Brainstorm Warum war Musik früher "besser"?

Auf der andere Seite bin ich aber auch ein bischen froh, dass die Musik, die ich für gut halte, weit unter dem Massen-Radar fliegt. Die meisten Live-Acts bleiben für mich erschwinglich. Ein episches, unvergessliches Rock-Concert mit DeWolff oder Greg Koch für ca. 25€…
 
Nur ein kleiner Impuls, ich finde dass man das - wenn einen das stört - auch durchaus als eigenen „Call to action“ sehen kann, nach dem Motto „es gibt nichts gutes, außer man tut es“. Wenn sich heute jemand mit so einem Anspruch hinsetzt und übt und/oder Musiktheorie lernt und/oder veröffentlicht, naja, davon haben wir dann am Ende alle was.
 
Schon Abba ist komplizierter als die ubiquitären 4cl-Songs.

Grüße
Omega Minus

PS:
4cl = four chord loop

Andererseits ist Totos Africa ein die Zeit überdauernder, gefühlt (einigermaßen) universal geschätzter Megahit, mit DEM Four Chord Loop der Neuzeit schlechthin und einer Gesangsmelodie im Refrain, die nur unter Protest den einen Ton verlässt, auf dem zuvor ewig rumgeritten wurde. Du hast Recht, aber es gibt noch mehr Sachen, die kompliziert sind/klingen, als der Loop.
 
Kreativität und Originalität nimmt mit Routine, Professionalität, und Sättigung des "Markts" ab. Ist eine bekannte Geschichte, und geschieht so so gut wie in jedem Gebiet welches mit Kreativität zu tun hat. Auch bei Computerspielen und Filmen merkt man das sehr stark. Dazu kommt bei denen noch, dass hinter den Produkten Geldgeber sitzen, die eine sichere Rückführung ihrer Ausgaben suchen, insofern wird da dann auch oft nach dem 08/15 Verfahren gewirkt, damit der Erfolg einigermaßen sicher ist.
 
Ich habe dazu keine Zahlen, aber wäre es ggf. auch denkbar, dass die Profis im Musik-Business (nicht unbedingt nur auf die Künstler selbst bezogen) früher auch häufiger eine musikalische Ausbildung hatten?

Zumindest selbst gut am Instrument, oft mit klassischem Background?!
 
Was damit sicher auch einhergeht ist der technische Bereich: Wenn Du nur 16 Spuren hast musst Du schon genau überlegen, was Du tust. Man kommt durch die Limitierung besser 'auf den Punkt' und arbeitete focussierter.

Jenzz
16 Spuren? Ich war schon glücklich mit 8 (Tascam 38), davor war es nur ein Portastudio mit 4 Spuren. Mehr war damals nicht drin.
 
Vielleicht muss man auch sehen, dass früher, zumindest in Europa, hauptsächlich öffentliche Radiosender am Start waren.
Und die Musikredakteure konnten problemlos komplexe und lange Musikstücke spielen, ohne dass gleich die Werbekunden auf der Matte standen.

Eine "Bohemian Rhapsody" hätte heute keine Chance mehr in den reichweitenstarken Medien, genauso wenig wie ELP, Genesis' "Supper's Ready" oder auch ein"Music was my First Love" von John Miles.
Wie oft lief „In-A-Gadda-Da-Vida“ oder „Papa was a Rolling Stone“ in voller Länge im Radio. Heute undenkbar.
 
Man hört das so häufig im Straßenverkehr und wenn man Leuten mit laut aufgedrehten Smartphones begegnet - es wird alles auf die aktuelle, minderwertig klingende Technik hin produziert und abgemischt. In den 90ern hätte man die Produzenten noch mal zurück ans Mischpult geprügelt, um den Klang bitte noch mal richtig zu mixen. Die neuen Geräte klingen nun mal am präsentesten und "am besten", wenn alles möglichst mittenbetont und ohne jegliche Dynamik durchgepresst wird.
Das war schon immer so, dass die Konsum-Technologie die Produktionstechnik bestimmt hat. Es ist spannend, sich unter diesem Aspekt Soul-Monsterhits aus den 1960ern anzuhören. Die sind komplett fürs Senden auf Mittelwellenradio gemischt (und auch arrangiert). Das bedeutet, keine Bässe und hohe Höhen, extreme Stimmverständlichkeit durch Anhebung der Mitten, LUFS-Werte die gegen Null gehen, weil die Mittelwellensendetechnik (Amplitudenmodulation) ein möglichst konstantes Nutzsignal braucht. Wenn ein Toningenieur in den sechzigern einen Mix a la Trevor Horn abgeliefert hätte, hätte man ihn "ans Mischpult zurückgeprügelt".
Von Burt Bacharach gab es immer spezielle Radiosendeversionen seiner Produktionen, weil er für die Kauf-Vinyls im Prinzip HiEndmixes im Trevor-Horn-Stil gemacht hat.

