Das Elend der feuilletonistischen Musikkritik

Ich muss jetzt mal eine Lanze für Kritiker brechen:
Man muss nicht das beherrschen was ein Künstler beherrscht um es kritisieren zu können. Kritik ist immer eine Subjektive Sache bei der man versuchen kann sich dem Thema objektiv zu nähern. Letzten Endes ist es aber Kunst, die nicht objektiv bewertbar ist.

Und mal die abgebrochene Lanze direkt in die Brust zu rammen:
Mir ist mehrmals im Leben passiert, dass eine Musikkritik in der Zeitung stand über ein komplettes Konzert, der Kritiker aber gerade mal nach dem zweiten Set mal für 10' vorbei schaute, ein paar Fotos schoss und wieder verschwand. Das ist dann in meinen Augen einfach unehrlich. Er kann - ob objektiv oder subjektiv - nur über die 10' schreiben, die er da war.

Grüße
Omega Minus
 
Ich muss jetzt mal eine Lanze für Kritiker brechen:
Man muss nicht das beherrschen was ein Künstler beherrscht um es kritisieren zu können. […]

Du bringst das Dilemma gerade auf den Punkt:

Der Künstler kann etwas, das der Kritiker auch gerne können würde, aber weil er es nicht kann, ist er Kritiker geworden, um seinen Neid auf den Künstler und seinen Unmut über die eigene Talentlosigkeit am Künstler bzw. am Objekt abzureagieren.

Das war ein Satz von geradezu Karl Valentin'scher Dimension.

Musikkritiker sind so wie Musikwissenschaftler -- für Orchestermusiker nicht diszipliniert oder talentiert genug, müssen sie sich der Musik von der theoretischen Seite her nähern. Musikwissenschaftler kann man auch durch Kunsthistoriker ersetzen und Orchestermusiker durch Kunstakademie, es kommt am Ende dasselbe heraus.

Außerdem kann es keinen Schaden anrichten, wenn man weiß, über was man schreibt und wenn man das, was man schreibt, in einen größeren Zusammenhang einordnen kann -- das macht nicht nur die eigene Schreibe vergleichbar, sondern setzt auch das Beschriebene in Relation. Es dient auch der eigenen Glaubwürdigkeit: Wenn ich keine Ahnung von der Materie habe, über die ich schreibe, wie soll ich dann etwas einigermaßen Inhaltsvolles schreiben? Ich könnte nie etwas über Sport oder Wirtschaft schreiben, weil ich a) davon überhaupt keine Ahnung habe, denn es interessiert mich b) nicht die Bohne -- das, was am Ende dabei herumkommt, muß inhaltsbefreites und eitles Geschwafel sein.

Das ist so wie Musikmachen: Man kann auf seinen Knopfkisten rumdrücken und dran rumdrehen, und irgendwann kommt bestimmt auch irgendwas dabei herum, was die Illusion von Struktur vermittelt, aber wenn man zumindest in Grundzügen weiß, was man da eigentlich tut, ist nicht nur das Ergebnis viel sinnstiftender, sondern auch der Weg dorthin wesentlich zielführender.

Stephen
 
Wenn Leute über etwas schreiben, von dem sie wenig Ahnung haben (regelmäßig weniger als Musiker oder Musikpädagogen, sonst wären sie wohl selber welche), für Leute, die vor anderen, noch ahnungsloseren Leuten mit ihrer Drittahnung angeben wollen, dann ist das doch nichts anderes als die Verteilung von Wissen - knappe Ressource allerorten - von eng auf breit, von innen nach außen. Nennt sich Diffusion, und die Natur hat es erfunden.

Ahnung ist immer eine Melange aus Wissen und Glauben. Schon homöopathische Dosen von Wissen veredeln Glauben zu Ahnung. Ahnung ist also gestrecktes Wissen. Glaube hat man immer dabei. Reiner Alkohol würde ja auch im Nu vergasen. Reines Wissen ist nicht kommunizierbar, denn der Wissende muss das Wissen in die Worte gießen, die der Ahnungslose versteht. Das ist aber schwierig, ja unmöglich, da der Wissende erst den vorliegenden Erfahrungsschatz kennen und seinerseits verstehen muss von dem, der was wissen will.
Die Versuchung, diesem Dilemma auf dem Weg der Lüge zu entkommen, das Sujet zu verwechseln ist dabei also groß, dann geht es also nicht mehr um das Werk bzw. Konzert des Künstlers, sondern darum, den Musikinteressenten als Meinungsverbreiter vor den Karren zu spannen. Dazu müssen die Worte keine Tatsachen widerspiegeln, sie müssen auch nicht verstanden werden, sie müssen nur überzeugend wirken.
Diese ganzen "Lügenpresse!"-Skandierer wären also fast meiner Beipflichtung sicher, würden sie das nicht tun, um die Leute vom Regen in die Traufe zu locken.

