich würde mal interessieren, was Du konkret an dem von Dirk zitierten Text für veraltet hältst.

Letzlich sagt er ja nur, dass jedes vorkommende Geräusch musikalisch verwertbar sein darf, eine Sicht der Dinge, die ja spätestens mit der Erfindung des Samplers (Art Of Noise, Depeche Mode) auch in Popmusik-Kreisen nicht mehr ungewöhnlich sein dürfte. Man muss sich vergegenwärtigen, dass sein Text vor dem Hintergrund des Klassikpublikums der 50er und 60er Jahre geschrieben wurde, und da wurden geräuschartige Klänge (v. a. in Gestalt von Schlaginstrumenten wie Trommeln, Becken und Triangel) bis ca. 1950 meist nur als gelegentliche "Würze" für Klänge mit harmonischer Obertonstruktur (primär Streicher und Bläser) verwendet und hatten sich noch nicht als eigenständiger Wert "emanzipiert".

Die Auffassung, dass "Noise" ein eigenständiges musikalisches Mittel sein darf, halte ich keineswegs für veraltet, du findest sie schließlich bei vielen radikaleren Richtungen der elektronischen Musik (sagen wir Autechre, Mouse on Mars oder auch Drone-Diaries ;-) ) angewendet.
 


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