Privatbesuch beim 'Studio für elektronische Musik' in Köln

Danke schon mal für die Fotos und die kurzen Berichte.

Scheint ja sehr interessant und ein gewaltiger Ansturm von Eindrücken und Informationen gewesen zu sein.
 
Die Zukunft der elektroakustischen Apparaturen in der Musik

(Zusammenfassung eines Vortrages auf der 9. Tonmeistertagung im WDR Köln am 26. Oktober 1972; erschienen im Tagungsbericht sowie in überarbeiteter und erweiterter Fassung in >Musik und Bildung<, Heft 7/8, 6. Jg. 1974)

daraus Abschnitt:

Weiterentwicklung

Man muß bei allem, was man heute tut, immer bedenken, daß es morgen anders sein wird.
1955 realisierte ich die erste mehrkanalige Komposition (GESANG DER JÜNGLINGE für 5 Lautsprechergruppen im Kreis). für Sendungen und die erste Schallplatte mußte ich eine Monofassung machen, ca. 6 Jahre später eine Stereo-Fassung, und jetzt, ca. 17 Jahre später, hat man mich darauf angesprochen, demnächst eine 4-kanalige Schallplatte des Werkes zu machen.
Fast alle Werke, auch instrumentale und vokale, habe ich aus funktionellen Gründen seit 1955 4-kanalig aufgenommen bzw. im Studio produziert (GRUPPEN, CARRE, KONTAKTE, MIKROPHONIE I, MIKROPHONIE II, HYMNEN, usw.). Man kann ungefähr voraussehen, daß in ca. 10 Jahren 4-kanalig und in ca. 30 Jahren 8-kanalig gesendet und gehört wird und daß das Fernsehen bis dahin dreidimensional plastisch und auf die Größe des Augenblickfeldes vergrößert wird.
Musikhören wird also dann so möglich sein, daß man - wie in der Natur im freien - eine akustische Landschaft rundherum und überall über sich hat - auch unter sich, wenn man den Sitz im Musikzimmer auf einer erhöhten Plattform in der Mitte einnimmt -, solange man 8 Lautsprecher in einer Kubusanordnung um sich herum hat. Man kann auch absehen, daß Übertragungen stattfinden, bei denen alle akustischen und optischen Informationen gleich gut übertragen werden und bei denen es keine Lautsprecher mehr gibt.

Wo werden elektroakustische Apparaturen verwendet?
1. Direktübertragung
2. Studioaufnahme und spätere Wiedergabe (Sendung, Schallplatte)
3.Nachsteuerung, Filterung bzw. Veränderung der Klangfarben, Verhallung, Schneidetechnik)
4. Elektroakustische Erzeugung bzw. tiefgreifende Transformation, Modulation des Klangmaterials und elektroakustische Zusammensetzung der Klangstrukturen.