Wissen und Praxis macht Erfahrung. Ich höre lieber erfahrenen Leuten zu als Leuten mit Ahnung. Erfahrene Leute erkennt man daran, dass man sie fragen muss und dass sie einen erst persönlich kennen lernen wollen. Denn sie wollen lieber ihren Beruf ausüben, als irgendwelche daherlaufende Idioten belehren, wo sie eh nicht wissen, wo sie ihr mühsam angeeignetes Wissen anknüpfen sollten.

Wenn ihr euch also so über Kunstkritiker echauffiert: Die machen, wofür man sie bezahlt. Immerhin streuen sie Fachbegriffe in ihre Texte, die man nachschlagen kann, und weiterführende Literatur gibt es natürlich auch. Selbermachen ist allerdings noch besser.
 
Der Künstler kann etwas, das der Kritiker auch gerne können würde, aber weil er es nicht kann, ist er Kritiker geworden, um seinen Neid auf den Künstler und seinen Unmut über die eigene Talentlosigkeit am Künstler bzw. am Objekt abzureagieren.

Das finde ich ein bisschen zu Platt. Ich mein du kannst dir doch auch einen Film anschauen, ohne Schauspieler zu sein und beurteilen ob da gute Schauspieler am Werk sind oder ob das B-Trash ist. Genauso kann ich als Nicht-Geiger ganz gut hören wenn jemand scheiße spielt. Erst wenn alles auf einem sehr hohen Niveau ist kann man sich auf anderen Ebenen damit auseinander setzen, aber dann nur auf Neid und Talent zu schließen wäre mir zu wenig.

Als bestes Beispiel Schlagermusik, kann ich mir nicht anhören, keine 2 Minuten, dementsprechend gönne ich denen auch ihren Erfolg nicht, aber ich kann bedenkenlos Zugeben, dass dort ein Hochwertiges Produkt gefertigt wird, auch kann ich eingestehen dass diese Musik definitiv einen Teil unserer Kultur darstellt. Ob das wieder rum ein vergleichbares Stück Kultur ist wie Kraftwerk, Beatles oder andere Weg weisenden, eher nicht. Bin ich neidisch? Ein bisschen. Hab ich in dem Metier Talent? Wenig bis gar nicht. Kann ich es kritisieren? Kein Problem.
 
Jeder macht was er kann und daran führt auch kein Weg vorbei. Man lernt dazu und macht was man kann. Kritiker sind für mich teiels Abschaum den keiner braucht. Das klingt zwar hart, aber wer bitte braucht die? Ich höre mir auch so alles an was ich hören will und dafür brauche ich sicher keinen Aufpasser,
 
Finde es schön, dass sich hier so eine lebhafte Diskussion entsponnen hat. :)
Ich wollte auch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten: Im Rückblick ist Threadtitel und erster Post vielleicht ein wenig zu reißerisch geworden. Ich lese sehr gerne Musikkritik und theoretische Beschäftigung mit (Pop)Musik - hauptsächlich allerdings englischsprachige.
EDIT: Habe den Titel deshalb mal editiert.

So genannte Musikkritiker (ebenso viele Radiomoderatoren) sind oft Ex-Mucker, die Ihren Frust dann an Künstler auslassen, die es "geschafft" haben. So tickt der Mensch nun Mal... zumindest manchmal!
Ich bin vom Gegenteil überzeugt - ich glaube vielmehr, dass die meisten noch nie ein Instrument in der Hand hatten.

Das hat einen ganz einfachen Grund: Weil überhaupt kaum jemand Ahnung von Musik hat. Es ist eine super-abstrakte Kunst. Schon das dazu leider notwendige Vokabular beherrschen ja die wenigsten.