Und Lieder müssen für die aktuelle Generation offenbar von Sekunde Eins bis zum Schluss dieselbe Akkordfolge haben, sonst sind die Menschen offenbar überfordert.
Dazu kann ich nur wiederholt mich selbst zitieren:

Ich habs zwar schon hundertmal geschrieben, aber es hat wohl noch nicht jeder verinnerlicht. Durch das DJ-tum hat sich die populäre Musik vom Song zum Track verändert. Eigenzitat von https://www.sequencer.de/synthesizer/threads/the-era-of-low-information-music.159363/#post-2235994

Ich denke er läuft einem großen Missverständnis auf. Die heutige Musiktradition kommt nicht aus der Welt komponierender Musiker, sondern aus der Welt der DJs. DJs loopten die Parts, die ihnen in irgendwelchen Platten besonders gut gefielen, und aus diesen Loop basierten Sachen wurden Hits. Beispiel Eric Prydz – Call On Me (basierend auf Steve Winwoods Valerie).

Und wer sich ein bisschen mit der Akkordik dieser tpischen DJ-Loops beschäftigt wird merken, dass das Bridges sind. Ein Klassiker ist für mich Saints & Sinners - Peace im Michael Woods Remix: G-Dur e-moll F_Dur G-Dur in ewiger Repetition; der Reiz daran ist, dass man unbewusst die ganze Zeit auf die akkordische Auflösung wartet (das C-Dur) - quasi wie Sex machen und den Höhepunkt unendlich rauszögern



Das ist natürlich etwas, das die dem klassischen Popsong verhafteten Menschen nicht für gut heißen können. Um bei meinem Abschlussbeispiel aus dem Zitat zu bleiben: Beatles-Songs sind wie Gedichte auf Blümchenpapier schreiben, und dann den Brief nicht an die Geliebte abschicken. Moderne Tracks sind wie stundenlang echten Sex haben.

Und dafür muss man halt beim Refrain den Beat weglassen. Das hat schon FGTH besungen: "...when you want to come."
 
Zuletzt bearbeitet:
Musik war früher eindeutig schlechter.

Warum? Weil das stark von der Argumentation abhängt und der Tellerrand scheint hier wohl Chartmusik zu sein.

Das konkrete Gegenbeispiel: Das Gedudel eines Atari 2600 ist einem SNES einfach völlig unterlegen. Mittlerweile geben Hardware samt Dauer- und Arbeitsspeicher auch stundenlange hochwertigste Samples her und man muss nicht mehr zwangsweise Melodien selbst synthetisieren. Manche Spiele kreieren sogar selbst aus einem Set vorgegebener Versatzstücke passend zum Spielgeschehen (mehr & weniger Action, Orts- bzw. Szenenwechsel) die Musik live und unmittelbar.
 
Was damit sicher auch einhergeht ist der technische Bereich: Wenn Du nur 16 Spuren hast musst Du schon genau überlegen, was Du tust. Man kommt durch die Limitierung besser 'auf den Punkt' und arbeitete focussierter.

Jenzz

Wobei natürlich Bohemian Rhapsody das Gegenteil ist von "Limitierung" und "auf den Punkt kommen". 16 Spuren, das werden die doch alleine schon für den Gesang gebraucht haben.*
:kaffee:

...andersrum wird halt irgendwie auch'n Schuh draus: angenommen, es etabliert sich eine Grenze von maximal 2 Minuten, innerhalb derer Dein Song auf den Punkt kommen und ein Alleinstellungsmerkmal entwickeln muss, das ihn abhebt von der Masse. Auch irgendwo eine sportliche Herausforderung. Steht glaubich nicht im Lehrplan der Berliner Schule.

*) Dieser Moment, wenn Du 24 Spuren zur Verfügung hast, und trotzdem meinst, noch bis in die achte Generation hinein bouncen zu müssen...
 
Zuletzt bearbeitet:
Es geht nicht um "besser" oder "schlechter".

