Dass der Synth-Markt sich beruhigt, wenn der letzte Boomer sich einen seiner Kindheitswünsche bei Korg, Yamaha, Roland oder halt Behringer erfüllt hat - damit wird der Kraken Recht haben.
Genau betrachtet liegt der Synthmarkt als solches doch schon in den letzten Zügen einer Verlängerung.
Zunächst (ab ~2010) kam er im Zuge des Analogbooms, angeführt von DSI, zu einem kreativen Hoch, das zahlenmässig eher den vorhandenen Markt abgraste, dabei aber den klassichen virtuell-analogen tötete (oder eher im Vorbeigehen aushungern liess) und gleichzeitig von der Stagnation bei den Workstations (ab Kronos) profitierte, weshalb sich die Leute lieber um ihre "zweite Ebene" kümmerten. Was als "Gadget" auf diesen Markt plumpste, musste sich erst mal behaupten, durfte dabei nicht zu viel kosten (OP1 für 799.- neu) und fand sich mehrheitlich in Nischen wieder.
Dann folgte (ab ~2016) mit dem Minilogue und den Moog Mother-Systemen die nächste Welle, wo es plötzlich bezahlbar und kreativ(er) wurde, m.E. auch als Antwort auf den immer zugänglicheren Softwaremarkt. Hier hat sich der Markt vermutlich erstmals wirklich erweitert, wenn auch im Rahmen des üblichen Wachstums.
Und dann kam Corona – alle Leute zuhause, neue Erfahrungen kaufen ist nicht, gleichzeitig versinkt alles in Nostalgie und die Wirtschaft will angekurbelt werden... das war alles derartige Fügung, das hättest du dir nicht mal kaufen können. Wäre es 2020 einfach weiter gegangen wie bisher, hätte sich der Markt wohl da schon irgendwann gesättigt.
Stattdessen hatten viele Geld zum verbrennen, Zeit en masse um
sich mit den neuen Sachen zu beschäftigen Thomann abzuscrollen, eine morgen-ist-nix-mehr - Attitüde und Stimuluschecks bei gleichzeitig unverhältnismässig tiefen Lebenskosten. Das gab dem ganzen nochmal einen gewaltigen Schub. Auf Reddit sah man alle zwei Tage eine neue "Battlestation", die theoretisch gestern vom Laster gefallen sein könnte, und alle Nase lang kam ein neuer User an, der "mit dem Hobby angefangen hat" – und sich zu Beginn gleich einen M1-Mac (die kamen da nämlich auch noch), zwei dicke Hardwaresynths, einen Custom-Studiodesk, Monitore inklusive Stativen, zwei Elektrons und das halbe Behringer-Portfolio ins Schlafzimmer packte. Das gab es zuvor nie und auch danach nicht mehr. Dass Sequential hier und nirgends sonst den Prophet-5 vorstellte, steht prototypisch für diese Zeit, der hätte 2019 nie so eingeschlagen – wenngleich er vor allem bei denen zündete, die mal vorher schon einen Synthesizer gesehen oder unter den Fingern hatten – und die, statt von Kleinvieh beeindruckt und/oder der Behringer-Flut überwältigt zu sein, lieber das längst vorhandene Equipment bespielten – und sich mit dem Prophet 5 dann halt für einmal "was gönnen" wollten.
Was wir jetzt sehen ist vor allem das Fallout davon. Die Industrie denkt und plant langfristig, gleichzeitig sind gerade in den letzten beiden Jahren die Fixkosten wieder maximal in die Höhe geschossen. Was noch übrig ist von 2020, sind eine Handvoll Autisten und/oder Introverts, die den Kaufrausch nicht mehr stoppen können, als auch die im Lockdown erworbene, insgesamt zahlkräftige Masse, die mit einem überlegten Kauf da und dort das gröbste abfängt. Aber die Fraktion, die bei einer Neuanschaffung und nach Konsum der ersten Influenzawelle pavlovesk das Knöpfen drückt – die wartet jetzt, bis der Gerät nicht mehr ihren Wocheneinkauf bedroht.
Der Gaia 2 ist da fast schon Präzedenzfall. Dieser Synth war nie Portokasse, wäre es selbst 2020 anlässlich der Konkurrenz (Behringer-Flut) kaum gewesen, gleichzeitig drückt er die Knöpfe des "haben wollen weil neu" ziemlich gut. Aber er kam drei Jahre zu spät – und nicht mit einem Mythos im Schlepptau, der über "den nehm ich mal mit" - Faktor herausging. Wäre die Zielgruppe von Teenage Engineering nicht derart verstrahlt, würde dasselbe Schicksal wohl auch den OP-XY treffen, während der Field damals zum perfekten Zeitpunkt kam und, nicht unähnlich des ersten Digitakts, einen ganzen Markt mitnahm, den es vorher einfach nicht gegeben hat, und der sich – ebenfalls wichtig – eingesperrt zuhause befand und sich bspw. im "Mitnahme"-Faktor des Fields (unterbewusst) seine stellvertretende Befreiung von der Isolation erkaufte. Und ich weiss wovon ich rede, ich hab mir einen Microkorg mit Lautsprechern in die Quarantäne bestellt.
Wenn mich überhaupt etwas daran erstaunt ist es, wie lange diese Verlängerung andauert. Alleine im letzten Quartal kamen mit Ableton Move, Polyend Synth, OP-XY und dem Tame Impala - Ding vier Geräte heraus, deren Zielgruppe (bzw. der marktrelevante Anteil) schon längst von der Inflation aufgefressen worden sein müsste. Aber offenbar reicht es dank Mythos und trotz Mondpreisen (welche dann gleichzeitig die weggefallene Masse nivellieren) immer noch – während bei Behringer die immer weiter herausgeschobene Welle der Tastatursynths vielleicht der erste "Watershed"-Moment sein könnte, wenn sie denn endlich mal kommt. Weil die brauchen dann auch wieder Platz daheim.
Was der Kraken bei dieser völlig richtigen Beobachtung m.E. falsch interpretiert, ist die Trennung von jung und alt. Ich würde eher zwischen arm und reich(er), vielleicht noch zwischen praxisorientiert und Hobby trennen – und sehe die allermeiste Hardware infolgedessen irgendwo zwischen Warframe-Figuren und 6000€-Gravelbikes. Deren Käuferschaft ist auch nicht so heterogen abseits der Tatsache, dass sie offenbar bereit ist, dafür Geld auszugeben. Denn Mucke machen kannste auch mitm Laptop und von a nach b kommst du mit dem Citybike vom Flohmarkt auch. Willst du aber vielleicht nicht.
Dass der Kraken unabhängig davon latent zum Fantasieren neigt und regelmässig irgendwas zum heiligen Gral, zur grossen Ausnahme ernennt (MPC-Diskussion anyone?) und gleichzeitig noch nie einen statistischen Beleg für diese selektive Begeisterung vorgelegt hat, ist nochmal ne ganz andere Sache.