5. Mentales Training
Hab schon irgendwo über mentales Training bei Musikern gelesen, weiß nicht, ob die konkrete mentale Techniken für Gitarrenunterricht gibt…
Die gespeicherten motorischen Abläufe (schwierige Stellen) kann man auch „mental“ durchgehen, so wie wir ein Gedicht üben können, ohne das motorisch umzusetzen (ohne zu sprechen). Vereinfacht dargestellt wird der motorische Speicher wiederholt erfrischt und „gesichert“ mit dem einzigen Unterschied, das die motorische Impulse nicht weiter geleitet werden, was theoretisch gesehen in diesem Moment nicht wichtig ist, vorausgesetzt, war schon alles „real“ gespielt. Das kann man auch im Zug sitzend (nicht im Auto!) machen oder vom Schlafengehen, erfordern aber die höchste Konzentration und methodisch konkrete mentale Techniken.
6. Die Verkrampfung
Es sind mehrere physiologische Abläufe für Verkrampfung der Muskulatur verantwortlich.
a) Die z. B. für die einzelnen Muskeln einer Hand zuständige Nervenareale liegen auch topographisch im Gehirn sehr kompakt nebeneinander. Die Erregung der Zellen bei gewünschtem Impuls zu einem Finger hat die Tendenz sich auszuweiten und somit werden immer mehr Muskel unkontrolliert und unerwünscht kontrahiert (bis zum Schulterbereich) und das schlimmste – ist der kontrollierte Bewegung beendet, bleibt die unerwünschte Spannung in anderen Muskelgruppen unbemerkt erhalten und wird auch dummerweise „mitgespeichert“, weil das Gehirn „meint“ – das gehört zu diesem Bewegungsmuster! Die benachbarte Muskelspannung bremst den aktiven Finger aus, die über „aktiven“ Bereich ausgeweitete Muskelspannung überlagert die Kontrollbereiche, alle Abläufe bekommen „Sand in Getriebe“…
b) Ist eine kontrollierte Bewegung beendet, entspannt sich der entsprechende Muskel, zumindest der bewegt sich nicht mehr. Ob der Muskel sich komplett entspannt hat, wissen wir
nicht. Da nur die Bewegung eine Handlung darstellt und für den Körper „relevant“ ist, hat uns die Natur auch nicht mir einer Kontrolle über die Entspannung ausgestattet. Das muss extra gelernt werden und das ist sehr schwierig, weil im Gegensatz zu Kraftausübung, wo wir die Information über Druck und Spannung von Rezeptoren über die sensorische Nerven wahrnehmen können, fehlt dies hier fast komplett…Aber gerade das schnelles und gezieltes Wechsel „Spannungs-Entspannung“ ist für die feinste Motorik und Virtuosität „verantwortlich“.
c) Was noch zu beachten ist, dass gerade die Flexoren (Unterarmmuskeln, die Finger beugen) wieder schon von Natur aus zu Spastik und Verkrampfung neigen. Das liegt in einem uralten, eingeborenen sog. „Klammer-Reflex“, mit dem der Säugling an Mutter klammert (überlebenswichtig). Dazu kommt das sich immer weiter entwickelte Hand, die vor allem zum Greifen und Halten sich spezialisiert hat. Wer man sich an seine alle ersten Gitarrenübungen erinnern kann, weißt wie die linke Hand den Griffbrett nicht loslassen will…
Es muss gelernt werden, die entspannte Muskulatur wahrzunehmen. In modernen Gitarrenschulen wird das immer wieder angesprochen und die entsprechenden Übungen angeboten. Es gibt auch allgemeine Entspannungstechniken, die für verschiedene Muskelgruppen einsetzen kann. Zum Beispiel, mit dem Training nach Jakobson kann man wirklich nichts falsch machen…
7. Das Lampenfieber
Eine „gesunde“ Aufregung kann man als positiver Stress bezeichnen. Es werden zwar einige
Stresshormone ausgeschüttet, ein Unterschied zum „richtigen“ Stress und Angst besteht, dass
man die volle Kontrolle über die Situation hat, die Denkvorgänge sind klar, alle Bewegungen
sind gut koordiniert, die höchste Konzentration, Mobilisation, Motivation, Selbstsicherheit, leichte Euphorie und Erwartung des Erfolgserlebnisses – sind die besten Voraussetzungen, um für den Musiker nur auf „künstlerische“ konzentrieren zu müssen. Dieser Zustand kommt natürlich in anderen Berufen genau so vor.
