Ich muss jetzt mal eine Lanze für Kritiker brechen:
Man muss nicht das beherrschen was ein Künstler beherrscht um es kritisieren zu können. […]
Du bringst das Dilemma gerade auf den Punkt:
Der Künstler kann etwas, das der Kritiker auch gerne können würde, aber weil er es nicht kann, ist er Kritiker geworden, um seinen Neid auf den Künstler und seinen Unmut über die eigene Talentlosigkeit am Künstler bzw. am Objekt abzureagieren.
Das war ein Satz von geradezu Karl Valentin'scher Dimension.
Musikkritiker sind so wie Musikwissenschaftler -- für Orchestermusiker nicht diszipliniert oder talentiert genug, müssen sie sich der Musik von der theoretischen Seite her nähern.
Musikwissenschaftler kann man auch durch
Kunsthistoriker ersetzen und
Orchestermusiker durch
Kunstakademie, es kommt am Ende dasselbe heraus.
Außerdem kann es keinen Schaden anrichten, wenn man weiß, über was man schreibt und wenn man das, was man schreibt, in einen größeren Zusammenhang einordnen kann -- das macht nicht nur die eigene Schreibe vergleichbar, sondern setzt auch das Beschriebene in Relation. Es dient auch der eigenen Glaubwürdigkeit: Wenn ich keine Ahnung von der Materie habe, über die ich schreibe, wie soll ich dann etwas einigermaßen Inhaltsvolles schreiben? Ich könnte nie etwas über Sport oder Wirtschaft schreiben, weil ich a) davon überhaupt keine Ahnung habe, denn es interessiert mich b) nicht die Bohne -- das, was am Ende dabei herumkommt, muß inhaltsbefreites und eitles Geschwafel sein.
Das ist so wie Musikmachen: Man kann auf seinen Knopfkisten rumdrücken und dran rumdrehen, und irgendwann kommt bestimmt auch irgendwas dabei herum, was die Illusion von Struktur vermittelt, aber wenn man zumindest in Grundzügen weiß, was man da eigentlich tut, ist nicht nur das Ergebnis viel sinnstiftender, sondern auch der Weg dorthin wesentlich zielführender.
Stephen