Klangwechsel an der John-Cage-Orgel in Halberstadt

beaes

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Bin gerade aus Halberstadt vom Klangwechsel des langsamsten Musikstücks von John Cage zurück. Im 639 Jahre dauernden Orgelstück erklangen heute zwei neue Töne. Ich konnte den Wechsel zwar nur draußen vor der Videoleinwand verfolgen, habe ihn aber mit dem Tascam DR-100 MKII aufgezeichnet

Klangwechsel

Bei 0:09 wird das gis eingesetzt, bei 0:57 das E4, was etwas schwerer zu hören ist, da schon ein E5 drin ist.

Das gis wird übrigens am 5.2.2022 wieder rausgenommen, ist also quasi nur ein Pluck-Sound in dem Stück.

-beaes

(wie bindet man nochmal den Player in den Post ein...?)
 

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  • john_cage_orgel.mp3
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Mit dem Audio Tag...
 
Ich kann aus musikalischer Sicht so überhaupt nichts mit dieser Art von "Musik" anfangen.
Ich weiß schon, das ganze soll auch aus philosophischer Sicht gesehen werden.
Aus philosophischer Sicht fand ich allerdings die vorherige Nutzung der Halberstadter Burchardi Kirche als Schweinestall deutlich spannender.
In meinen Augen ist das Projekt nur banale Effekthascherei, oder im besten Fall eine Art Eulenspiegel Scherz.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich kann aus musikalischer Sicht so überhaupt nichts mit dieser Art von "Musik" anfangen.
Das ist natürlich schade.

Ich weiß schon, das ganze soll auch aus philosophischer Sicht gesehen werden.
Aus philosophischer Sicht fand ich allerdings die vorherige Nutzung der Halberstadter Burchardi Kirche als Schweinestall deutlich spannender.
Warum ist ein Schweinestall philosophisch "spannend"?

In meinen Augen ist das Projekt nur banale Effekthascherei, oder im besten Fall eine Art Eulenspiegel Scherz.
Man muss sich vor Augen halten, dass die Komposition von John Cage nicht nach so etwas fragt. Die maßlose zeitliche Dehnung ist eine Idee der Interpreten, der ich übrigens auch sehr wenig abgewinnen kann.
 
Es ist einfach Kunst und die muß umgesetzt werden. Erst das Konzept, dann die Umsetzung und schwupps hat man halt ein Ei gelegt, das andere nicht so gelegt haben. Das man als Mensch mit seiner kürzeren-als-das-Musikstück-Lebenszeit und der dazu nicht wirklich kompatiblen Wahrnehmungsmöglichkeit ein „Problem“ hat, ist ja ganz normal :) Am End gehts wahrscheinlich echt ums philosophische Nachdenken über Zeit, wie du schon schreibst @Thomasch
 
…, oder im besten Fall eine Art Eulenspiegel Scherz.
Man kann es wohl auch schlicht als Scherz sehen, den man allerdings – ebenso wie 4′33″ desselben Komponisten – nur einmal machen kann. Wir werden also nicht fürchten müssen, nun von einer Flut ähnlicher Projekte überrollt zu werden.

Gespannt sind wir hingegen auf Dein Projekt "Kirchen zu Schweineställen" ;-)
 
Wenn ich das richtig in Erinnerung habe gibt es zwar die Anweisung "As slow as possible", wie (bzw. wie langsam) man es spielt bleibt dem Pianisten/Organisten überlassen.

Bei einem Orgelsymposium im Jahr 1997 in Trossingen entstand die Idee, die Angabe as slow as possible noch wörtlicher als bei der Uraufführung zu nehmen. Die Wahl für den Aufführungsort fiel auf Halberstadt, da im Halberstädter Dom 1361 eine der ältesten dokumentierten Orgeln der Neuzeit gebaut wurde. Die gotische Orgel des Domes zu Halberstadt wird von den Organisatoren als „erste Großorgel der Welt“ bezeichnet. Da der Dom jedoch als Gotteshaus genutzt wird, wich man auf die seinerzeit ungenutzte Sankt-Burchardi-Kirche im ehemaligen Kloster Sankt Burchardi aus.

