Refrain steht, aber was ist mit dem Rest?

Gisel1990

||||||||||
Hi, die Rede soll sein von Musik mit Gesang (Vocals) und klassischem Pop/Rock-Musik-Aufbau: 3-5 Minuten, Strophe into Pre-Chorus into Refrain usw. Es soll hier nicht um rein elektronische Musik gehen!

Bei mir steht am Anfang fast immer eine Chord-Progression für den Refrain. Bei den Vocals habe ich festgestellt, dass es leichter ist, den Text vor der Melodie zu schreiben, da es mir leichter fällt, Melodie in Text zu pressen als umgekehrt. Am Ende des Prozesses steht meistens ein geiler Refrain-Loop, mit dem ich voll zufrieden bin, aber wie dann weiter? Hier ist bei mir regelmäßig der Punkt, wo der kreative Prozess ins Stocken gerät. Gefühlt habe ich den Song schon fertig, aber nüchtern betrachtet stehe ich erst am Anfang.

Mich würden eure Erfahrungen, Ansätze und Gedanken zu diesem Thema interessieren. Gerne auch mit Beispielen aus der eigenen Produktion. Bitte kein YouTube-Link-Gespamme. Nur eigene Beispiele.
 
Eigentlich sollte bei einem Song der Gesang, also die menschliche Stimme, der Hero sein (Haltung, nicht Arrangement). Darum würde ich erst dann mit der Musik drumherum anfangen, wenn die Lagerfeuerversion des gesamten Songs feststeht.(Minimal-Arrangement aus Gesang, Chords, bissl Beat, Genre-Basics halt). Eine Song-Skizze in der DAW also. Zumindest mache ich das so. Was nicht heisst, dass sich später nichts ändern kann.

Ergo: Möglicherweise fängst du zu früh mit dem Musikmachen in der DAW an. Wenn du mit dem Refrain-Text startest, müsste ja auch vorliegen, wie du dazu kommst (Song-Idee). Diese Ideen/Inhalte könnten dann zum Text der Strophen führen.
Ich fange erst an Musik zu machen, wenn ich so viel Zeug dafür im Kopf habe, dass ich es fast nicht mehr aushalte.

Also, wenn ich:
- alle Textteile für 3 Minuten habe und das Lied ohne Instrumente aber nit Vorstellungen von Chords praktisch durchsingen kann
- eine passende Idee für den Beat des ganzen Songs vorliegt (Genre)
- weiß, welche Art von Bass es braucht (Verhältnis/Zusammenspiel/Spektrum Bass/Kick)
- ich mir zu 100% sicher bin welche Atmosphäre ich durchziehen will

Wenn ich das nicht mache, brauche ich doppelt so lange.
Aber manchmal fühle ich mich /(Tagesform) so inspiriert, dass in 2 Stunden 100 Ideen raussprudeln. Das ist dann auch ok. Ein fertiges Lied kommt zwar nicht bei raus, aber Material.

Ich vermute, dass du dich – laut der von dir beschriebenen Vorgehensweise – beim Entwickeln der Gesangs-Melodietöne (Verlauf) nicht nur vom Text, sondern auch von den bereits vorhandenen Chordprogressions leiten/inspirieren lässt.
Vielleicht ist es bei dem ein oder andern Song sinnvoll die Chords in der Strophe nach der Gesangsmelodie zu richten, die du halt vorher oder gleichzeitig entwickeln musst. Vielleicht gibt es den Refrain zu diesem Zeitpunkt nur "fertig" oder "halbfertig" in deinem Kopf. Ich bin aber auch eher ein Akkord-Affinicado, denn ein Melodie-Meister.

Meiner Erfahrung nach sollte man keine Song-Teile komponieren, sondern Geschichten erzählen. Das macht es leichter, das Lied als Ganzes zu sehen und nicht in Teilen stecken zu bleiben. Egal, wo man anfängt. Wäre dann halt schön, wenn man was zu sagen hat.

Wenn ich eine Song-Idee umsetze, höre ich mir viele ähnliche Hit-Popsongs an, also Songs die mich an meinen erinnern. Dann analysiere ich das Vorbild. An der Art dieser Ideen bediene ich mich dann gnadenlos. Klauen tu ich nichts.

Also so was wie:
- die Art der Struktur/des Aufbaus/des Eventdichte-Verlaufs ab dem ersten Ton
- Art des Gesang im Verlauf wann/wo/warum tiefer/höher/gesprochener/mehr oder weniger Silben, Singhaltung!!!
- wie variieren die drums Halftime/ Snares /Hihatideen im Verlauf des Stückes und im Verhältmis zu anderen Instrumenten
- wie ist das Bass/Kick Zusammenspiel, wann ist es enger zusammen, wann parallel, wann freier /// Was muss im speziellen Fall tiefer sein: Bass oder Kick?

Die Arrangement- und Dramaturgielösungen anderer Musiker nachmachen ist keine Ideenklau sondern Handwerk. Es geht um die Art des "Denkens" hinter Verläufen, dramaturigsche Tricks: Wann passiert welche Art der Änderung warum und wie. Je nachdem, wo dann meine persönlichen Talente liegen, führt diese Art zu Hören dann zu eigenen Ideen und Lösungen beim Machen. Nichts entsteht aus Nichts. Wer stilprägend ist (ich nicht!), weiß in der Regel auch, was er oder sie da tut. Das versuche ich halt zu ergründen: Wissen warum etwas funktioniert. Das inspiriert mich dann hoffentlich.

