Was wäre W.Carlos ohne Bach gewesen? Bach's Kontrapunktik, seine Kunst der Fuge, des Trugschlusses und der "fliessende" Charakter seiner Musik ist ideal mit beliebigen Instrumenten umzusetzen. Dynamik und Klangfarbe sind nur von untergeordneter Bedeutung. Es zählt vor allem die Harmonik - und die ist ausgeführt in Perfektion. Bei der Musik von Bach ist es im Grunde fast egal, auf welchen Instrumenten man sie zum Hören bringt. Die musikalische Sprache ändert sich dadurch nicht, weil es nur auf die Tonhöhen und deren Zusammenklingen ankommt. In der Harmonik liegt die ganze Magie. An Switched on Bach gefällt mir im Grunde lediglich, dass man die Einzeltöne sehr sauber getrennt hören kann und deswegen die Kunst von Bach deutlicher erfassen kann, als bei einer Bearbeitung mit Klangfarben, die weniger differenziert erfahrbar sind. Aber sonst? Weder empfinde ich die Klänge sonderlich originell noch haben sie etwas zeitloses. Vielmehr - und da muss ich Moogulator Recht geben - gehen sie einem ziemlich schnell auf den Sack. Es fehlt eben die Seele, die Töne reihen sich aneinander in fast völliger Gleichförmigkeit.
Ganz anders die Bearbeitungen von Tomita. Da ist Seele drin. Viel mehr Mut zum Experiment. Eine Dynamik, die fast einem richtigen Orchester gleichkommt. Der Synthesizer wurde von Tomita für das eingesetzt, was den Synthesizer von anderen Instrumenten abhebt - nämlich die Möglichkeit, beinahe beliebige Klangfarben zu erzeugen. Mit Notenkenntnis ist es sicherlich deutlich leichter, ein Brandenburgisches Konzert auf dem Synthesizer zu bearbeiten als eben zum Beispiel Mussorgski. Bei Bach kann es nicht so leicht lächerlich klingen, weil die Musik vom Klang losgelöst funktioniert. Bei Mussorgski/Ravel ist das anders. Ich habe mal vor vielen, vielen Jahren den dritten Satz des dritten Brandenburgischen Konzerts per Step By Step Eingabe in einen Musikcomputer eingegeben und die Stimmen über ein FB-01 Tonmodul abgespielt. Selbst das klang gut, weil die Musik einfach auf beliebigen Instrumenten funktioniert.
Ich denke mal, W. Carlos hatte vor allem Glück, zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein und genug Geld für ein Moog System zu haben. Tomita hingegen hat schon lange vor seinen Synthesizer Bearbeitungen Musik für Orchester geschrieben. Das hört man seinen Bearbeitungen an. Orchestrierung ist für Tomita kein Fremdwort gewesen, als er zum Synthesizer griff. Er tat das aus rein wirtschaftlichen Gründen. Als Komponist war er nicht sonderlich erfolgreich. Also hat er überlegt, wie er seine Situation verbessern kann. Leider wurde er erst danach wahrgenommen und für das, was er vorher gemacht hat, hat sich kaum jemand interessiert. Peinlich finde ich an Tomita nur sein Spätwerk, dass vermutlich als Zugehen auf die Plattenfirmen zu werten ist. Sein Denkmal hatte er sich da längst verpasst. Die Firebird Suite, Die Nacht auf dem kahlen Berge, die Bilder einer Ausstellung - seine Virtuosität auf dem Moog Synthesizer wurde nie mehr von irgendjemanden getoppt.
Wenn das, was Tomita gemacht hat mit dem Adjektiv "Schwul" belegt wird, wäre ich auch gerne schwul