8. Was ist Stress?
Das ist ein uraltes überlebenswichtiger Mechanismus, was auch in der Tierwelt (dazu auch wir gehören) bekannt ist. Das ist die Reaktion des Lebewesens auf eine Gefahr und ist ursprünglich als Vorbereitung nur für zwei Handlungen ausgelegt – Angriff oder Flucht.
Es werden die Stresshormone ausgeschüttet (Adrenalin, Dopamin u.a.) die folgendes bewirken: der Herzfrequenz und Blutdruck steigen um die Muskulatur mit mehr Sauerstoff zu versorgen. Die allgemeine Muskelspannung steigt (Zittern), der Stoffwechsel wird beschleunigt, alle Bewegungen vollziehen sich schneller, deswegen überschlagen sich die „feine“ Bewegungen. Der Kreislauf verteilt das Blut zugunsten den wichtigen Organen (Herz, Lunge, Gehirn, große Muskel) sog. Zentralisation, die Blutgefäße der Peripherie gehen zu (kalte Hände und Füße). Schweißausbruch, Mundtrockenheit kommen dazu. Ist die Stressreaktion komplett entfaltet, ist das unmöglich die sofort unter Kontrolle zu bringen, weil diese Reaktion jetzt über sog. vegetatives Nervensystem gesteuert wird, was die Großhirnrinde nicht kontrollieren kann.
Ist die Stressreaktion so ausgeprägt wie oben geschrieben, sind für den Gitarristen nur eine von der Natur angelegte Handlung möglich – die Flucht. Dazu kommen vielleicht noch zwei rein „menschliche“ Handlungen: 1. Sich vor dem Publikum entschuldigen 2. Die Gitarre einpacken (mit zitternden Händen).
Mehr bekannt sind aber die kleineren Abstufungen von der Stressreaktion. Die Erregbarkeit der Muskeln ist erhöht, das führt dazu, dass die Impulsen unbewusst „überdosiert“ werden, die Bewegungen werden zappelig, die Koordination wird gestört, was zwangsläufig zu technischen Fehlern führt.
Oder man merkt, dass man ungewollt immer schneller spielt, so schnell, wie es nicht geübt war und wartet nun hoffnungslos, bis die erste Fehler auftreten…Dazu kommt oft Gefäßspastik und Schwitzen. Feuchte, kalte und hektische Hände – was will man mehr? Kommt doch alles bekannt vor, oder?
9. Was ist Angst?
K. Ragossnig beschreibt kurz das Lampenfieber und listet einige „Ängste“ auf: von nicht laut, nicht schnell genug spielen zu können usw. Man muss hier klar zwischen Furcht und Angst unterscheiden. Der Furcht ist immer konkret, man weiß immer was man fürchtet (oder wovon
man Schrecken kriegt). Die Angst dagegen ist ein diffuses, beklemmendes Unsicherheitsgefühl, eine innerliche Unruhe, was man nicht richtig beschreiben und definitiv zuordnen kann. Man weiß nie wovon man konkret Angst hat! Die Angst gehört zur unsere normale Psyche und ist von der Natur als allgemeine „Alarmbereitschaft“ für möglichen Gefahren gedacht.
Auf Gitarrenspiel bezogen ist das momentan die Angst von einer schnellen Passage, nach eine Minute – von kaltem Raum, Minute später die Angst von „die Angst nicht unter Kontrolle zu haben“ usw.….Die Angst ist oft auch mehr oder weniger mit o.g. Stressreaktionen begleitet.
Was man nicht konkret definieren kann, kann man auch nicht wegargumentieren! Von daher die allgemeine Aufmunterung „ Du schaffst das schon“ bringen uns nicht weiter.
Weil im Angstzustand immer wechselnde Gedanken durch den Kopf gehen (kleine Gewitter in der Großhirnrinde) beeinträchtigt die Angst enorm die Konzentration.
Das beste und radikale Mittel gegen Lampenfieber ist eine virtuose Spieltechnik Wink…
Weil die Psyche extrem individuell ist, gibt es keinen allgemeinen Ratschlägen. Jeder erfindet intuitiv seine eigene Tricks, die Psyche muss auch eingeübt werden, deswegen jede Möglichkeit nutzen um aufzutreten (zuerst vor Laien Wink).