Atmosphäre im Song ist enorm wichtig. Und eine Chance. Ich meine nicht unbedingt einzelne Sounds. Eine Song-Stimmung, das ist oft sehr von Genres getrieben, also Handwerk, das Ergebnis von Instrumentenwahl und Arrangement. Vllt. hilft es, wenn du dich mit dem Verlauf von Atmosphären und Stimmungen über 3 Minuten hinweg beschäftigst, das könnte aus der Refrain-Starre führen. Am besten aber, du kommst da gar nicht erst rein, weil du erst anfängst, wenn du das GANZE Lied vor dir "siehst".
Ich brauche immer eine deutliche, starke Ahnung von der Atmosphäre oder Stimmung des Stücks. Und eine Vorstellung, wie ich diese Atmosphäre erzeugen kann. Die musikalischen Elemente, die diese Atmosphäre dann erschaffen, versuche ich dann so zu variieren, dass mehrere Intensitätsstufen hörbar werden. Zb: Strophe viel Atmo, Refrain wenig. Oder: Strophe warm und getragen, Ref kalt und geschoben


//

Praktischer Tipp: hau alles in den Refrain rein, was du geil findest, nimm dann das zweitbeste wieder raus und nutze es für die Strophen – die dann schon gesungen sein sollten mit Grundakkorden

//

Tipp zu Bridges: Manche Bridges sind fast der Refrain, nur anders arrangiert (Talk Talk "Its my life", Bridge ist Halftime Ref). Oder fast die Strophe, nur anders arrangiert.

Es gibt auch Bridges, die sind die eigentliche Songidee und der muskalische Höhepunkt, weil der Text am Ende als Auftakt in einen starken Instrumentalteil führt. Im Refrain hat der Gesang nur ein zwei drei Worte, der Rest ist instrumental: "Jump" von Van Halen ist so ein Beispiel: Die Bridge ist das geile "Lied". Im Ref. ist das teure Keyboard-Riff (das eigentlich ein billiges Gitaren-Riff ist) der Hero, der Gesang tut nur so, der alte Poser.

Ich würde Bridges nicht planmäßig (textgetrieben) machen, sondern nur, wenn ich feststelle, der Flow der Musik braucht das. Dann wird halt ein Gedanke zum Singen noch eingeschoben.
Meistens sind "echte Übergänge" unnötig und nur eine Steigerung der Strophe. Und das sage ich als Spezialist für Bridges (sagen andere über mich).

////

Das sind meine persönlichen Erfahrungen und Meinungen ohne Anspruch auf Richtigkeit oder Allgemeingültigkeit.
 
Zuletzt bearbeitet:
@kernelkid Sehr ausfürhrliche Andwort, danke.

Deine Arbeisweise "erst einen Song schreiben, wenn man was zu sagen hat" klingt in der Theorie super. Ich feiere gute Songs, die zusätzlich auch noch eine interessante Geschichte erzählen, auch total. Im Pop/Rock-Genre ist das aber Nebensache, und ganz ehrlich übersteigt es auch meine Fähigkeiten, in Englisch gute Texte zu schreiben. Deutscher Gesang fühlt sich jedoch irgendwie komisch an, vielleicht sollte ich was das angeht umdenken.

Was ich eingentlicn nur sagen will, ist, den Anspruch brilliante Texte zu schreiben, habe ich nicht; bei mir steht die Komposition und der Sound ganz klar im Vordergrund, damit will ich zufrieden sein. Ich versuche allerdings den Dieter Bohlen Style "I can lose my heart tonight if you love me it feels allright" zu vermeiden, aber das muss nicht immer gelingen. Mein Anspruch ist es, am Ende irgendwo zwischen Dieter Bohlen und Göthe zu landen.

Es gibt auch Bridges, die sind die eigentliche Songide, und der muskalische Höhepunkt, weil der Text am Ende als Auftakt in einen Instrumentalteil führt. Im Refrain hat der Gesang nur ein zwei drei Worte, der REst ist instruemntal
Ja das stimmt. Ich meine mal gehört zu haben, das ist der Unterschied zwischen Chorus und Refrain. Ich verwende beide Begriffe synonym und meine meistens den klassichen Mehrzeiler-Chorus.

Eine Gesangsmelodie kommt bei mir leider nur dann, wenn die Chord-Progression schon steht und ich sozusagen drübersingen kann. Dies ist fast immer der Chorus, und danach kommt der Punkt, wo der kreative Prozess ins Stocken gerät. Ich kann auch keine Songs "im Kopf" komponieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
eine Arbeisweise "erst einen Song schreiben, wenn man was zu sagen hat "klingt in der Theorie super und ist natürlich wünschenswert. Ich feiere gute Songs, die zusätzlich auch noch eine interessante Geschichte erzählen, auch total. Im Pop/Rock-Genre ist das aber Nebensache, und ganz ehrlich übersteigt es auch meine Fähigkeiten, in Englisch gute Texte zu schreiben. Deutscher Gesang fühlt sich jedoch irgendwie komisch an, vielleicht sollte ich was das angeht umdenken.
Es geht nicht um die semantische Qualität der Texte, sondern darum, nicht in Musikteilen zu denken. Das mit der "Geschichte" meint eine Herangehensweise an den "Song als Ganzes", mehr nicht

Hast du schon mal eine grobe Klang-Skizze in der DAW für ein ganzes Stück gemacht? Gesang, Akkorde, rougher Beat und nur ergänzt mit den allerallerallerwichtigsten Ideen/Elementen/Melodien? Maximal 4 Spuren? Ich finde, das wäre der nächste Schritt für dich. Aber was weiß ich schon.

Prince hat mal sinngemäß gesagt: "Wenn man bei einem Stück die einzelnen Spuren/Instrumente Solo durchhört, darf es nie langweilig sein."
 
Zuletzt bearbeitet:


News

Zurück
Oben