Ich bin da auch ein bischen kritisch. Ich denke, durch die neueren Medien werden Informationen zur hauptsächlich genutzten Unterhaltung / Beschäftigung, und diese Informationen werden nicht mehr durch irgendeine Redaktion erstellt, sondern durch die Nutzer selbst, was sich auf deren Qualität auswirkt. (Das mit der "Hauptbeschäftigung" ist natürlich eine Verallgemeinerung, aber zumindest glaube ich wirklich, dass diese Aussage für die meisten jüngeren Menschen bereits zutrifft, was die Nutzunsdauer betrifft. Das Internet hat bei den jüngeren das Fernsehen abgelöst und dort waren es auch schon etliche Stunden täglich im Durchschnitt.)
Durch die ständigen Querverlinkungen und den "Kurznachrichten"-Charakter von Web 2.0 Anwendungen gibt es bei deren Nutzung, zumindest ist das meine persönliche Erfahrung, erstens normalerweise keinen roten Faden, also im Sekundentakt wechselnde Themen, zweitens sind 90% dieser Informationen eigentlich irrelevant. Dennoch haben eintreffende Neuigkeiten bei den Nutzern eindeutig "Alarmcharakter", was man auch in freier Wildbahn schön bei Smartphone-Nutzern beobachten kann (es ist auf dem Tisch, nicht in der Tasche; während gesprochen wird, wird dennoch nachgesehen, obwohl es keinen Alarm gab, "Phantomvibrationen", etc.)
Theoretisch kann man ja immer alles beherrschen und zu seinem Vorteil nutzen. Das heisst eigentlich vernünftigerweise: Wenn man etwas anderes macht, unwichtige Nachrichtenkanäle ignorieren. Praktisch ist das aber einfach oft nicht so. Wieviele Leute packen es wirklich, z.B. eine eingetroffene SMS nicht sofort zu lesen, bzw. lesen zu wollen? Man kann da schon von einer Art "Informationssucht" reden. Es *könnte* ja etwas Wichtiges/Tolles/Interessantes sein. Da sind also Mechanismen am Werk wie beim Glücksspiel: Meistens gibt es gar keinen "Gewinn", nur die Möglichkeit existiert.
Die Frage ist hier auch, wieviele Menschen "Zerstreuung durch 2.0" überhaupt als mögliches gesundheitliches Problem sehen, aufgrund dessen man sich bei der Nutzung ein bischen mehr beherrschen sollte. Ich gebe zu, das sind ja alles nur lauwarme Hypothesen. Man müsste mal eine Studie machen, ob Stress entsteht, wenn Leute im Labor mal 3 Stunden von der Informationsnabelschnur abgeschnitten werden. Meine Hypothese: Bei vielen wird das so sein.
Ich könnte mir vorstellen, dass ständige Alarmbereitschaft in Verbindung mit dann meist nutzlosen und nicht zusammenhängenden Informationen - und das täglich mehrere Stunden - irgendwann die Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt. Und was noch hinzukommt ist: Was man in der Freizeit tut, sollte ja auch einen gewissen Entspannungs- oder Erholungswert haben. Bietet die aktive und stundenlange, freiwillige Beschäftigung mit "Informationsfilterung" - auf der Suche nach vermeintlich "Wichtigem" tatsächlich diese Entspannung?