Manuel Göttsching ist gestorben
Die Nachricht erschütterte mich tief. Ich kannte Manuel noch aus ganz frühen Tagen, wir sind uns das erste Mal als 13-Jährige bei der gemeinsamen Gitarrenlehrerin in einer Musikschule in Westend begegnet. Da wussten wir noch nicht, dass wir später jahrzehntelang zusammen Musik machen würden.
Wir begegneten uns 1969 im Beatstudio wieder. Er spielte in der Steeple Chase Blues Band, ich mit Agitation Free. Wir sahen uns dort oft und jammten auch miteinander.
Dann Ash Ra Tempel! Diese Band schlug großartig ein mit ihrer kraftvollen Musik, und getrieben von Hartmut Enkes Bass und Klaus Schulzes Schlagzeug hob Manuel Göttsching zu Gitarrenhöhenflügen ab. Eine wunderbare Konstellation, die uns alle beeindruckte und mitriss. Wir spielten in dieser Zeit viele gemeinsame Konzerte und wurden Fans voneinander.
1971 lud uns Conrad Schnitzler zu einer Art Berliner Supergroup ein – Eruption – mit Manuel Göttsching, Klaus Schulze, Michael Günther, Hartmut Enke, mir und einigen anderen. Wir spielten im Quartier Latin, und zwar nicht auf der Bühne, sondern verteilt über den ganzen Saal an den Seiten und mit Schulze und mir in der Mitte. Ein denkwürdiges Konzert und ich konnte hautnah Zeuge von der schnellsten Bassdrum Berlins werden! Als Hartmut Enke und Klaus Schulze Ash Ra Tempel verließen, schlug Manuels große Stunde. Mit Inventions for Electric Guitar schuf er einen Meilenstein der experimentellen Rockmusik. Ein Geniestreich! Wir als Gitarristen benutzen natürlich alle Echogeräte, aber Manuel fand total neue Wege, indem er Minimalmusik auf die Gitarre übertrug und das Spielen mit dem Echo im Triolenmodus zur Perfektion weiterführte.
Ich lebte zu dieser Zeit in Frankreich, als ich die LP das erste Mal hörte. Sie haute mich total um. Ich wusste sofort, ich MUSS mit Manuel Musik machen!
Zurück in Berlin probten wir zum ersten Mal gemeinsam, und es machte klick. Durch meinen Kontakt zu Assaad Debs, unserem Manager von Agitation Free, kam es zu einem ersten Konzert in Paris.
Ein wunderbarer Auftakt zu vielen Jahren gemeinsamer Musik. Wir spielten zu zweit Titel seiner fulminanten LP in Frankreich und England und wurden dabei auch Freunde fürs Leben. Ich erinnere mich noch, wie wir 1975 auf dem Weg nach Arles, wo wir zusammen mit Can, Nico und Kevin Ayers im Amphitheater spielen sollten, in unserem VW Bus mit offenen Fenstern durch die laue Sommernacht ritten. Wir hatten beide schulterlanges Haar, das im Fahrtwind wehte. Ich schaute zu Manu rüber und meinte: “Ich war früher immer Old Shatterhand!“ Manu: „Ich Winnetou!“ Wir bekamen einen Lachanfall. Wie man überhaupt sagen muss, dass man mit Manuel sehr viel Spaß haben konnte. Er hatte die große Gabe, über sich selbst lachen zu können. Und überhaupt war er ein entspannter Mensch und wir hatten eine sehr gute Schwingung miteinander. Es war ein großes Vergnügen, mit ihm diese hypnotische Musik zu spielen, und ich erinnere mich sehr gerne an diese Zeit. So spielten wir uns in der Live Sendung des ORTV von José Arthur in einen Rausch und überschritten die angedachte Länge um ein Vielfaches. Wir hörten auch die verzweifelte Ansage des Moderators nicht: „Ash Ra Tempel – für die, die es mögen und für die, die es nicht mögen!“
Wir waren einfach nicht zu stoppen.
Da ich parallel dazu die Sängerin Nico kennengelernt hatte und mit ihr lebte und tourte, teilten sich zeitweise unsere Wege. Immerhin aber entstand noch der Soundtrack für den Film Le Berceau de Cristal von Philippe Garrel starring Nico. 1977 trafen wir uns in London, dann als Ashra mit Harald Großkopf an den Drums, um wieder zusammen Musik zu machen. So entstanden einige sehr schöne LPs: Correlations, Belle Alliance und Tropical Heat sowie Touren in dieser Dreierkonstellation. Zum Beispiel 1981 nach Barcelona, wo uns der Musiker Michael Huygen zu einem Live-Konzert ins spanische Fernsehen einlud.
Ende der Achtziger organisierte ich das Musikfestival Wüstenklänge im Planetarium im Berliner Planetarium, und Manuel und ich kreierten Walkin’ the desert zusammen. 1991 traten wir vor 10000 Zuschauern zusammen mit Klaus Schulze vor dem Kölner Dom auf. Das Konzert hatte Winfried Trenkler vom WDR organisiert, und es wurde ein grandioses Event.
Danach wurde es ruhiger, und es brauchte die Einladung Gen Fujitas aus Japan anlässlich der Einweihung von Manuel Göttsching Wachsfigur im Tokyo Tower Wax Museum, um abermals zusammenzufinden. Harald Großkopf brachte zudem den Soundtüftler Steve Baltes in die Band, der den Sound von Ashra noch einmal neu definierte.
Eine Stunde vor dem ersten Konzert in Japan stürzte Manuel im Backstage, und erlitt eine stark blutende Platzwunde auf der Stirn. Ich stieg mit ihm in den Rettungswagen, und er wurde schnell im Krankenhaus mit dicken Pflastern verarztet. Wir liefen zurück, um etwas Luft zu schnappen, damit Manuel einmal durchatmen konnte. Schon ging es wieder zurück auf die Bühne, und es wurde doch noch ein furioser Erfolg. Manuel spielte trotz allem ganz groß auf. Wir wurden gefeiert wie Götter. Dieser Mann war wirklich hart im Nehmen!
Ein Konzert beim Burg Herzberg-Festival und beim E-Live-Festival in Holland waren weitere schöne Höhepunkte, doch danach trennten sich unsere Wege. Mich hatten inzwischen die 17 Hippies komplett vereinnahmt, und es dauerte tatsächlich bis 2015 in Holland, wo wir noch das einzige Mal die Musik zu Le Berceau de Cristal aufführten.
Mit Manuel zu spielen hatte immer etwas Entspanntes, Leichtes und gleichzeitig Hochkonzentriertes.
Er hatte die Gabe, magische Musik zu kreieren, und ich bin stolz und froh, ihn dabei auf seinem Weg sehr lange begleitet zu haben. Möge seine schöne Musik weiterleben und in die Welt fliegen …