Vergleicht doch mal objektiv und musikalisch die 60er, 70er, 80er, 90er, 00er usw. Schon ab Ende 80er/Anfang 90er kann man sehr deutlich eine "Reduzierung"/Simplifizierung des musikalischen Inhalts ausmachen. Das betrifft Techno genauso, wie Pop, Berliner Schule oder Filmmusik a la Hans Zimmer.

Geht auch nicht um komplexe Inhalte, die gibt es auch heute noch, aber da passiert dann sonst im Arrange wenig, das einen tollen Titel auch nach 100 mal Hören toll bleiben lässt - da nichts zu entdecken.

Konkrete Beispiele möchte ich ungern geben, aus folgendem Grund:
1) Möchte ich euch nicht in diesem Thema überzeugen, sondern für das Thema sensibilisieren. Eine Auseinandersetzung anregen.
2) Es betrifft viele von uns. Hobbymucker und auch Bekanntere, könnte als pers. Kritik gewertet werden, was nicht zielführend wäre.
3) Eine Konkretisierung idealisiert das eine, wertet das andere ab.
4) Es führt zwangsläufig zu rückwärtsgewandter "Früher war alles besser" Diskussion, dabei wäre ein "Mach's morgen besser als heute" richtiger.

Achtet mal auf die Musik der einzelnen Epochen, wie verspielt, mutig, groß, erzählend Musik bis in die 90er war. Das gibt es heute nicht mehr so. Hin und wieder mal Versuche, aber mehr schlecht als recht, unauthentisch, generisch
Du schreibst doch selbst "besser".

Wie verhält es sich denn nun mit deiner Musik aus der "früheren" Zeit, wenn du die mit heute vergleichst.

Ich denke bei Gelegenheit darüber nach.
 
Die heutige Musiktradition kommt nicht aus der Welt komponierender Musiker, sondern aus der Welt der DJs

Ironischerweise hat genau jene Musik in den 90s auch für DJs funktioniert. Da gab es viele erfolgreiche Titel, die nicht nur dafür gemacht wurden. Diese "DJ Regeln" kamen erst gegen mitte bis Ende der 90er
 
Jedoch war selbst das relativ aufwändig produziert
ja klar - in den 70ern und 80en gab es technisch durchaus beeindruckende Produktionen mit (zumindest in den 70ern) analogem Equipment. Vorhin wurde ja schon Abba erwähnt (und im Schlagerbereich findet sich da sicher auch noch mehr). Aber hier scheint es dem TE weniger um Produktionstechnik als um Arrangement bzw. "künstlerischem Gehalt" zu gehen ... ganz sicher, was gemeint ist, bin ich allerdings auch nicht - auch wenn ich vermute, dass man dazu neigt, Äpfel (Top-10 Hits des einen Jahrzehnts) mit Birnen (Top-10 Hits des anderen Jahrzehnts) zu vergleichen (obwohl es sowohl Äpfel als auch Birnen natürlich in allen Jahrzehnten gab, nur mal mehr und mal weniger unter dem Radar).

(EDIT: so many Tippfehler, mal wieder)
 
Wie schon einige Poster vorher angedeutet haben: Man darf nicht den Fehler machen, heutige Mainstream- und Chartmusik mit "Perlen" der 70er und 80er zu vergleichen. Damals waren viele Charterfolge auch eher einfach gestrickt, und nicht jeder hat 20 Minuten lange Progressive-Rock Stücke gehört. Komplexe Sachen (komplex hinsichtlich Komposition, Arrangement, Vortrag und ausgefeilten Produktionstechniken) gibt es auch heute zuhauf, allerdings findet man die nicht im Bierzelt, auf den Top-5 Spotify-Playlists und auf dem durchschittlichen Teenie-Smartphone. 🤷‍♂️

Das finde ich auch wichtig zu unterscheiden. Wer kennt denn heute noch die Songs, die in den 50er und 60er Jahren eher als nicht so toll galten und wenig gekauft wurden? Eben. Wir reden doch heute nur noch über die Stücke, die man auch heute noch kennt. Das viele weniger Gute von früher ist im Dunkel der Zeit verschwunden, existierte aber auch.

Manchmal findet man "günstige Compiler" mit Stücken aus den hinteren Platzierungen der Charts, z.B. aus den 1980er Jahren. Das hat häufig schon seine Gründe, warum man die Stücke nicht kennt.