Ich stelle jetzt die Hypothese auf, daß - selbst bei einer vollkommenen Übertragung der akustischen und optischen Wellen einer Aufführung - für die künstlerische Kommunikation wesentliche Schwingungen nicht berücksichtigt werden.
Wichtigste Bedingungen für die spezifische 'erregende', 'ergreifende', 'bewegende', 'inspirierende' Atmosphäre, die durch die Gegenwart und nur durch die Gegenwart eines intuitiv musizierenden Künstlers erzeugt wird, sind Schwingungen, die zwar beim Musizieren entstehen, die aber von anderer Natur als akustische und optische Wellen sind. Das, was man die Aura des Musikers oder einer Gruppe von Künstlern nennt, ist hier gemeint. Die Wellen, die jede Person ausstrahlt und die wir spüren, wenn eine Person im Raum ist, auch wenn wir akustisch und optisch nichts wahrnehmen können, sind im Zustand äußerster musikalischer Konzentration bei besonders medial begabten Künstlern von unerhörter Energie und Ausstrahlungskraft.
Man hat diese Schwingungen bisher völlig außer acht gelassen, obwohl instinktiv jeder irgendwie weiß, daß die Teilnahme an einer Live-Aufführung inspirierter Künstler bisher durch keine Übertragung - ob direkt oder verzögert - zu ersetzen ist. Die Tatsache, daß sich Elektronische Musik zum Beispiel, die in Tausenden von Lautsprechervorführungen mit Publikum ausprobiert wurde, von der bandgespeicherten immer mehr zur live-elektronischen Musik entwickelt, obwohl diese zunächst wieder technisch primitiver ist als die im Studio produzierte Elektronische Musik, sollte sehr zu denken geben. Es hat nicht nur etwas damit zu tun, daß man bei Live-Aufführungen die Musiker sieht und bei Tonbandvorführungen nicht. Sondern es handelt sich darum, daß die gesamte musikalische Übertragungstechnik bisher wesentlichste Schwingungen außer acht gelassen hat, die für Musik maßgeblich sind.
Ich möchte hier Forderungen aufstellen, die für eine Übertragung von Musik notwendig wären:
1. Erforschung derjenigen musikalischen Wellen, die bisher unberücksichtigt blieben mit dem Ziel, vollkommene Übertragungen aller Schwingungen zu erreichen, die beim Spielen von Musik von den Musikern ausgehen.
2. Reduzierung auf ein Mindestmaß aller zeitverschobenen Musikwiedergabe.

Das Bewußtsein, eine Direktübertragung zu hören, verändert das Hören völlig im Vergleich mit dem Bewußtsein, eine Tonbandwiedergabe zu hören.
Also möglichst Live-Übertragungen.
Nur dann sollten - in Studiotechnik hergestellte oder manipulierte - Klangmontagen wiedergegeben werden, wenn sie ganz wesentliche Erlebnisse vermitteln, die die körperlich-physischen Möglichkeiten übersteigen ( d. h. alles das, was ein Musiker direkt machen könnte). Aber auch solche Ereignisse sollten möglichst mit einer Live-Aufführung verbunden sein.
Es gibt einen ganz wesentlichen Wahrheitsgehalt von Musik, der im Hier und Jetzt besteht, sofern Musik geschaffen und nicht mechanisch reproduziert wird; immer dann also, wenn ein Musiker inspiriert musiziert und eine einmalige Qualität einer Aufführung vermittelt; wenn also ein Musiker durch 'wiedergegebene' oder auch im Moment der Aufführung erschaffene Musik Schwingungen erzeugt, die seine psychische 'Spannung', seine 'Ergriffenheit', seine intuitive Konzentration spüren lassen.
Man muß sich darüber im klaren sein, daß auch unter den begabtesten Musikern wieder nur wenige sind, die oft und anhaltend die Fähigkeit zu vollkommener Inspiriertheit haben - die also von Natur aus begnadete Medien sind (wie z. B. Mozart). Wesentlich ist aber, daß man im Erlebnis von Musik die Begegnung mit solchen starken 'Antennen' und 'Sendern' der menschlichen Gesellschaft als das entscheidende Ereignis erkennt, das über alle 'Unterhaltung', über allen virtuosen Zirkus, über alle intellektuelle Spielerei weit hinaus geht und die Künstler nicht nur als 'frühes Warnsystem' für das, was bereits da ist, aber von den meisten noch nicht erkannt wird, sondern auch als Seismographen für Zukunft und Transzendentales benutzt.
Außerordentliche Musiker sind beispielsweise zu bestimmten Zeitpunkten in der Lage gewesen, kommendes Unheil oder erschütternde Ereignisse (wie einen Tod oder glückliche Ereignisse) in der Interpretation eines Werkes, das die anwesenden Hörer schon vorher gehört hatten, deutlich anzukündigen.

Was brauchen wir?

