Habe eben einen sehr guten Artikel zum Thema gefunden auf epd-Film (evangelischer Pressedienst Film - übrigens auch hier aus Frankfurt) :
www.epd-film.de
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VIDEOTHEKEN VS. VIDEO-ON-DEMAND
Die nackten Zahlen bestätigen das Sterben. Hatten zur Jahrhundertwende noch rund 4 500 Videoverleihgeschäfte ihre Türen geöffnet, so sind es in diesem Jahr exakt 601. Auch alle anderen Zahlen sind dramatisch zurückgegangen. Das Leihgeschäft mit physischen Datenträgern reduzierte sich von 359 Millionen Euro im Jahr 2002 (der Großteil waren damals noch VHS-Kassetten) auf 51 Millionen (Blu-ray und DVD) im Jahr 2018. Und: Besuchten 2013 noch 5,3 Millionen Menschen eine Videothek, so waren es 2018 nur 1,3 Millionen, im Jahr zuvor noch 2,3. Der IVD, der Interessenverband des Video- und Medienfachhandels in Deutschland, macht dafür vor allem die Piraterie verantwortlich – wer sich einen Film illegal im Netz angeschaut hat, wird ihn nicht mehr auf DVD oder Blu-ray ausleihen. Aber diese Argumentation basiert, wie übrigens auch im Kinobereich, auf Annahmen und hochgerechneten Zahlen. Nichts Genaues weiß man nicht.
Und die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Denn insgesamt haben sich nach einer Untersuchung der Marktforschungsgesellschaft GfK im Auftrag der Filmförderanstalt (FFA) die Umsätze auf dem Homevideo-Markt von 2000 bis 2018 mehr als verdoppelt – von 934 Millionen auf 2 Milliarden Euro. Und: In zwei Jahren, von 2017 bis 2018, konnten die abonnierten Streaminganbieter ihre Umsätze verdreifachen. Wobei auch das nur mit Vorsicht zu genießen ist – die Branchengrößen Netflix und Amazon gehen sparsam mit Zahlen um. Betreiber von sogenannten Erwachsenenvideotheken sagen, dass der Tod ihres Geschäftes mit der Verlegung von Breitbandkabeln begann. Seitdem muss niemand mehr hinter den Perlenvorhang oder in den Keller gehen, um Pornos, durchaus geschäftsträchtig in den Videotheken, in guter optischer Qualität zu bekommen. Und sicherlich spielt auch die im letzten Jahrzehnt um sich greifende Vom-Sofa-aus-online-bestellen-Mentalität beim Tod der Videotheken eine Rolle.
Es ist offensichtlich, dass Streamingdienste und Video-on-Demand-Angebote die Videotheken in ihrer Existenz bedrohen. Aber man darf sich da als filminteressierter Verbraucher nicht in die Tasche lügen: Filmgeschichte kommt bei den Onlineanbietern eher zufällig vor, wird nicht gepflegt. Vor ein paar Wochen machte die Nachricht die Runde, dass der »beste Film aller Zeiten«, »CITIZEN KANE«, auf keinem der in Deutschland erhältlichen Streamingportale oder V-o-D-Dienste zu finden ist. Man kann dieses Beispiel auch noch weiterspinnen: Auf der Liste der »100 besten Filme aller Zeiten«, die das American Film Institute (AFI) alle zehn Jahre durch eine Umfrage ermitteln lässt, sind momentan in den Top Ten: »CITIZEN KANE«, »DER PATE«, »CASABLANCA«, »RAGING BULL«, »SINGIN' IN THE RAIN«, »VOM WINDE VERWEHT«, »LAWRENCE VON ARABIEN«, »SCHINDLERS LISTE«, »VERTIGO« und »DER ZAUBERER VON OZ«. Und jetzt raten Sie mal, wie viele Sie davon auf Netflix finden? Keinen. Amazon hat einige, die meisten allerdings müssen Sie, auch wenn Sie Prime-Video-Abonnent sind, leihen oder kaufen. Was übrigens nicht billiger als der Gang in eine Videothek ist. Wobei Leihen bei Amazon bedeutet, dass Sie sich den Film 48 Stunden lang anschauen können. Und kaufen bedeutet noch lange nicht, dass Sie den Film auf ihre Festplatte laden können, er befindet sich dann in Ihrem Account kopiergeschützt auf dem Amazon-Server. Und wenn Sie Ihr Prime-Abo kündigen, das soll ja vorkommen – ist auch der Film futsch.