Beispielsweise glauben viele Leute, über Musik zu reden, sprechen aber über die Texte. Oder über den Interpreten und sein Image. Und meistens vor allem über Verkaufszahlen, die irgendetwas beweisen sollen, was mit der Musik IMHO nur ganz am Rande etwas zu tun hat.
Da stimme ich zu - zumindest in Deutschland scheint diese feuilletonistische Beschäftigung mit Musik der Standard zu sein. Es geht fast ausschließlich um die Texte (was ja AUCH anregend sein kann), aber sobald dann mal über die Musik selbst gesprochen wird, merkt man schnell, dass das Basisvokabular fehlt um zu beschreiben, was auf der Audio-Ebene vor sich geht - sowohl harmonisch/musiktheoretisch als auch sound-/produktionstechnisch.

Und nochmal zu dem Argument "man muss doch kein Musiker sein, um über Musik zu schreiben": In JEDEM anderen Zeitungsressort wird doch auch Fachkenntnis vorausgesetzt. Warum nicht bei Popmusik? Weil das eben "U" ist und nach wie vor nicht ernst genommen wird (da kann man als Geisteswissenschaftler dann auch schnell zwei, drei Klischees über "pluckernde Drums" und "blubbernde Synths" ablassen, weil man ja eh viel Musik hört und sich deshalb für befähigt hält). Meine These wäre, dass eine gewisse Qualifikation auf dem Gebiet ganz neue Einsichten erschließen könnte, die auch für den "normalen" Zeitungsleser höchst interessant wären - es gibt auf Youtube etliche englischsprachige Kanäle, die vormachen, wie so etwas gehen könnte!
 
Zuletzt bearbeitet:
Wissen und Praxis macht Erfahrung. Ich höre lieber erfahrenen Leuten zu als Leuten mit Ahnung. Erfahrene Leute erkennt man daran, dass man sie fragen muss und dass sie einen erst persönlich kennen lernen wollen.

Erfahrung kann auch Blind machen, treu nach dem Motto "Das haben wir schon immer so gemacht." Ahnung und Glaube ist auch nicht gleich Wissen. Information und die daraus folgende Abstraktion ist Wissen. Und theoretisches Wissen ist nicht gleich praktisches Wissen. Die Anzahl der Variablen ist groß und manche Themenfelder größer als die Praxis erlauben, von daher gibt es auch da nicht nur den "einen" Weg.

Mir ist mehrmals im Leben passiert, dass eine Musikkritik in der Zeitung stand über ein komplettes Konzert, der Kritiker aber gerade mal nach dem zweiten Set mal für 10' vorbei schaute, ein paar Fotos schoss und wieder verschwand. Das ist dann in meinen Augen einfach unehrlich. Er kann - ob objektiv oder subjektiv - nur über die 10' schreiben, die er da war.

Kenn ich zu gut. Aber ist das ernsthaft Kritik oder schreibt da nicht nur irgendein Journalist, gesendet von seinem Verlag für das Ortsplatz nicht nur ein paar Zeilen für das Lokalblättchen? Marke, dufter Abend gut besucht, blablabla. Am Ende mag der die Musik gar nicht, nicht mal das Ressort aber muss irgendwas darüber schreiben. Zähl ich jetzt mal nicht als Kritiker.

Musikkritiker sind so wie Musikwissenschaftler -- für Orchestermusiker nicht diszipliniert oder talentiert genug, müssen sie sich der Musik von der theoretischen Seite her nähern. Musikwissenschaftler kann man auch durch Kunsthistoriker ersetzen und Orchestermusiker durch Kunstakademie, es kommt am Ende dasselbe heraus.

Quark. Ich hör gern Irische Folklore, will aber keine spielen. Nicht weil ich nicht die Disziplin dafür hätte, sondern weil ich kein Bock hab und lieber Höre und Tanze. Nicht jeder Kritiker oder Musikhistoriker ist gleich untalentiert, sondern ich kenne Reihenweise Leute die lieber Musik hören statt welche zu machen. Und noch viel mehr die lieber Filme sehen als welche zu machen ;-)

Wenn ich keine Ahnung von der Materie habe, über die ich schreibe, wie soll ich dann etwas einigermaßen Inhaltsvolles schreiben? Ich könnte nie etwas über Sport oder Wirtschaft schreiben, weil ich a) davon überhaupt keine Ahnung habe, denn es interessiert mich b) nicht die Bohne -- das, was am Ende dabei herumkommt, muß inhaltsbefreites und eitles Geschwafel sein.