Die achtseitige Partitur wurde für die Aufführung auf die angestrebte Spieldauer von 639 Jahren hochgerechnet. Dieser Zeitraum ergab sich aus der Differenz des Einbaus der alten (nicht erhaltenen) Domorgel von 1361 in den Halberstädter Dom und dem zunächst geplanten Aufführungsbeginn im Jahre 2000. Der Bogen spannt sich also von 1361 über 2000 in das Jahr 2639. Die tatsächliche Aufführung des Werkes konnte jedoch aufgrund von Verzögerungen erst am 5. September 2001 beginnen und soll demgemäß auch erst im Jahr 2640 enden
 
Wenn ich das richtig in Erinnerung habe gibt es zwar die Anweisung "As slow as possible", wie (bzw. wie langsam) man es spielt bleibt dem Pianisten/Organisten überlassen.
Es ist hier sicher nicht der Ort, sehr knifflige Fragen in der Interpretation von Werken aus einer Nicht-Popmusik-Tradition zu diskutieren. Aber auch Musik von Cage rechnet mit einem Interpreten, einem Spieler, durch dessen Kopf das Stück geht und der bewusst und unbewusst das Werk beim Spielen beeinflusst und eine hörbare Spur hinterlässt. Und für den ist die Tempoangabe da. Ich würde mich auf den Standpunkt stellen, dass hier dem Komponisten sozusagen das Wort im Mund verdreht wird. @serge hat schon recht – man kann das genau einmal sinnvoll machen, dann ist ausgelutscht. Es ist eine Art Zerschlagen des gordischen Knotens. Aber es ist – für mich – keine musikalische Interpretation.
 
Und nochwas, aus dem zweiten Link von @oli:
Es ist vollzogen. Seit 15:09 Uhr erfüllt der neue Klang den Raum der Burchardikirche. In einer feierlichen Zeremonie, unter der Leitung von Rainer O. Neugebauer, mit der Assistenz von Kay Lautenbach, vollzogen die beiden "Organisten" Johanna Vargas und Julian Lembke, die Neubestückung der Orgelpfeifen.

"Eine feierliche Zeremonie" ist mit Sicherheit der falsche Weg, um eine Komposition von Cage aufzuführen.
 
Prof. Neugebauer hat die Zeitwahl kurz erklaert:

- 100 Jahre waren wohl nicht durchgeknallt genug
- 1000 Jahre waren politisch anruechig
- Dann schlug jemand die Lebesdauer einer Orgel als Zeitskala vor
- Da ausserdem die Einweihung der ersten grossen Orgel der Welt in Halberstadt 1361 auch als Festschreibung der 12-Ton-Reihe gesehen wird, fiel dann die Entscheidung auf 639 Jahre.

Apropos hektisch: gerade das hektische Geklicke der Fotografen bringt die Aussage des - nennen wir es mal Experiments - auf die Spitze.

-beaes

@Summa : Danke!!
 
Ich kann aus musikalischer Sicht so überhaupt nichts mit dieser Art von "Musik" anfangen.
Ich weiß schon, das ganze soll auch aus philosophischer Sicht gesehen werden.
Aus philosophischer Sicht fand ich allerdings die vorherige Nutzung der Halberstadter Burchardi Kirche als Schweinestall deutlich spannender.
In meinen Augen ist das Projekt nur banale Effekthascherei, oder im besten Fall eine Art Eulenspiegel Scherz.

So in etwa?

kannstdunicht.jpg
 
Wenn ich das richtig in Erinnerung habe gibt es zwar die Anweisung "As slow as possible", wie (bzw. wie langsam) man es spielt bleibt dem Pianisten/Organisten überlassen.
Warum hat man dann die Anweisung von John Cage nicht befolgt?
Es wäre doch völlig problemlos möglich gewesen, noch zwei Wochen zu warten. Oder zwei Jahre. Oder zweihundert Jahre. Oder zweitausend.
"As slow as possible" hätte, wörtlich genommen, bedeutet, den ersten Ton zu spielen und für immer tröten zu lassen. Jeden Tonwechsel, wie groß auch immer die Abstände, hätte man verlängern können.
Thema verfehlt, sechs.

