Um noch mal auf die anfängliche Diskussion zurückzukommen:
Der Artikel aus der Süddeutschen geht ja im Prinzip zurück auf diesen Artikel aus der Washington Post:
https://www.washingtonpost.com/grap...f-the-electric-guitar/?utm_term=.e9d81c5a30fe
Über den bin ich im Sommer gestolpert, weil sich ein Gitarrist, den ich aus Nashville kenne, auf Facebook tierisch darüber aufregte. Zu recht, wie ich nach der Lektüre zugeben musste. Denn zum einen macht es wenig Sinn, die Zahlen von Fender, Gibson und der Kette Guitar Center (die in den USA ungefähr den Ruf eines Ramschladens hat, was nicht nur an den unterbezahlten Mitarbeitern und dem schlechten Service liegt) für einzig repräsentativ zu erachten. Zum anderen handelt es sich bei dem Artikel um nichts weiter als das Raunen eines offensichtlich verbitterten Altherrenvereins, getreu der Maxime: Früher war alles besser.
In erster Linie wird da den 1960ern bis 1980ern hinterher getrauert, inklusive aller üblichen Verdächtigen von Clapton, Beck, Richards, Hendrix, Townshend bis hin zu van Halen. Das betrifft also ein Feld von Blues- und Rock-basierten Genres, mit denen sich Stadien füllen ließen - alles also, was mittlerweile Schlagerstatus für die Baby Boomer Generation erreicht hat. Und immer wieder ist die Rede davon, dass es keine richtigen Helden mehr gäbe, auch Leute wie John Bonamassa einfach nicht den nötigen Massenappeal hätten. Das ist, wie ich finde, schon ein ziemlich denkwürdiger Ausgangspunkt.
Die vielen verärgerten Kommentare, die diesem Artikel meistens vonseiten jüngerer Musiker folgten, thematisierten wiederholt drei Punkte:
1. Die Käufer merken halt, dass ihnen beim Guitar Center nichts geboten werde und Fender und Gibson seien schon längst nicht mehr der Gitarrenmarkt, weil es
2. mittlerweile auch sehr viele Boutique-Hersteller gebe, bei denen man Besseres geboten bekomme.
3. Blues und Rock seien mittlerweile ziemlich öde und mit Gitarren ließen sich schließlich noch ganz andere Sachen machen, ob man nun im traditionellen Sinn technisch versiert sei oder nicht.
Abgesehen davon, dass es natürlich auch jenseits von Blues- und Rockschemata einen Platz für die Gitarre gibt (ob in instrumentalen oder eher Song-orientierten Formaten), sei dahingestellt, ob diese Punkte nun wieder repräsentativ sind. Wer jedoch mal in Nashville bei der Summer NAMM war, weiß, dass es zumindest in den USA Gitarrenhersteller wie Sand am Meer gibt. Summer NAMM ist eigentlich wie Superbooth für Gitarristen. Das mit Fender und Gibson ist in etwa so, als würde man Roland und Yamaha als die Repräsentanten der Synthesizer-Branche herauspicken, was im Jahr 2017 einfach keinen Sinn macht.
Hinzukommt natürlich die Frage, ob das alles unbedingt so viel mit E-Gitarren an sich zu tun hat und nicht damit, dass der ganze Musikmarkt völlig umgekrempelt wurde, also nicht nur hinsichtlich der Genres, die sich in gefühlte 10.000 Subgenres zerstreut haben, sondern hinsichtlich dessen, wie der Musikmarkt überhaupt noch funktioniert. Denn die Zeit der "Helden", von denen in den Artikeln die Rede ist, war auch die Zeit - die Ausnahmezeit, wie wir heute wissen -, in der sich noch mit Plattenverkäufen allein Geld verdienen oder sich überhaupt noch so etwas wie eine (im Neusprech) nachhaltige Karriere aufbauen ließ.
Würden Leute wie Clapton & Co. heute gegen das antreten, womit sich derzeit in den Charts noch Geld verdienen lässt, wäre er wie 1000 andere "on the road", um sich dort zu etablieren und seinen Kühlschrank zu füllen, was ausdrücklich nicht kulturpessimistisch gemeint ist. Und da funktioniert die Musikrezeption eher so wie vor der Zeit der großen Plattenkarrieren. Natürlich kann man darüber entdeckt werden, aber das Zeug zum "Helden" wird da nach heutigen Maßstäben nicht mehr unbedingt produziert, weil man dazu noch in ganze Marketing-Teams investieren müsste. Wer es heute ernst meint, muss mehr denn je live spielen und nicht auf irgendwelchen Postern landen. Das ist auch das grundsätzliche Selbstverständnis vieler Musiker - ob Mainstream oder experimentell - in den USA. Dass man nebenbei meist noch einen day job hat, übrigens auch. Ein Album aufnehmen kann überdies jeder innerhalb von 1-2 Wochen, aber die Musik spielt nunmal eben live. Und über Clubs und Bars landet man nicht so schnell in zig Newsfeeds, was auch nicht jeder sonderlich schlimm findet.
Zudem ist der ganze Musikmarkt wesentlich heterogener geworden. Wer lange Soli mag, wird im Übrigen immer noch genügend Bands oder Musiker finden, die sich auf Blues, Jazz, Rock oder was auch immer berufen. Nur existiert das heute neben ganz vielen anderen Dingen, genauso wie es auch Gitarristen gibt, die mit Ableton, Loopern, einem Octatrack oder was auch immer arbeiten. Da muss man, glaube ich, nicht schon wieder das Ende des Abendlands einläuten.