1. EINHEITLICHE STEUERUNG DER RAUMPROJEKTION mit zunächst 8 Lautsprechern: Rotation plus kontinuierliche Veränderung der Rotationsebenen.
Dazu jederzeit anwählbar bestimmte vorgeplante Bewegungsmuster, deren Geschwindigkeit kontinuierlich regelbar ist:
Kreis-Rotation, Schleifen, Spiralen, Entfernungen in bestimmte Richtungen und Annäherungen; alternierende Bewegungen; geometrische Raumaufteilungen (dreieckige, vier-, fünf-, sechseckige usw. Konstellationen).

2. BESCHLEUNIGUNGSAPPARATUR, die es erlaubt, irgendeine gespielte Klangfolge über Mikrophon oder rein elektrisch zu speichern, periodisch zu wiederholen ( >Sequenzer< ) und als solche bis zu 100000fach zu beschleunigen (daß also z. B. eine Sequenz, die 100 Sekunden lang ist, periodisch wiederholt und 100000fach beschleunigt einen 1000-Hz- Ton gibt). Entsprechend gilt das Umgekehrte: daß man einen beliebigen Klang, den man spielt, bis zu 100000 mal langsamer spielen - spreizen - kann. Es versteht sich, daß dabei keinerlei Frequenztranspositionen stattfinden sollen und daß die Beschleunigung bzw. Verlangsamung kontinuierlich regulierbar sein muß.

3. Kontinuierlich regulierbare OPTISCHE METRONOME für jeden Spieler einer Gruppe zur gegenseitigen Synchronisation.

4. ZWEIMANNINSTRUMENTE, die auf die natürlichen Körpermaße von Spielern abgestimmt sind in der Verteilung von verschiedenen Funktionen auf Hände und Füße:

Spieler I
a) 8-Oktaven-Tastatur für polyphones Tonhöhenspiel. Die 'Oktave' (= 12 Tasten) muß auf ein beliebiges anderes Intervall eingestellt werden können.
Über der Tastatur Schalttafel für Generatoren und mehrere Eingangsquellen, für Filter, Modulatoren, Sequenzer.
b) Großes Fußpedal für Lautstärke mit ca. 60 dB Umfang.
c) Großes Fußpedal für kontinuierliches Bandfilter über den ganzen Hörbereich (mit zusätzlicher Links-Rechts-Bewegung für die Änderung der Filter-Bandbreite ).

Spieler II
a) Instrument für Raumprojektionen mit Steuergerät für Richtung und Ort des Klanges von I.
Über dem Steuergerät Schalttafel für die Wahl von vorprogrammierten Bewegungsmustern.
b) Fußpedal für die Geschwindigkeit des bewegten Klanges.
c) Fußpedal für dynamische Nachsteuerung der räumlichen Bewegung.

5. AUFFÜHRUNGSBEDINGUNGEN, bei denen diejenigen Musiker, die die räumliche Bewegung steuern, im akustischen Mittelfeld eines Saales sitzen können; das heißt also, daß in der Mitte jedes Saales Anschlüsse vom Podium und zu den Lautsprechern sowie Netzanschlüsse liegen müssen. Ferner sollten keine Balkone mehr gebaut werden und Lautsprecher rings um die Hörer in genügender Tiefe (ca. 3 bis 4 Meter unterhalb der Fläche des Publikums mit seitlichem 'Graben' bzw. überhaupt unter einer schalldurchlässigen Publikumsfläche) und in genügender Höhe (wenigstens 5 Meter oberhalb der Hörer, nach Möglichkeit jedoch in mehreren Ringen) angebracht werden.

Karlheinz Stockhausen - Texte zur Musik, 1970-1977, Band 4, Seite 432-436
 
Elektronische-musik-koeln.jpg


Jetzt gehts. Es fehlte ein Unterordner. Danke!
 
Was ich noch sagen wollte, bevor es vielleicht jemand missversteht:

Der gezeigte Raum ist nicht das Studio, in dem seinerzeit tatsächlich gearbeitet wurde. Es ist nur ein Provisorium in einem Kellerraum, in dem man (bzw. Volker Müller) die Equipment-Bestände aus fünf Jahrzehnten zusammengetragen hat.