Wenn du nicht gerade musst, wie obiger vom Lokalblatt und kein Interesse hast wirst du in der Regel nicht darüber schreiben.

Kritiker sind für mich teiels Abschaum den keiner braucht. Das klingt zwar hart, aber wer bitte braucht die? Ich höre mir auch so alles an was ich hören will und dafür brauche ich sicher keinen Aufpasser,

Abschaum ist definitiv zu hart. Ich denke der klassische Musikkritiker stammt noch aus einer Zeit, als eben noch nicht jede Musik immer und Überall zur Verfügung stand. Es werden mit der Zeit sicherlich weniger bis sie irgendwann verschwinden und dann gibts nur noch so Konzert Berichter, die dann beschreiben wies auf nem Konzert war, oder so.
 
Musiksprachlich völlig Korrekt. Die Basis-Rhythmusfigur von TEE ist Synkope.
Nein, nein, nein! Nur weil in den Beats Synkopen ein wichtiges Element sind, ist der Begriff "Synkopenläufe" eben NICHT musiksprachlich korrekt, denn es gibt ihn nicht in der "Musiksprache". Bitte überzeuge mich vom Gegenteil.
Er ergäbe auch überhaupt keinen Sinn, denn was eine Synkope ausmacht, ist ja gerade ihre Singularität / Ausnahmecharakter ... bei einem "Lauf" würde das "Synkopische" doch völlig verlorengehen!

Um jetzt nochmal auf den Artikel zurückzukommen: Da erfindet also der Autor einen völlig unsinnigen Begriff, der sich halt total geil nach Fachkenntnis anhört. Selbst Musiker mit ein wenig musiktheoretischen Kenntnissen (wir beide) verstehen ihn nicht. Meine These: Er will einfach blenden.
Würde der Autor einen Fachartikel schreiben, dann müsste er sich natürlich präzise und für Kolleg_innen verständlich unter Verwendung von Fachvokabular ausdrücken - gerade das tut er aber nicht! Und wenn er für interessierte Laien schreibt (taz-Publikum), dann sollte er doch im Idealfall allgemeinverständlich schreiben, oder, wenn sich ein Fachbegriff nicht vermeiden lässt, diesen erklären - er macht allerdings das genaue Gegenteil.
 
Und nochmal zu dem Argument "man muss doch kein Musiker sein, um über Musik zu schreiben": In JEDEM anderen Zeitungsressort wird doch auch Fachkenntnis vorausgesetzt.

Und das Wissen kann man sich nur aneignen wenn man Musiker ist? Das würde ja im Umkehr Schluss ja heißen, dass kein Musiker Ahnung von nem Kompressor hat, weil er ist ja kein Tontechniker.
Um den Gaul mal anders auf zu ziehen, wie viele Musiker sind der Meinung, dass ihre Musik der heißeste Shit ist? Können die das überhaupt beurteilen, offensichtlich haben sie ja dann schon den Blick über den Tellerrand verloren.
 
Nein, nein, nein! Nur weil in den Beats Synkopen ein wichtiges Element sind, ist der Begriff "Synkopenläufe" eben NICHT musiksprachlich korrekt, denn es gibt ihn nicht in der "Musiksprache". Bitte überzeuge mich vom Gegenteil.
Er ergäbe auch überhaupt keinen Sinn, denn was eine Synkope ausmacht, ist ja gerade ihre Singularität / Ausnahmecharakter ... bei einem "Lauf" würde das "Synkopische" doch völlig verlorengehen!

Wieso macht Synkopenlauf keinen Sinn?
Die Synkope ist eine Rhytmische Struktur und ein Lauf eine Auf- bzw. Absteigende Struktur mit gleichmäßigen Intervallen. Warum also nicht in einem Song den Lauf durch eine Synkopische Intervall Struktur variieren? Was wäre denn dafür der musikalische Begriff? Ich gehe hier von einem Nominalkompositum aus, was ja durchaus legitim ist.
 
Kenn ich zu gut. Aber ist das ernsthaft Kritik oder schreibt da nicht nur irgendein Journalist, gesendet von seinem Verlag für das Ortsplatz nicht nur ein paar Zeilen für das Lokalblättchen? Marke, dufter Abend gut besucht, blablabla. Am Ende mag der die Musik gar nicht, nicht mal das Ressort aber muss irgendwas darüber schreiben. Zähl ich jetzt mal nicht als Kritiker.

