Klangwechsel an der John-Cage-Orgel in Halberstadt

Ich teile diese Kritik nicht unbedingt, finde den Aspekt aber interessant und bedenkenswert.
+1


@Horn
Ich Frage mich gerade, was die Spielanweisung denn eigentlich genau bedeutet. Dann erübrigt sich das vielleicht mit dem politisieren/ironisieren/überhöhen/dramatisieren/interpretieren und der Kritik daran.
Die Interpreten halten sich ja an die Komposition. Und das Tempo scheint frei zu sein, solange es "möglichst" langsam ist.

Wenn ich mich genauer damit beschäftige was es denn bedeutet die Spielanweisung "So xxx wie möglich" vorzuschreiben:

Diese Anweisung ist an den Organisten gerichtet und verweist auf die Grenzen des menschlich Machbaren. Riskant, bei einem Instrument, dessen Tonerzeugung (Luftstrom) heute elektrisch betrieben wird. Dass sich der Spieler dann nur mit dem Tonwechsel beschäftigt (Nur Taste drücken, nicht mal Register umstellen), ist damit ins Stück eingeschrieben. Eine außermusikhafte menschliche Emotion beim Spielen oder Hören wurde durch die erwünschte größtmögliche Langsamkeit ja rausgeschrieben – was auch Sinn ergibt: Es gibt kein Musikinstrument, das mehr auf dem Kerbholz hat, als die Orgel (Kirche, Glaube, Macht, Mißbrauch etc). Hätte er es für Flöte(n) geschrieben sähe die Sache anders aus. Alles, was diese Spielanweisung dem Interpreten als Spielraum übrig lässt, ist die Entscheidungsfindung für die relativen Tonlängen.

Bei so viel "Bevormundung" ist die Formulierung "So ... wie möglich" entweder ein Hohn, eine Herausfoderung oder ein Hinweis auf "Unspielbarkeit". Womit sich Cage (möglicherweise) ein Eigentor schießt: Hohn und Herausfoderung landen automatisch in außermusikalischem Terrain – genauso, wie das Einnehmen jeder anderen Geisteshaltung gegenüber der Formulierung "...wie möglich". Und eine Unspielbarkeit macht Musik als phsysikalisches Ereignis unmöglich. Man hat förmlich den Eindruck, er schließt es formal mit ein, dass seine Spielanweisung belächelt, absichtlich überhöht, missverstanden oder als "unspielbar" gelesen wird. Eine mögliche Übertreibung oder Belustigung bei der Interpretation ist also ebenfalls ins Stück eingeschrieben – weil er es nicht ausschließt. Cage braucht sich also nicht wundern, falls er sich 2000 im Grabe rumgedreht hat – sowohl, wenn man diese Spielanweisung ernst nimmt UND wenn man sie nicht ernst nimmt.

Hat er sich nicht umgedreht (im Grab) könnte er denken: "Diese 600 Jahre Spielzeit oszillieren so indifferent zwischen Gag, Provokation und Politisierung, dass sich nur Narren wie die Typen in Halberstadt oder kernelkid länger damit beschäftigen. Der Kluge lässt die Musik von ORGAN²/ASLSP einfach nur eine Komposition sein, die man besser nicht spielt - schon gar nicht in Kirchen." Ich war jetzt lange genug ein Narr in diesem Thread. Und bin dann raus. :)
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Kritik in dem leider nicht mehr verfügbaren Beitrag bestand sinngemäß darin, dass John Cages Musik eben nichts beabsichtigt, außer Musik zu sein. Sein lebenslanger künstlerischer Versuch bestand darin, Töne von jeder außermusikalischen Aussage, ja sogar von Bedingungen wie "Schönheit" oder "Geschmack des Komponisten" zu befreien. "Und wenn ihr meint, das wäre keine Musik, dann nennt es irgendwie anders." Die Politisierung dieser Musik ist aus Sicht des dort zitierten Cage-Interpreten und Experten "genau das, was Cage nicht wollte". Durch das Projekt in Halberstadt wird also gewissermaßen absolute Musik in Programmmusik umgedeutet.