Wo ich vorsichtig zustimmen würde, wäre die These, dass es musikalisch komplexere Musik in den 80ern noch etwas einfacher hatte, ein Charterfolg (bzw. ein finanzieller Erfolg) zu werden als heutzutage.

Hing aber auch von mehreren Faktoren ab. Tangerine Dream galt in Deutschland bei der Masse eher als schwierig vermittelbar und Jean-Michel Jarre sagte mal in einem Interview, dass "Oxygene" von Kunden zur Plattenfirma zurückgeschickt wurde, weil die Platte angeblich kaputt war, da man nur komisches Rauschen und Zischen hörte, aber keine Musik. Und das waren die angeblich so offenen 1970er Jahre.

Aber ja, immerhin war man in den 80er Jahren durchaus noch in der Lage, im Fernsehen einem alten Film aus den 1950er Jahren zu folgen, ohne gleich nach 5 Minuten "meine Güte, die reden ja die ganze Zeit, wo bleiben die Explosionen?" zu rufen. Das dürfte vielen der heutigen Jungend mit der medialen Überfrachtung durch TikTok und den schnellen Schnitten im Film sehr schwierig fallen. Einfach mal ruhig sein, zuhören... puh! Das solche Menschen dann auch schnell mit längeren Musikstücken oder komplexeren Arrangements überfordert sind, wundert mich nicht.
 
Bei uns lief das im ÖR Radio, aber erst am Abend ab 21.00 Uhr. Vieles kam hier auch im AFN.

teilweise konnte man halbe bis ganze alben - im stück und ohne gebabbel - beim HR mitschneiden. ich erinnere mich an phil collins, bronksi beat, mercyful fate, an steve reich und terry riley... hab ich alles noch auf cassette. :)
 
Moderne Tracks sind wie stundenlang echten Sex haben.
Das Beknackte ist, dass dieses permanent-nur-Loops-abdüdeln oder von-A-bis-Z-die-gleichen-vier-Akkorde-abspielen auch in der Popballadenlandschaft so zelebriert wird. Das lässt sich für mich keineswegs mit stimulierender Kopulation in Verbindung bringen, allerhöchstens mit superlahmer Penetration, die jegliche Ehepaare so anödet, dass man stattdessen doch lieber eine Runde Mau-Mau spielen möchte.
 
Seid Ihr alle altersgeil? Oder warum die ganzen Sexmetaphern!?

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Was noch nicht genannt wurde und zur Qualität beigetragen haben dürfte: Man hat sich mit den Genres (Jazzrock, Orchesterrock), Formen (zB Rockoper, Konzeptalbum, 20-Min.-Stück) und Instrumenten (besonders, aber nicht nur, E-Gitarre, Synth) auseinandergesetzt, mit viel Spieltrieb. Mitte der 90er war man damit 'durch' und begann die 'Zweitverwertung' und Vertiefung einzelner Zweige. Nicht unbedingt schlechter oder einfacher, siehe Drum and Bass, was ja wieder stilbildend war.
 
In älterer Musik gibt es mehr zu entdecken, neue ist schnell überhört.
In älterer Musik gabs neben der Stimme ne Handvoll Instrumente, die aufwendig und teuer aus Naturmaterialien hergestellt werden müssen, so dass sich der arme Komponist auf ein paar wenige Instrumente beschränkt. Heute haben wir das gesamte Universum des Klangs zu unserer Verfügung.

Kreativität ist endlich und braucht Mußezeit für seine Entfaltung, Zeit, von der wir heute allerdings immer mehr für die Abwägung mehrerer Optionen und die Auswahl aus immer mehr in allen Angelegenheiten des Lebens verschwenden, weil wir sonst das Gefühl haben etwas zu verpassen.

Daher sucht sich die Kreativität stets das weiteste und das am bequemsten verfügbare Feld, auf das sie sich fokussieren kann. Zwangsläufig lassen wir das von harmonischen Fallstricken gespickte Gebiet der Melodik, Harmonik, Motivik und Formgestaltung brachliegen. An Knöpfen u.a. Bedienfeldern zu fingern ist eben so schön bequem.

Auch die rechtliche Seite spielt mit da rein: Wer Melodien erfindet, begibt sich in ein urheberrechtliches Minenfeld. Dann lieber irgendwelche Plattitüden und nichtssagenden Texte klanglich variieren und in Effekte ersäufen, so ist man halbwegs sicher vor den Rechtsverdrehern der Musikindustrie.
 


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