Egal, wie Du das nennst. :)

Wenn ich über ein Drei-Sterne-Menü urteilen soll und nur mal kurz beim Hauptgang am Salat probiere und sehe, dass es allen schmeckt, dann kann ich kein Urteil über das ganze Menü abgeben. Ich kann dann nur über den Salat urteilen. Nicht über die Vorspeise, nicht über das Lammkarree, nicht über die Petersilienkartoffeln und auch nicht über die Creme Brulee. Das ist in meinen Augen einfach unehrlich.

Grüße
Omega Minus
 
Egal, wie Du das nennst. :)

Wenn ich über ein Drei-Sterne-Menü urteilen soll und nur mal kurz beim Hauptgang am Salat probiere und sehe, dass es allen schmeckt, dann kann ich kein Urteil über das ganze Menü abgeben. Ich kann dann nur über den Salat urteilen. Nicht über die Vorspeise, nicht über das Lammkarree, nicht über die Petersilienkartoffeln und auch nicht über die Creme Brulee. Das ist in meinen Augen einfach unehrlich.

Grüße
Omega Minus

Das steht ja außer die Frage. Aber was schreibt er und wo wird das veröffentlicht, wäre mindestens genauso wichtig um zu wissen ob der da nur ein paar Auftragszeilen hingerotzt hat oder anhand seiner beschränkten Erfahrung tatsächlich eine Kritik geschrieben hat.
 
Ich bin kein gelernter Koch - aber wenn mein Steak zäh und angebrannt ist, erkenne auch ich das.
 
Ich habe gar keine Lust, hier eine bestimmte Person zu zitieren.

Aber wer so einen polemischen Mist ablässt, von wegen Musikkritiker sind so und so...., wer die verschiedensten Charaktere mit verschiedensten Backggrounds und Auftraggebern mal eben alle über einen Kamm schert von wegen "alles frustrierte Nichtskönner, die zu schlecht waren, um als Musiker erfolgreich zu sein" - der sollte mal hinterfragen, warum er so viel Negativität und Abschätzigkeit in die Welt rausblasen muss.

Mal anders gefragt: Warum sollten erfolgreiche Musiker Kritiken schreiben? Die sind naheliegenderweise mit anderem Kram beschäftigt.

Warum sollte man Musikredakteuren, die selbst Musiker sind, das Recht absprechen, sich mit ihrem Thema zu beschäftigen, für das sie brennen, nur weil sie nicht zu den 3% der Musikelite gehören, die von ihrer Leidenschaft Musik tatsächlich leben können? Haben sie damit in ihrer Wahrnehmung und Bewertung automatisch unrecht?

Und gibt es eine statistische Erhebung darüber, dass die Mehrheit der positiven Musikkritiken lediglich die Abschrift des PR-Waschzettels ist, und im anderen Extrem das Ausschütten von Dreck über den Künstler und sein Werk, um eigene möglicherweise geplatzte Erfolgsträume zu kompensieren?

Ich habe da sehr viel anderes gelesen über die Jahrzehnte. Und selbst wenn ich nicht mit einer Kritik konform gehe, freue mich mich im Zweifel, auf ein Album aufmerksam gemacht worden zu sein. "Aha - da ist also Künstler XY und der macht diese oder jene Musik." Ein Fachbegriff wie Synkope ist mir da erstmal relativ egal. Das sind Infos, die seltenst nötig sind in einer Besprechung.

Klar. Über offensichtliche Ahnungslosigkeit ärgere ich mich auch. Aber wer ein bisschen decodieren kann, wer da schreibt, ob ggf. Interessen dahinterstecken (z.B gekaufte Rezensionen wegen Anzeigenkampagnen), der kann sich aus Kritiken dennoch immer mal wieder was nützliches ziehen.

Was sollte zum Beispiel daran schlecht sein, wenn der Musikexpress positive und negative Kritiken ein und desselben Albums gegeneinander stellt? Ich fands immer unterhaltsam und meist informativ. Ebenso waren viele Besprechungen der INTRO für mich was wert.
 