Ich teile diese Kritik nicht unbedingt, finde den Aspekt aber interessant und bedenkenswert.

Kunst ist nie Unpolitisch.
 
Kunst ist nie Unpolitisch.
Das erinnert mich an den Kunstuntericht zu DDR Zeiten.

Da hieß es dann immer: "Was dachte sich der Künstler dabei und was wollte er uns damit sagen?"
Die Antwort musste dann politisch korrekt den Sprech der Parteilinie wiedergeben.

Und ich fragte mich selbst dann immer, woher die das wissen wollen, was der der Künstler sich dabei gedacht hat.
Vielleicht wollte er einfach nur was malen und er hat sich gar nix dabei gedacht, außer es beim malen einfach laufen zu lassen.

Zumindest als Kind dachte ich so, wenn ich selbst gemalt hab.
Bzw dachte ich gar nicht - ich hab einfach angefangen zu malen und der Rest ergab sich.
 
Ich komme nicht daran vorbei, dass mich das ganze an Farbwechsel am 3D-Drucker erinnert.

Zum Stück. Mag sein, dass es in dieser Geschwindigkeit nicht im Sinne Cages ist (fragen kann man ihn ja leider schon lange nicht mehr). Na und? Dann ist es eben eine Coverversion. Ich werde trotzdem nicht nach Halberstadt fahren. Nicht, weil ich die Idee nicht gut fände oder mich das Projekt nicht interessierte. Ich höre Musikstücke nur einfach lieber im Ganzen. Egal ob Rocksongs oder dreistündige Symphonien. Und leider habe ich gerade keine sechshundert Jahre Zeit, muss mir die Haare waschen.
 
Wie hat Cage denn selbst sein Stück gespielt?
Oder hat er das selbst nie aufgeführt und nur die Noten veröffentlicht?
 
Wie hat Cage denn selbst sein Stück gespielt?
Oder hat er das selbst nie aufgeführt und nur die Noten veröffentlicht?
Cage selbst hat das natürlich nicht gespielt:

"ORGAN²/ASLSP ist ein Musikstück für Orgel von John Cage aus dem Jahr 1987. Die Abkürzung ASLSP steht für as slow as possible und ist die Anweisung, die vierseitige Partitur so langsam wie möglich zu spielen. Bei der Uraufführung am 21. November 1987 in Metz spielte der Organist Gerd Zacher das Orgelstück in einer Länge von etwas über 29 Minuten."
(Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/ORGAN²/ASLSP)
 
Aloha .-)

Neben John Cage gibt es ja noch andere, die auch mit -nennen wir es mal 'weit interpretierbaren'- Spielanweisungen gearbeitet haben.

LaMonte Young z.B. mit seiner 'Composition 1960 '#7:

1960-7.jpg

Mitforist @Stan Pete wird sich erninnern, wie wir das in Bielefeld mehrmals mit einigen Leuten aufgeführt haben. Wir haben immer so zweieinhalb bis drei Stunden 'geschaft'...

Jenzz
 
Aloha .-)

Neben John Cage gibt es ja noch andere, die auch mit -nennen wir es mal 'weit interpretierbaren'- Spielanweisungen gearbeitet haben.

LaMonte Young z.B. mit seiner 'Composition 1960 '#7:

Anhang anzeigen 204680

Mitforist @Stan Pete wird sich erninnern, wie wir das in Bielefeld mehrmals mit einigen Leuten aufgeführt haben. Wir haben immer so zweieinhalb bis drei Stunden 'geschaft'...

Jenzz
Nicht übel - die hier haben schon eher aufgehört:
 
Moin :cool:

Ich glaube, der eigentliche Verdienst dieser 'abseitigen' Stücke ist doch, dass sie eine wie auch immer geartete Diskussion anregen. Ist ja auch hier im Forum so, man/frau spricht darüber, tauscht sich aus.... Egal, ob man die Stücke nun als ernsthaft oder eher humoristisch oder wie auch immer sieht. Es bringt letztlich Menschen zusammen.

Jenzz
 


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