Die Frankfurter »
Video-City« führt alle zehn Top-Ten-Titel der AFI-Hitliste. Und alle auf DVD."
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MAGISCHE ORTE
Es gab eine Zeit, da hat man sich einen werdenden Regisseur eher hinter dem Tresen einer Videothek vorgestellt als in einem Kino, wo ja etwa die Protagonisten der Nouvelle Vague ihr Handwerk gelernt haben. Schuld daran war natürlich Quentin Tarantino, der viele Jahre im »Video Archives« in Manhattan Beach gearbeitet hat, zusammen mit einem weiteren späteren Regisseur, Roger Avary. Tarantino hat in Interviews oft betont, dass die Filme, die er dort gesehen hat, wenn gerade mal nichts los war, sein Wissen und seine Handschrift geprägt haben.
Tarantino ist bis heute kein Freund von Streamingdiensten. In einem Interview hat er gesagt: »In einer Videothek war das ganz anders. Du hast dich umgesehen, dir eine Filmhülle ausgesucht, dir den Klappentext durchgelesen. Du hast eine Wahl getroffen, und vielleicht hast du mit dem Typen hinter der Kasse gesprochen, und vielleicht hat er dir eine Empfehlung gegeben. Und er hat dir nicht einfach irgendwas in die Hand gedrückt, er hat dir den Film vorgestellt.«
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VIDEO UND KOLLEKTIVES GEDÄCHTNIS
Nein, die Videotheken bleiben auch für die nächsten Jahre unverzichtbar. Angesichts sinkender Nachfrage suchen sie auch nach neuen Modellen, um ihr Angebot aufrechtzuerhalten. Dem »
Video-Film-Shop« in der Kasseler Innenstadt, schon 1975 gegründet, drohte 2017 das Aus. Dann hat sich ein Verein gegründet und den Shop, der in eine Wohnung und eine Fahrschule hineingebaut wurde, übernommen. »Randfilm«, ein »Verein zur Förderung der abseitigen Film- und Kinokultur«, wie es programmatisch heißt, betreibt jetzt den Laden mit seinen 22 000 Filmtiteln in einer Mischung aus Videoverleihgeschäft, Museum und Veranstaltungsort, mit einem kleinen Vorführsaal. In dem kann man im Juni etwa den japanischen New-Wave-Film »A FUNERAL PARADE OF ROSES« (1969) sehen, der in diesen Tagen auf Scheibe herauskam. Die »
Filmgalerie Phase IV« in Dresden verfolgt ein ähnliches Konzept. Schon vor drei Jahren konnte das Überleben nur durch Crowdfunding gesichert werden, immerhin kamen 39 000 Euro zusammen. Auch in Dresden wurde ein Verein gegründet. 650 Mitglieder braucht der, sagt Sven Voigt, Gründer und Leiter der Filmgalerie, um die Videothek stabil betreiben zu können; die Zahl ist so gut wie erreicht. 120 Euro pro Jahr kostet die Mitgliedschaft – und alle Ausleihen sind kostenlos. Der Verein macht finanziell unabhängiger, sagt Voigt.
Zum Tod des Schauspielers Bruno Ganz präsentierte »Phase IV« seine berühmten Filme. Wichtig ist Voigt auch die lokale Vernetzung: Regisseursgespräche beim KurzFilmFest Dresden finden auch in der Filmgalerie statt. Die öffentliche Hand unterstützt Filmkultur und Filmgeschichte auf verschiedenste Art, durch Förderung von Filmarchiven und Filmmuseen, durch die Digitalisierung des deutschen Filmerbes. Die Bundesregierung hat gerade das »Zukunftsprogramm Kino« mit fünf Millionen Euro aufgelegt, das Kinos im ländlichen Raum mit bis zu 25 000 Euro unterstützt. Es wird Zeit, darüber nachzudenken, ob die öffentliche Hand nicht auch die Videotheken unter ihre Fittiche nehmen sollte. Die hessische Filmförderung hat den Kasseler »Film-Shop« schon gefördert, zumindest projektbezogen. Nirgendwo ist so viel Filmgeschichte so nah am Endverbraucher wie in den Videotheken. Das sind Orte der Cinephilie. Rettet sie."