Der Künstler kann etwas, das der Kritiker auch gerne können würde, aber weil er es nicht kann, ist er Kritiker geworden, um seinen Neid auf den Künstler und seinen Unmut über die eigene Talentlosigkeit am Künstler bzw. am Objekt abzureagieren
Siehst du das tatsächlich so?
Ich glaube jedenfalls nicht, das die Kritiker alle neidisch auf die Künstler sind. Wie kommst du denn darauf, wird deine Musik ständig zerrissen?
Die Schreiberlinge haben doch in den meisten Fällen mehr Interesse daran, die Musik zu konsumieren, anstatt sie selber zu produzieren.
Und das da manchmal ein Album in Ungnade fällt ist normal, man kann nicht Jeden mit seiner Musik erreichen.
Ich freue mich über jede konstruktive Kritik, auch über eine negative, denn das ist doch immer ein Ansporn, um es das nächste mal noch etwas besser zu machen.
 
Das war in den 70ern anders!
Sorry, Nein. Das war noch nie anders.

Ich empfehle "Postkarten" von Annie Proulx zu lesen. Dem Journalisten-Aspirant wird die Kunst des Zeitungsmachen mit Wolken am Horizont erklärt: "Siehst Du die Wolke da? Du schreibst 'Kleines Dorf von Sturm bedroht'." - Darauf der Aspirant: "Und wenn jetzt kein Sturm kommt?" - "Dann schreibst Du danach: 'Kleines Dorf von Sturm verschont'; die Leute wollen beides lesen, also gibst Du Ihnen beides"

Die Paywall kann man umgehen
Einfach auf "mit Werbung lesen" klicken, und schon musst Du nix blechen.
 
denn es gibt ihn nicht in der "Musiksprache".
Begriffe muss es nicht geben. Man darf sie als Journalist auch gerne erfinden oder - besser - entwickeln, wenn sie passen. Ein Meister darin ist / war Wieland Samolak, der uns den "Rompler" und den wunderbaren "Endlosdrehgeber" schenkte.
 
Einfach auf "mit Werbung lesen" klicken, und schon musst Du nix blechen.

Probiere ich meistens gar nicht erst aus. Grund: Ich habe keine Lust mir zu merken, wer mir "mit Werbung" anbietet und mich dann ausperrt wegen Werbrblocker. Meine persönliche Faulheit, den Status von zig Seiten zu tracken.

Trotzdem Danke für den Hinweis!

Grüße
Omega Minus
 
@fanwander und @borg029un03 Bitte zeigt mir mal die "Synkopenläufe" in Trans Europa Express!

* Die Anführungszeichen bei "Synkopenläufe" sind als metaphorische Zangen zu verstehen, mit denen ich (und vor allem: ohne die ich nicht) diesen begrifflichen Haufen Scheiße anfasse.
 
Und das Wissen kann man sich nur aneignen wenn man Musiker ist?
Das ist ein Fehlschluss. Und das Musikerdasein (bzw. ein Instrument spielen zu können) ist auch keine hinreichende Bedingung, aber in vielen Fällen wohl hilfreich.
Andere Möglichkeiten wären z. B. ein Musikstudium, die Lektüre eines musiktheoretischen Buchs oder (und vor allem, und zwar viel und immer wieder) das analytische Musikhören!
 
Das würde ja im Umkehr Schluss ja heißen, dass kein Musiker Ahnung von nem Kompressor hat, weil er ist ja kein Tontechniker.

Die Mehrheit der Musiker, die ich kenne, verstehen unter einem Kompressor das Ding, wo die schnelle Luft rauskommt.
Umgekehrt hat ein Tontechniker beim Soundcheck gesagt: "... und jetzt mal die Klarinette, bitte!" Hatte gar keine Klarinette dabei, war ein Sopransaxophon.

Was sagt uns das? Es gibt sog. "Schwerpunkte". Die Welt ist nicht nur schwarz und weiß.

Wenn einer eine Kritik über Musik schreibt, dann sollte er sich so ein wenig in dem Metier auskennen. Will heißen: Der angesagtetete Elektromukker mir heißesteten Scheiß kann nicht sinnvoll ein großes sinfonisches Werk kritisieren, wenn er nichts von Durchführung und co. kennt. Und auch keinen Jazz, wenn er bei unterdurchschnittlich komplexen Material nicht mehr mitbekommt, wo der eine Chorus aufhört und der andere anfeängt. Dann bleibt es halt oberflächlich.