Vorsicht mit Beruhigungs-Medikamenten. Baldrian ist harmlos, man muss aber fest glauben, dass er wirkt Wink, Von alle anderen Psychopharmaka ist dringend abzuraten – die beeinträchtigen Koordination und Konzentration und können zur Abhängigkeit führen.
Die erlernte Psychotechniken (z.B. autogenes Training mit individuell abgeschnittenen Formeln) oder im extremen Fall die Hypnose sind denkbar.
10. Das Werkzeug – Muskeln, Gelenken, Sehnen
Was sehen wir auf dem Titelbild „Pumping Nylon“ von Scott Tenannt? Richtig – ein muskulöser Arm und Gitarre. Jetzt überlegen wir: jeder Bodybuilder kenn seine einzelne Muskeln, weiß auch genau, wie man die anspricht und trainiert. Weiß jeder Gitarrist, dass nur im Unterarm 19 Muskeln für die Bewegung der Finger zuständig sind? Und viele andere im Oberarm, Schulter, Rücken die für die Haltung der Gitarre, Gleichgewicht usw. usf…
Das sind auch die Muskel, die trainiert werden müssen, die Sehnen die elastischer werden müssen usw. Das ist doch unfair, oder? Natürlich ginge das immer auch ohne Mediziner, mit Erfahrungen über Generationen von Gitarristen. Aber braucht aus anatomischer Sicht jeder die gleichen Übungen, oder müssen die Übungen individueller gestaltet werden? Kann ich die einzelne Muskel, die bei mir persönlich besonders schwach sind extra trainieren? Auch ohne Gitarre, mit einem speziellen Gerät, so zwischendurch? Bevor ich auf dem Griffbrett bis zum Schmerzen quäle, kann ich vielleicht zusätzlich spezielle Stretchübungen machen, für meine Sehnen und Gelenken?
Und was ist mit Massage, was im Sport- und Fitnessbereich eine Selbstverständlichkeit ist?
Die Massage fördert die Durchblutung der Muskulatur, die Rezeptoren von Muskel. und Sehnen werden wachgerüttelt – es fließen viel mehr Impulsen zur entsprechende Arealen in Großhirnrinde, die Muskel werden besser wahrgenommen, die befürchtete Verkrampfung ist weg, die Muskelentspannung ist ideal und man kann üben die Entspannung wahrzunehmen und später während des Spielens die zu kontrollieren. Die Muskel werden viel leichter ansprechbar….usw. Kennen die Gitarristen eine vernünftige Massagetechnik z.B. für Unterarmflexoren oder Hand? Ist doch wieder unfair, oder?
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11. Wenn das Spielen weh tut
Der Schmerz ist von der Natur als Warnung für geschehene oder drohende Verletzung gemeint und ist immer ernst zu nehmen. Erklären, wie der Schmerz entsteht wäre etwas langweilig, wichtig zu wissen ist aber, dass der Schmerzquelle zwar in Muskeln oder Gelenken entsteht, als unangenehmes Gefühl wird der aber im Gehirn wahrgenommen. Wird der Schmerz immer wieder erlebt, hat er Tendenz sich zu verselbstständigen. Der Schmerz wird chronisch, es entsteht im Gehirn ein Herd (Schmerzgedächtnis) was zur Folge hat, dass die Schmerzen auch dann empfunden werden, wenn die eigentliche Schmerzquelle schon behoben ist. Aus der sinnvollen Warnung von Verletzung oder Krankheit wird jetzt eine selbstständige Krankheit. Ein bekanntes Beispiel dafür – sog. Phantom-Schmerz in dem amputierten (fehlenden) Bein oder Fuß. Deswegen nie lange mit dem Schmerzen üben mit der Hoffnung das mit der Zeit zu überwinden, das kann zum Verhängnis werden!
Wenn ein Sportler Schmerzen hat, kann der sich darauf spezialisierter Arzt (Arzt für Sportmedizin) sehr schnell feststellen, woher das kommt, welche Verletzung oder nur Überspannung vorliegt und was man dagegen machen kann. Und die Profisportler kennen sich auch aus.