Gruß,
Markus
 
Ein bisschen nervöse, aber sehr interessante Videos.

Herr Müller wird sich sicher heute fragen, wer sein einzigartiges Synthi 100 Patch verstellt hat. ;-)
 
Es war alles erlaubt. Es wurde ja kein Soundgebastel gemacht für eine Komposition. Beim nächsten Mal müssen wir noch das permanente Glissando nachholen in der Praxis.

Es fehlt leider die coole Old-School-Ecke. Da hab ich dafür Fotos. Die kommen noch.
 
Das Gerät mit den 4 Joysticks würde mich noch näher interessieren. (Stand rechts vom Synthi 100)

Und wegen interessanten Geräten sage ich bloss: Abstimmbarer Anzeigeverstärker. :?: :!: :?: :!:
 
Korrekt. Das ist ein schöner Begriff. So wie "hausinterne Mitteilung".
Das Ding mit den Joysticks ist der EMS Controller für die Verteilung der Position. Davon gibt es nicht viele!

Hab das Zeugs alles fotografiert. Kommt also auch noch. Ansonsten erstmal Jans Sammlung bewundern. Da ist auch schon viel viel zu sehen. Der Drehtisch hinten ist auch noch da.
http://www.flickr.com/photos/jczmok/set ... 800940871/
 
Moogulator schrieb:
Hab das Zeugs alles fotografiert. Kommt also auch noch. Ansonsten erstmal Jans Sammlung bewundern. Da ist auch schon viel viel zu sehen. Der Drehtisch hinten ist auch noch da.
http://www.flickr.com/photos/jczmok/set ... 800940871/

Aha, habe da wohl ein paar Fotos von Jan übersehen. Habe es jetzt gefunden.

Anna Lüse schrieb:
and quadrature VCO control.[/url]

Ganz Lecker.

Eine gute Idee für ein Patch im G2.

http://www.flickr.com/photos/jczmok/2609377238/in/set-72157605800940871/
 
Von Wiard gibts auch ein schönes Joystick Controller Modul, ist aber nicht ganz dasselbe. Man vergesse die Musik dabei nicht.
 
Die Domain "technische-hausmitteilungen.de" ist bereits registriert.
 
Was haltet ihr dann von V73 Kommando Leistungsverstärker?

Achja, ich lade grade superviele Bilder hoch, sie werden in Kürze erscheinen im gleichen Beitrag wie die Videos. Alle kommentierbar dann.
 
Die alten Röhrenverstärkerteile von Telefunken sind heute extrem gesucht und teuer - aus klanglichen Gründen.
Wenn das so einige HiFi-Freaks wüssten, was da in Köln noch so rumsteht. ;-)

Gruß,
Markus
 
Von denen habe ich auch noch zwei oder drei hier rumstehen.

Was ich aber suche, sind (möglichst günstig) die originalen Röhrenverstärkereinschübe für die Telefunken M10. Denn ich habe leider nur die Transistorversion.
Das ist popelig und peinlich. Traue mich deswegen kaum noch auf die Straße. 8)

Gruß,
Markus
 
Das sind vielleicht Dinger. Interessant dabei ist, dass sie allesamt relativ wenig Leistung haben. Es reicht dennoch. Im Studio erzählte man uns auch, dass man wirklich optimiert hatte für sowas wie Zimmerlautstärke. Die hatten da einen herrlichen Anzeigemechanismus (siehe Fotos).

Bandmaschinen standen da von der feinsten Sorte. Verstärker garnicht mal sooo viele. Eher nicht soo alte Dinger. Die kleine Ecke hinten (mit dem Rotationstisch) ist historisch natürlich besonders interessant. Sehr minimal.

Ist auch auf den Fotos zu sehen (offen), mit Box oben drüber.
 


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