Grüße
Omega Minus
 
Das ist ein Fehlschluss. Und das Musikerdasein (bzw. ein Instrument spielen zu können) ist auch keine hinreichende Bedingung, aber in vielen Fällen wohl hilfreich.
Andere Möglichkeiten wären z. B. ein Musikstudium, die Lektüre eines musiktheoretischen Buchs oder (und vor allem, und zwar viel und immer wieder) das analytische Musikhören!
Die Mehrheit der Musiker, die ich kenne, verstehen unter einem Kompressor das Ding, wo die schnelle Luft rauskommt.
Umgekehrt hat ein Tontechniker beim Soundcheck gesagt: "... und jetzt mal die Klarinette, bitte!" Hatte gar keine Klarinette dabei, war ein Sopransaxophon.

Was sagt uns das? Es gibt sog. "Schwerpunkte". Die Welt ist nicht nur schwarz und weiß.

Wenn einer eine Kritik über Musik schreibt, dann sollte er sich so ein wenig in dem Metier auskennen. Will heißen: Der angesagtetete Elektromukker mir heißesteten Scheiß kann nicht sinnvoll ein großes sinfonisches Werk kritisieren, wenn er nichts von Durchführung und co. kennt. Und auch keinen Jazz, wenn er bei unterdurchschnittlich komplexen Material nicht mehr mitbekommt, wo der eine Chorus aufhört und der andere anfeängt. Dann bleibt es halt oberflächlich.

Grüße
Omega Minus

Würde also ja doch heißen, dass auch Nicht-Musiker gute Musikkritiker sein können.
 
Würde also ja doch heißen, dass auch Nicht-Musiker gute Musikkritiker sein können.

Richtig. Man muss nicht zwangsläufig Musiker sein im Sinne von "selbst Musik machen". Aber ein Teil der Fähigkeiten, die man dafür braucht, erwirbt man, in dem man Musikinstrumente erlent und/oder sich mit Musikwissenschaft beschäftigt. Es ist m.E. weder hinreichend noch notwendig, als Musikkritiker auch Musiker zu sein. (Umgekehrt auch nicht.) Aber man muss ein Gefühl und ein Ohr für Musik haben und das auch in Worte fassen können.

Ein Problem ist natürlich, dass es viele Genres gibt und man sich nicht in jedem Genre gleich gut auskennt. (Sieht man auch hier im Forum, von beiden Seiten.)

Von der soziologischen Seite würde ich sagen, dass ein Musikkritiker fürs Feuilleton halt so schreibt, wie man es von einem Musikkritiker fürs Feuilleton erwartet:
"...
Der feuilletonistische Stil ist „literarisch, im Plauderton oder auch humorvoll gehalten“.[1] Er bedient sich rhetorischer Figuren sowie Wortfiguren. Einige Beispiele hierfür sind Metaphern, Parallelismus, Anaphern, Epiphern, Antithesen, Klimax, Hyperbel, Ironie.
..."
Und wenn der intendierte Rezipient eine - mehr oder weniger weit hergeholte - Wortfigur versteht, dann gibt es ihm ein kleines Gefühl der Erhabenheit. Und wenn es "synkopierte Bassläufe" sind. Es geht nicht um Präzision, sondern um Unterhaltung und Erbauung.

"Das wahre Elend der Menschen erkennt man an ihren Vergnügungen."
-- Verfasser unbekannt

Grüße
Omega Minus
 
@fanwander und @borg029un03 Bitte zeigt mir mal die "Synkopenläufe" in Trans Europa Express!

* Die Anführungszeichen bei "Synkopenläufe" sind als metaphorische Zangen zu verstehen, mit denen ich (und vor allem: ohne die ich nicht) diesen begrifflichen Haufen Scheiße anfasse.
Meinst du, dass der Begriff Synkopenlaeufe musikwissenschaftlich unsinnig ist?
Wuerde es synkopierte Phrase besser treffen?
 
Zuletzt bearbeitet:
Beim Lauf gebe ich dir recht, bei der Synkope nicht (einfach 'mal mitklatschen).

Gefühlsmäßig wird da nicht das Betonungsschema des Taktes aufgebrochen, dass ist für mich eine einfache Repition. Einfach mal mitzählen. Der zweite Schlag ist für mich keine vorgezogene 2, das Gefühl wird (bei mir) mitnichten etabliert.

Grüße
Omega Minus
 


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