Wenn ein Gitarrist Handschmerzen beim Üben hat, wie kann er genau feststellen, wo das Schmerz entsteht und warum? Ist das Gelenk, Sehne oder Muskel? Was macht er falsch? Was kann er dagegen machen, bevor er zur ernsten Dauerfolgen kommt? Wenn er zum Arzt geht und sagt, das er beim Gitarrenspiel hier oder da Schmerzen hat, zur Zeit der Untersuchung aber kein Schmerz empfindet (hoffentlich es ist nicht so weit) – kommt der Arzt nicht unbedingt sofort dahinter. Wenn der Gitarrist sagt, dass er nur bei bestimmten Übungen Schmerzen hat, kann der Arzt damit gar nicht anfangen, weil er keine Ahnung hat, wie diese Übung abläuft und welche Muskel, Sehnen und Gelenken dabei beansprucht werden. Da die Medizin zum großen Teil auch auf die Erfahrungen basiert und die Trauma-Verletzung-Krankheiten Mechanismen schon lange bekannt sind (Sportmedizin, Traumatologie, Orthopädie, Handchirurgie) sind mit dem Musizieren verbundene Beschwerden gar nicht der Fall. Jeder kennt den Begriff „Tennis-Arm“, aber die „Gitarren-Hand“ gibt es nicht. Auch die Nachfrage spielt eine große Rolle – die Sportmedizin ist ein Beispiel. Was selten vorkommt (ist auch gut so!) kann auch nicht systematisch erforscht werden.
Schlusswort
Ich kann die aufkommende Skepsis von Profi-Gitarristen gut nachvollziehen. Irgendwie ging das mit dem Üben auch ohne Mediziner und es gibt doch keinen Grund sich damit zu beschäftigen. Stimmt nur teilweise. Was mich besonders fasziniert, ist die Tatsache, dass die Genialität, Leidenschaft, scharfe Selbstbeobachtung und jahrelange pädagogische Erfahrungen Generationen von Gitarristen intuitiv und empirisch dazu geführt hat, dass die Musiker selbst dahinter kommen, bewusst oder unbewusst… Ich weiß nicht, wie die Gitarre unterrichtet wird (leider keinen Unterricht gehabt) was ich aber darüber lesen konnte, überzeugt mich in meiner Meinung. Vergleichen wie chronologisch einige Gitarrenschulen, dann fällt dies besonders auf. Die alten Schulen sind mehr „musikalisch“ ausgelegt, auch die Übungen, in modernen Schulen werden immer genauer die Anschlagtechnik beschrieben, es tauchen Begriffe wie Aufmerksamkeit (Konzentration), strikte Trennung zwischen Üben und Musizieren usw. Später wird die Bedeutung von Entspannung erkannt („leichte Finger“) und die negative Wirkung von Verspannung im Schulterbereich. Auch rein motorische Übungen werden entwickelt. Bei Carcassi sind das „Rondos“, bei Scott Tenannt „Spider“ – dissonant, unmusikalisch, aber rational auf eine ganz bestimmte Motorik gerichtet. Es wird immer öfter auf die Wahrnehmung von Feedback-Informationen von Finger oder Muskel hingewiesen – „Feeling“ wird immer wichtiger. Mentales Training habe ich schon erwähnt. Scott Tenannt erwähnt den „Carpaltunnel“, Tarrega wusste bestimmt nicht, das er existierte…Usw., usf..
Von daher ist mir bewusst, dass mein Beitrag keine „Offenbarung“ ist…
Die Musik ist ein wunderschönes Produkt des menschlichen Geistes, das Musizieren aber ist ohne „Körpereinsatz“ nicht möglich und ich denke, dass die Erfahrungen aus der Medizinbereichen (Neurophysiologie, Psychotherapie, Physiotherapie, Krankengymnastik, Sportmedizin u.a.) einiges dazu beitragen könnten, das „Training“ für Gitarristen optimaler zu gestalten. Wird es irgendwann ein Buch „Fitness für Gitarristen“ geben“?
Leider liegen zwischen dem „Wissen“ und dem „Wissen-Nutzen“ oft die Welten…
Mann oh Mann, hat es gedauert..so viel wollte ich gar nicht schreiben…
Hätte ich doch lieber die Gitarre geübt…so ganz konventionell? Oder was meint Ihr?
Liebe Grüße
Johannes