Schöne Grüße,
Bert
 
Warum gab es denn keinen Applaus und keine Jubelschreie als dieser Klangwechsel stattfand?
Etwas mehr Begeisterung hätte ich da schon erwartet... ;-)
 
Vor ein/zwei Jahren habe ich, als einziger Besucher, mir die Orgel in der Sankt-Burchardi-Kirche angeschaut und angehört. Von allen Seiten und vielen Positionen im Raum. Ohne Klicken von Fotoapparaten und Rumlabern von anderen Besuchern, die das auch noch abhaken mussten. Ich muss sagen, dass ich beeindruckt meine Einstellung zu diesem Projekt ändern musste und bin sehr angetan von dieser fast zeitlosen Installation. Mit Musik hat das Projekt IMHO freilich weniger zu tun.
Es ist ein John-Cage-Orgel-Denkmal.
 
oder im besten Fall eine Art Eulenspiegel Scherz

Ohne es zu beabsichtigen, kommst Du der Wahrheit sehr nahe. Man könnte vorfragen, was denn ein besserer Fall als ein Eulenspiegel-Scherz wäre?
Till Eulenspiegel ist etwas jünger als der Dom, aber hat auch seine Wurzeln im Mittelalter. Er ist dafür bekannt, die Dinge wörtlich zu nehmen und seinen Zeitgenossen einen Spiegel vorzuhalten. Und genau diese Dinge passieren in dem Stück: Was ist denn "so langsam wie möglich"? Und was ist Musik für Dich? Das sind nicht nur philosophische, sondern ganz praktische Fragen. Und warum ist Deine Liebingsmusik kein Scherz (sondern bitterer Ernst)? Und was ist das Gegenteil von philosophisch? Wenn man dazu tanzen kann? Wenn man damit Geld verdienen kann?
 
In der aktuellen Aufführungspraxis klatscht man erst am Ende eines Werkes, also nicht nach jedem Satz, geschweige denn nach jeder Note.

Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Sind ja noch ein paar Jahre…

AH, ja ok... da bin ich dann doch in der Popmusik gefangen... Da wird ja ständig gejubelt und geklatscht... ;-)
Aber in der aktuellen Aufführungspraxis raschelt und knipst man doch nicht, oder?
 
Das Ganze kurbelt jedenfalls den Tourismus an. Leute aus aller Welt reisen wegen dieses Musikstücks nach Halberstadt. Außer einer philosophischen hat das Ganze also auch eine marktwirtschaftliche Ebene.
 
AH, ja ok... da bin ich dann doch in der Popmusik gefangen... Da wird ja ständig gejubelt und geklatscht... ;-)
Das ist einer der Gründe, warum ich Popmusikkonzerten so gerne fernbleibe: Ich möchte Musik hören, nicht Geräusche anderer Menschen. Und das Gerangel um die beste Stehposition kann mir ebenso gestohlen bleiben wie verschüttete Getränke und dergleichen Ungemach mehr.

Ich kriege ja schon die Krise, wenn jemand in der Elbphilharmonie seine Finger die ganze Zeit durch die Seiten des Konzertprogramms gleiten lässt…frrrt…frrrt…frrrt…in früheren Jahrhunderten mag das anders gewesen sein, da war es wohl gang und gäbe, während des Konzerts zu schwatzen und zu schmatzen, aber ich bin froh, dass diese Zeiten vorbei sind – und hoffe inständig, dass sie zu meinen Lebzeiten nicht wiederkehren mögen.

Um wieder die Kurve zu Cage zu kriegen: Bei 4′33″ ging es ja – je nach Lesart – unter anderem darum, eben diese Geräusche in den Fokus zu rücken, zu fragen, ob sie die eigentliche Musik dieses Stücks seien.

Das Ganze kurbelt jedenfalls den Tourismus an. Leute aus aller Welt reisen wegen dieses Musikstücks nach Halberstadt. Außer einer philosophischen hat das Ganze also auch eine marktwirtschaftliche Ebene.
Hat Halberstadt doch gar nicht nötig, denn wie heißt es bei Donald Duck:
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